Ein Buch zweier Journalisten, das über den russischen Geheimdienst informiert, ist nun auch in russischer Sprache erschienen.
Transparenz gehört nicht zu den Stärken des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, dafür müssen andere sorgen. So wie Andrej Soldatow und Irina Borogan mit ihrer journalistischen Recherche. Agentura.ru, die Internetseite der beiden ausgewiesenen Spezialisten ihres Faches, stellt eine Fundgrube mit fundierten Analysen über die Tätigkeit der von Mythen umgebenen russischen Institution dar. Im September 2010 erschienen die Ergebnisse ihrer journalistischen Arbeit unter dem Titel »Der neue Adel« in den USA und Großbritannien in Buchform, ein knappes Jahr später liegt es nun mit einer Auflage von 5 000 Stück in autorisierter russischer Übersetzung vor.
Ein Herausgeber für die russische Publikation fand sich erst, nachdem die Sicherheitsorgane auf die englischsprachige Edition nicht reagiert hatten. Auch nach Erscheinen des »Neuen Adels« in Russland blieb der FSB vergleichsweise zurückhaltend. Nur die Druckerei erhielt eine schriftliche Aufforderung der Zentrale des FSB, die Auftraggeber zu nennen, woraufhin der Internet-Buchvertrieb Ozon.ru das Buch zeitweilig aus dem Vertrieb nahm.
»Wir sind daran gewöhnt, dass Reaktionen von offizieller Seite ausbleiben«,sagt Andrej Soldatow der Jungle World. Um die Aufmerksamkeit gering zu halten, ziehen die Behörden es vor, zu schweigen. Dennoch ist er mit der Veröffentlichung des Buches sehr zufrieden. »Ich hätte nicht erwartet, dass sich angesichts der apolitischen Stimmung im Land das Buch zu einem Bestseller entwickelt.« In der Tat läuft der Vertrieb erfolgreich, und die Nachfrage ist noch längst nicht ausgeschöpft. Für die kommende Woche kündigte der Verlag United Press eine zweite Auflage an.
»Der neue Adel« repräsentiert ein für heutige russische Verhältnisse seltenes Genre, nämlich eine ernsthafte journalistische Recherche, die ohne reißerisches Pathos und zweifelhafte Behauptungen auskommt. Dabei deckt das Buch keine Geheimnisse auf, sondern dient im Wesentlichen dazu, Informationen zugänglich zu machen, die keiner Geheimhaltung unterliegen, aber vom FSB oft zurückgehalten werden. Dazu gehört eine übersichtliche Darstellung des Aufbaus der Institution, die eigentlich auf deren Homepage zugänglich sein sollte.
Nicht Archivquellen bilden die Informationsgrundlage, vielmehr wenden sich Geheimdienstler selbst an Soldatow und Bogoran, meist aufgrund ihrer Unzufriedenheit mit dem Arbeitgeber, wenn dieser Verpflichtungen gegenüber seinen Angestellten nicht einhält. Solche Angaben bedürfen zwar einer eingehenden Prüfung, aber ohne sie ist eine Recherche kaum denkbar. Bei offiziellen Anfragen an den FSB konnte man vor zehn Jahren noch mit einer Antwort rechnen. Bei einem der letzten derartigen Versuche der Journalisten wurde ihnen nach neunmonatiger Wartezeit lakonisch mitgeteilt, dass die Anfrage an anderer Stelle gestellt werden müsse. Nun lesen selbst Mitarbeiter des FSB das Buch mit Interesse.
Soldatow blickt gespannt auf den anstehenden Personalwechsel im Kreml. Die meisten Geheimdienstler in leitenden Funktionen ernannte seinerzeit der ehemalige FSB-Vorsitzende und heutige Premierminister Wladimir Putin. Sie gehören seiner Altersgruppe an, sind also um die 60 Jahre alt. Da Putin sein Comeback als Staatsoberhaupt angekündigt hat, scheint diese Altersgruppe für die derzeitige Entwicklung innerhalb des FSB besonders wichtig zu sein. Denn mit dem sechsten Jahrzehnt endet das reguläre Beschäftigungsverhältnis eines FSB-Mitarbeiters, wer statt der Rente seine Dienstverlängerung anstrebt, benötigt dafür die Genehmigung des Präsidenten. Im vergangenen Jahr führte dies bei Leitungskadern zu einer Umorientierung. Wer weitermachen wollte, kam nicht umhin, beim amtierenden Präsidenten Dmitrij Medwedjew einen entsprechenden Antrag einzureichen. Ohne erkennbare Kriterien erteilte Medwedjew Bewilligungen, aber auch eine Reihe von Absagen. Daraus wiederum könnten sich Loyalitätsprobleme gegenüber dem alten und neuen Präsidenten Putin ergeben.
Ute Weinmann