Korruption und Feindschaft

Der Sohn des früheren US-Vizepräsidenten Joe Biden hat eine Staatsaffäre ausgelöst. Seine Tätigkeit für eine ukrainische Gasfirma wirft Fragen auf.

Manchen scheint der Fall klar: Gelangt Geld aus der Ukraine in den Westen, muss es wohl um Korruption gehen. Wenn der US-Präsident interessiert ist an der Aufklärung der Umstände solcher Geldtransfers an den Sohn des US-­Politikers Joe Biden, dann deshalb, weil er dem bislang aussichtsreichsten ­Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten schaden will. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj soll Donald Trump einen ­Gefallen erweisen und Fakten liefern. Diese Schlussfolgerung lässt die jüngst erfolgte Teilveröffentlichung eines ­Gesprächsprotokolls in der Tat zu. Das Protokoll fasst den Inhalt eines Tele­fonats zwischen Trump und Selenskyj Ende Juli zusammen.

Bislang kommen dabei alle Seiten schlecht weg: Präsident Trump, gegen den die Demokraten ein Amtsent­hebungsverfahren anstreben; Joe Biden, von Barack Obama mit den Beziehungen zur Ukraine betraut, dessen unkluges Vorgehen in einem Land, das die meisten US-Amerikaner wenig interessiert, sich auf seine weitere politische Karriere auswirken könnte; Selenskyj, der die für die Ukraine existentiell wichtigen Beziehungen zu den USA unter ungünstigen Bedingungen ­pflegen muss. Über Details des ukrainischen Intermezzos der Familie Biden ist indes wenig bekannt.

Im Mai 2014, einen Monat nachdem der damalige US-Vizepräsident Joe ­Biden nach Kiew gereist war, um das Land bei Reformen und im Kampf ­gegen Korruption zu unterstützen, folgte sein Sohn Hunter Biden dem Ruf in den Vorstand der ukrainischen Burisma Holdings mit Firmensitz auf Zypern. Das Beschäftigungsverhältnis währte bis April 2019. Mitgründer von Burisma ist Mykola Slotschewskyj, der unter dem von 2010 bis 2014 amtierenden ­ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch diverse Staatsämter inne­hatte, zeitweise das Umweltministerium leitete und nach dem Regierungswechsel 2014 die Ukraine verließ.
 
Hunter Bidens Aufgabe war es, dem seit 2002 existierendem größten privaten Gaskonzern des Landes mit einer neuen Lobbystrategie zu mehr inter­nationaler Aufmerksamkeit zu verhelfen. Sein Vater vertrat die Ansicht, es liege kein Interessenskonflikt vor, da er sich in berufliche Angelegenheiten seines Sohnes nicht einmische.

Doch die Arbeitsfelder der beiden liegen näher beieinander, als Biden vorgab. Während einer öffentlichen Veranstaltung im Jahr 2018 gab Joe ­Biden die Anekdote zum Besten, wie er im März 2016 den damaligen ukrai­nischen Präsidenten Petro Poroschenko genötigt habe, den Generalstaats­anwalt Wiktor Schokin abzusetzen. Andernfalls wollte Biden einen Milliardenkredit nicht ­genehmigen. In seiner Erzählung verdichtete er die Geschehnisse auf ein sechsstündiges Ultimatum, tatsächlich soll sich der Verhandlungsprozess bis dahin bereits über mehrere Monate hingezogen ­haben. Offiziell ging es um den auch vom Internationalen Währungsfonds vorgebrachten Vorwurf, Schokin habe Antikorruptionsermittlungen be­hindert.

Als Anlass für Bidens Ultimatum diente aber vermutlich auch ein privates Anliegen. Schokin, so berichtete das US-amerikanische Nachrichtenportal The Hill, habe kurz vor seiner Absetzung konkrete Ermittlungspläne unterbreitet. Darin sei von Zeugenvernehmungen und anderen Beweisaufnahmen die Rede gewesen, die sich gegen alle Vorstandsmitglieder der Burisma Holdings richteten, auch gegen Hunter Biden. Von drei eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden zwei eingestellt, nur in einer Straf­sache erfolgte eine Verurteilung eines nicht näher ­bezeichneten Angeklagten.

