Hauptsache beleidigt

In Russland gibt es seit einigen Jahren wieder ein Gesetz, das Blasphemie unter Strafe stellt. Angewandt wird es nicht oft, dennoch empören sich Orthodoxe immer wieder gern über angeblich blasphemische Taten.

Vorsätzliche Beleidigung oder üble Nachrede, ob privat oder öffentlich geäußert, kann einen Menschen ins Mark treffen. Gelegentlich sogar so heftig, dass die Sache vor Gericht landet. Geht es um verbales Fehlverhalten säkularer Art, lässt der russische Staat Nachsicht walten. Selbst die Beleidigung einer Amtsperson zieht schlimmstenfalls die Ableistung von Arbeitsstunden nach sich, die den Verurteilten eines Besseren belehren soll. Bei Blasphemie, also der Verunglimpfung oder Beleidigung Gottes oder von Glaubensdogmen, wie es ein russisches Wörterbuch definiert, hört der Spaß jedoch auf.

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Ein Kreuz mit diesen Christen. Radikale Orthodoxe wollen im Moskauer Torfjanka-Park den Bau einer Kirche durchsetzen (Foto: Ute Weinmann)

Nach der berühmten Performance der Punkband Pussy Riot im Jahr 2012 war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Mandatsträger aus der Duma aus dem Fall politisches Kapital zu schlagen versuchen würde. Alexander Sidjakin, der gewillt ist, seine Kreativität beim Ge­setze­schaffen auch im frisch gewählten Parlament zu demonstrieren, hat sich nicht nur durch die von ihm forcierte skandalträchtige Einschränkung der Demonstrationsfreiheit einen Namen gemacht, sondern auch durch sein Bestreben, Gotteslästerung nicht mehr als Ordnungswidrigkeit durchgehen zu lassen. Seit Juni 2013 sieht das russische Strafgesetzbuch für »öffentliche Handlungen, die eine deutlich erkennbare Geringschätzung gegenüber der Gesellschaft zum Ausdruck bringen und mit dem Vorsatz der Beleidigung religiöser Gefühle Gläubiger verübt werden«, Freiheitsentzug von bis zu einem Jahr vor. Immerhin handelt es sich dabei nicht um die Todesstrafe. Traditionsbewusste Politiker und Freunde des zaristischen Regimes könnten nämlich auf die jahrhundertelang gültige Rechtslage im alten Russland verweisen. Unter Peter dem Großen, der zu Unrecht als fortschrittlicher Herrscher in die Annalen der Geschichte eingegangen ist, kam als weitere Strafvariante das Verbrennen der Zunge mit glühendem Eisen hinzu.

Die Frage, ob ein weltliches Gericht die richtige Instanz ist, um ein Urteil hinsichtlich der Frage zu fällen, ob eine Tat sich in schmählicher Weise gegen einen Gott richtet, dessen Existenz reine Glaubenssache ist, müsste eigentlich mit nein beantwortet werden. Probleme wären sowieso vorprogrammiert, jedenfalls solange die Kirche auf die Allgemeingültigkeit religiöser Befindlichkeiten pochen würde. Betroffen fühlt sich allerdings eine konkrete Person oder Gruppe, insofern ist es nur logisch, dass sich der Gesetzestext auf die religiösen Gefühle Gläubiger bezieht. Aber auch dann stellt sich die Frage, was genau vor Gericht verhandelt werden soll. Damit erklärt sich auch der Umstand, dass der entsprechende Paragraph im Strafgesetzbuch recht selten Anwendung findet.

Geht es jedoch um die nicht nur bei Jugendlichen beliebte Jagd auf Pokémon, kennen weder Staat noch Kirche Pardon. Im Juli warnte der staatliche Fernsehsender Rossija 24 alle Pokémon-Fänger, sie erwarte eine Haftstrafe, sollten sie es wagen, die kleinen Ungeheuer in fremden Wohnungen oder, Gott bewahre, in einer Kirche aufzusuchen. Das stachelte den 21 Jahre alten Ruslan Sokolowskij erst richtig an. Er machte sich in eine der größten Kirchen von Jekaterinburg auf und stellte überdies ein Video seines blasphemischen Spiels im Gotteshaus ins Netz. Es könne doch nicht strafbar sein, mit einem Smartphone eine Kirche zu betreten, teilt er darin seinem Publikum mit. Am Ende ist er zufrieden mit der Fangquote, schade nur, dass ihm das seltenste Pokémon-Exemplar, nämlich Jesus, nicht untergekommen sei: »Man munkelt, dass es ihn gar nicht gibt.«

Auf den Videoclip wurden Strafermittler aufmerksam und Anfang September saß der Videoblogger und Jurastudent dann in Haft, mittlerweile steht er unter Hausarrest. In der orthodoxen Diözese in Jekaterinburg sieht man keinen Grund, sich für den vermeintlichen Straftäter einzusetzen. Einer ihrer Vertreter forderte außerdem Umerziehung, egal mit welchen Mitteln. Sokolowskij hat bereits mehrere Nachahmer gefunden, ermittelt wird jedoch nur gegen ihn, den erklärten Atheisten, der sich über Religion zudem in einer eigenen kleinen Zeitschrift lustig macht, die sich am französischen Satiremagazin Charlie Hebdo orientiert. Neben Blasphemie wird ihm auch die Aufstachelung zum Hass vorgeworfen, was mit Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren geahndet wird.

Das Moskauer Zentrum SOVA, das die Anwendung der russischen Antiextremismusgesetzgebung beobachtet und einer kritischen Prüfung unterzieht, hält das Strafverfahren für unrechtmäßig. Dies trifft auch auf ein im April ebenfalls in Jekaterinburg gefälltes Urteil zu. Anton Simakow wurde zu einer psychiatrischen Behandlung verurteilt, weil er Voodoo-Magie mit Kirchengegenständen betrieben habe, um der ukrainischen Regierung Schaden zuzufügen. Ob es gewirkt hat, ist unbekannt. Doch, so die Argumentation von SOVA, habe Simakow keine christlichen Symbole beleidigen wollen, sondern im Rahmen seiner eigenen Logik gehandelt. Verhandelt wird nun auch die Frage, ob Bauchtanz vor einer Moschee religiöse Gefühle verletzen kann. Die Staatsanwaltschaft in Tatarstan entdeckte im Netz das Musikvideo einer Sängerin und Tänzerin, die in der Moschee der Stadt Bolgar eine beeindruckende Kulisse für ihre erotischen Tanzbewegungen gefunden hatte.

Orthodoxe Kirchgänger und Amtsträger schaffen immer wieder Fakten, die vom russischen Gesetz gedeckt werden. So kann ein religiöses Symbol zwar umstandslos aufgestellt, aber nicht ohne Genehmigung wieder entfernt werden. Mit diesem Problem haben Anwohner im Moskauer Park Torfjanka seit geraumer Zeit zu kämpfen. Orthodoxe Radikale haben ein Kreuz aufgestellt und wollen eine Kirche auf einer Grünfläche bauen, die gar nicht als Baugelände ausgewiesen ist. Anwohner protestieren, können aber das Kreuz nicht entfernen, ohne sich strafbar zu machen. Die Orthodoxen sind nicht zimperlich, wenn es um die Verteidigung ihres Kreuzes geht, und schlagen schon einmal kräftig auf ihre Gegner ein.

ute weinmann

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