Gegen den Krieg

Antifaschistische Demonstrant:innen eilen durch die Strassen, während Kulturschaffende von ihren Posten zurücktreten: In Russland formiert sich mutiger Protest gegen das Blutvergiessen.

Hektisch huscht ein Pulk junger Leute über die Strasse, kurz bevor das Lichtsignal auf Rot schaltet. Sie haben gerade den Arbat hinter sich gelassen, einen der Orte in Moskaus Innenstadt, wo die touristische Fussgänger:innenzone zum entspannten Flanieren einlädt.
Am Schritttempo lässt sich an diesem Sonntagnachmittag leicht erkennen, wer sich zu einem normalen Spaziergang eingefunden hat und wer nicht. Für diesen Tag hatte die Organisation Vesna friedliche Proteste gegen den Krieg in der Ukraine angekündigt und in ihrem Aufruf Treffpunkte in fast fünfzig russischen Städten aufgelistet. «Wir sind sehr viele», beeilt sich ein flinker Teilnehmer zu sagen, in dessen Tonlage sich sowohl ein wenig Stolz als auch ein Hauch Unsicherheit einstellt. Neben seiner Coronamaske ist nicht viel mehr zu sehen als eine Brille.

Als von allen Seiten laute Antikriegsparolen ertönen, bleiben manche Passant:innen verdutzt stehen. Andere zücken ihre Smartphones und machen schnell ein Foto. Auf den Einwand, dass sich dem Sprintspaziergang fast nur Menschen unter dreissig angeschlossen haben, verweist der junge Mann leicht resigniert auf seine Eltern, typische russische Fernsehkonsument:innen der mittleren und älteren Generation. Die direkte Auseinandersetzung sucht er erst gar nicht. «Ich will mich mit ihnen nicht streiten.»

Lokale Antikriegskomitees

Bereits am Abend des Kriegsbeginns, am 24. Februar, als Tausende versuchten, sich im Zentrum Moskaus zu versammeln, fiel die jugendliche Zusammensetzung der Protestierenden auf. Die Polizei sorgte für die Zerstreuung der Menschenmassen, weshalb sich immer wieder neue Protestzüge auf dem Moskauer Gartenring formierten. Einen davon führte eine Gruppe erfahrener Antifaschist:innen mit einem selbstgemachten Transparent an: «Frieden für die Ukraine – Freiheit für Russland» stand in grossen schwarzen Lettern auf weissem Stoff. Sie wollten den hinter ihnen marschierenden, wesentlich jüngeren Teilnehmer:innen eigentlich zeigen, wie man sich und andere durch die Bildung von Ketten auf friedliche Weise vor einer Festnahme schützen kann. Doch als sich die Polizei von vorn auf die Versammelten stürzte, hatten die demonstrationsunerfahrenen Kriegsgegner:innen hinter ihrem Rücken bereits die Flucht ergriffen.

Der russischen Antikriegsbewegung fehlt es an einer koordinierenden Instanz. Eine solche sei aber gar nicht nötig, meint indes der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin. Er legte in einem Videoaufruf am Montag seine Vision von dezentralisiertem Widerstand gegen den «verbrecherischen Krieg» dar: Lokale Antikriegskomitees, die in ihrem Umfeld agierten, seien das Gebot der Stunde. Aber es müssten viele sein.

Die Profiteure schweigen

Derweil meldet sich auch Prominenz aus Russlands Kulturbetrieb zu Wort: Der Schauspieler Danila Koslowski outete sich genauso als Kriegsgegner:in wie die Sängerin Semfira oder die Rapper Morgenstern und Oxxxymiron. Hip-Hop-Star Allj verschob wegen des Krieges seine Konzerte in Jekaterinburg und Tscheljabinsk. Elena Kowalskaja, Theaterdirektorin des Moskauer Meyerhold-Zentrums, trat zurück, weil sie unter den gegebenen Umständen eine Vergütung durch den Staat als inakzeptabel ansieht. Aus gleichem Grund kündigte der aus Litauen stammende Regisseur Mindaugas Karbauskis seinen Posten als Indendant beim Majakowski-Theater. Selbst das staatliche Puschkin-Museum schloss sich einer Antikriegserklärung des International Council of Museums an.

Dutzende Vertreter:innen diverser Berufsstände wenden sich mit Statements an die Öffentlichkeit. So forderte der Journalist Juri Dud, der durch seine unkonventionellen Videobeiträge vor allem ein jüngeres Publikum anspricht, russische Staatsvertreter:innen und Geschäftsleute auf, auf Präsident Wladimir Putin einzuwirken, um den Krieg in der Ukraine unverzüglich zu beenden. Allerdings hielt er einen Gedanken nicht zurück, der in Russland viele umtreibt: «Ich weiss nicht, ob es Leute gibt, die auf Putin überhaupt noch irgendeinen Einfluss ausüben.»

Die grössten Profiteur:innen der Machtverteilung im Kreml hüllen sich erwartungsgemäss in Schweigen. Doch selbst russische Oligarch:innen äussern sich teils kritisch: Sofia Abramowitsch etwa, die Tochter des Oligarchen Roman Abramowitsch, beschuldigte Putin, den Krieg angezettelt zu haben. Michail Fridman, gemäss dem US-Magazin «Forbes» die Nummer elf der reichsten Russ:innen, bestätigte, in einem ungewollt veröffentlichten Schreiben an Kolleg:innen ein Ende des Blutvergiessens gefordert zu haben. Mit Blick auf horrende wirtschaftliche Verluste äusserte sogar der sonst loyal gesinnte Oligarch Oleg Deripaska den Wunsch nach schnellen Friedensverhandlungen.

ute weinmann

WOZ

Запись опубликована в рубрике Foto, Militär, Protest, Ukraine. Добавьте в закладки постоянную ссылку.