In der georgischen Hauptstadt bietet ein Projekt einen Rückzugsort für bedrohte AktivistInnen aus ganz Zentralasien, Russland und Weissrussland. Dutzende finden hier etwas Ruhe vor Schikanen und Verfolgung.
Sonne, Meer, Berge, Wein und kulinarische Köstlichkeiten – Georgien bietet sämtliche Voraussetzungen für genussreiche Ferien. Der Tourismus boomt. Die Reisenden stammen vor allem aus den umliegenden Ländern Aserbaidschan, Russland und Armenien, aber auch aus der Türkei und dem Iran.
Aus der Sicht von MenschenrechtlerInnen wie Jewgeni Pisemski aus der russischen Stadt Orjol gibt es aber noch zwei weitere ausschlaggebende Gründe für einen Aufenthalt in der georgischen Hauptstadt Tiflis: die unkomplizierten Einreisevorschriften und der Umstand, dass Georgien unter den ehemaligen Sowjetrepubliken den Ruf geniesst, ein sicherer Rückzugsort zu sein.
Webblockade, Drohanrufe
Russische NGOs verlegen deshalb gerne Seminare und Fortbildungen zu heiklen Themen ins südliche Nachbarland. Für Pisemski geht es um mehr, nämlich darum, wenigstens zeitweise Schutz vor Willkür und Verfolgung zu finden. Er leitet die LGBT-Organisation Fenix Plus, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, niedrigschwellige Angebote für HIV-Infizierte bereitzustellen. Dazu zählt neben überlebenswichtiger Aufklärung auch die Verbreitung einfach zu handhabender Schnelltests. Für sein unermüdliches Engagement würdigte ihn Elton Johns Aids-Stiftung, in Russland hingegen stösst er auf Widerstände. Die staatliche Onlineaufsichtsbehörde Roskomnadsor liess zeitweise die von Pisemski und anderen AktivistInnen ehrenamtlich betriebene Website «Parniplus» blockieren. Auch steht er unter ständiger Beobachtung durch den Staatsschutz. «Das setzt einen natürlich unter Druck», sagt Pisemski.
Einerseits verhalf das schikanöse Vorgehen der Behörden nach der Webblockade dem Projekt zur Steigerung seines Bekanntheitsgrads und zu unerwarteter Popularität. Vor Pisemski aber taten sich indes neue Abgründe auf. «Ich habe Drohanrufe bekommen und war emotional völlig ausgebrannt.» Zur gleichen Zeit kam es zur Trennung von seinem langjährigen Lebenspartner. Eine Freundin brachte ihn schliesslich auf die Idee, beim Projekt Tbilisi Shelter City in Tiflis um Hilfe anzufragen. Dort, in einem gemütlichen alten Gebäude, dessen Hof durch einen Bretterzaun vor neugierigen Blicken geschützt ist, fand Pisemski vorübergehend Zuflucht.
Seit zwei Jahren bietet das Projekt hohen Risiken ausgesetzten MenschenrechtlerInnen aus Zentralasien, Russland und Weissrussland einen Rückzugsraum. Über drei Dutzend haben diese Option bereits genutzt, darunter UmweltschützerInnen aus Kasachstan, die wegen ihres Widerstands gegen zwielichtige Bauprojekte ins Visier der Polizeibehörden gerieten. Oder eine Feministin aus Tadschikistan, die sich gegen Zwangsehen engagiert. Ihr Aufenthalt in Tiflis soll nicht publik werden – eine Vorsichtsmassnahme. Drei Monate beträgt die Regelzeit in der Shelter City, in der nach Wunsch und Bedarf diverse Angebote zur Bewältigung von Traumata und Gewalterfahrungen in Anspruch genommen werden können. Die meisten kommen mit einem Burn-out und schaffen es oft erst mithilfe psychologischer Begleitung zu akzeptieren, dass sich ein Leben in ständiger Alarmbereitschaft nicht nur auf Körper und Psyche auswirkt, sondern auch ihre Arbeitskraft auf Dauer beeinträchtigt.
Probleme auch in Georgien
Individuell abstimmbare Programminhalte sind darauf ausgelegt, dass die Teilnehmenden ihre Tätigkeit im Anschluss in ihren Heimatländern wieder aufnehmen und dafür mit hilfreichen Tools ausgestattet werden. Die Angebote sind auf freiwilliger Basis, und wer weiter arbeiten will, kann dies in eingeschränkter Form tun. Verbindlich ist nur das umfangreiche Sicherheitstraining. Hier setzt das konflikt- und kriegserfahrene Team klare Prioritäten.
Idyllische Zustände herrschen jedoch auch in Georgien nicht. Rassistische Übergriffe sind keine Seltenheit, und ausländerfeindliche Aktivitäten rechter Gruppierungen stellen gemäss lokalen Menschenrechtsorganisationen ein ernstes Problem dar. Auch Tbilisi Shelter City ist davon ganz direkt betroffen: Vor vier Monaten wurde der 25 Jahre alte Witali Safarow im Zentrum von Tiflis nach einer verbalen Auseinandersetzung von der georgischen Neonaziszene nahestehenden jungen Männern getötet. Als Anlass diente ihnen, dass sich der Georgier mit jüdischen und jesidischen Wurzeln vor einer Bar mit Touristen auf Russisch unterhielt. Zwei Täter befinden sich in Haft, einer davon wird des Mordes beschuldigt. Safarow hatte unter anderem für Tbilisi Shelter City gearbeitet.
ute weinmann