Bei einer der Ermittlungen ging es um regelmäßige Überweisungen im Zeitraum von Frühjahr 2014 bis Herbst 2015 von Burisma an die amerikanische Firma Rosemont Seneca Partners LLC, die Hunter Biden, dessen Geschäftspartner Devon Archer und Chris Heinz, dem Stiefsohn von John Kerry, gehört. Im Regelfall handelte es sich um ­einen Betrag von 166 000 US-Dollar, also eine Summe, die das von der Zeitung The New Yorker mit 50 000 US-Dollar bezifferte offizielle Gehalt von ­Biden junior bei weitem überstieg. Zudem sollen noch weitere Zahlungen ­erfolgt sein, die sich nicht eindeutig zuordnen ließen. Auf diese Weise sammelten sich auf Bidens und Archers Konten über drei Millionen Dollar. Einen Monat bevor Hunter Biden als Berater in den Vorstand von Burisma einzog, hatte dort bereits der Finanzexperte Devon ­Archer eine Posi­tion übernommen.

Auf der Website des Unternehmens taucht unter den nichtukrainischen Vorstandsmitgliedern auch Joseph Cofer Black auf, ein Terrorismusexperte und früherer Mitarbeiter des Geheimdienstes CIA.
 
Der Grund für das Interesse der US-Amerikaner an Burisma liegt auf der Hand. Der Konzern hält umfangreiche Gasförderrechte in vielen Landesteilen, darunter auch in Gebieten im Osten, die von der ukrainischen Regierung nicht mehr kontrolliert werden. Wohlwollend ließe sich vom Bestreben sprechen, die Energiesicherheit der Ukraine langfristig zu sichern. In regierungsnahen russischen Medien hingegen wurden Befürchtungen laut, die USA seien ­bestrebt, ukrainische Gaslieferungen nach Europa zu kontrollieren und ­damit die russische Wirtschaft zu schädigen.

Jurij Luzenko, Schokins Nachfolger als Generalstaatsanwalt, verständigte sich im vergangenen Frühjahr mit Trumps Anwalt Rudy Giuliani über seine erneut aufgenommenen Ermittlungen gegen Burisma, die jedoch nach seinen Aussagen Hunter Biden nicht beträfen. Nach einem Treffen mit Giuliani Mitte Februar in Warschau bekundete Luzenko, er habe an die USA Daten übermittelt, damit diese den Fall selbst weiterverfolgen könnten. Gereicht haben sie offenbar nicht.

Selenskyj hatte bei seinem Telefongespräch mit Trump Ende Juli angekündigt, einen neuen Generalstaatsanwalt zu benennen, der sich um Auf­klärung in der Causa Biden kümmern solle. Es ging auch um das kalifornische IT-Unternehmen Crowdstrike, das bei seiner Untersuchung von Hacker-Angriffen auf das Wahlkampfkomitee der Demokraten 2016 zu dem Schluss kam, Russland sei verantwortlich. Das ukrainische Nachrichtenportal Hvylya hält es für weitaus bedrohlicher, dass Trump hier auf Ermittlungen insistiert habe, und interpretiert dies als Aufforderung, nachzuweisen, dass die Angriffe auf die Demokraten und ihre Verbindungsleute von der Ukraine ­ausgingen. Denn hinter Crowd­strike soll ein ukrainischer Geschäftsmann stehen.

Allerdings streitet Selenskyj ab, Trump irgendwelche Versprechen ­gemacht zu haben. Die Ukraine, so ­Selenskyj, sei ein unabhängiges Land und er sei nicht berechtigt, dem Generalstaatsanwalt Vorgaben zu machen. Tatsächlich hat er mit Ruslan Rjaboschapka Ende August einen engen Vertrauten zum Generalstaatsanwalt ­gemacht, von dem bislang nicht bekannt ist, ob er überhaupt in einem der Fälle tätig geworden ist. Aus Polizeikreisen hieß es lediglich, das 2015 gegründete Nationale Antikorruptionsbüro ermittele bei Burisma ausschließlich gegen Mykola Slotschewskyj. Das mag auch daran liegen, dass die Investitionsbereitschaft US-amerikanischer Staatsbürger nicht geschmälert werden soll.

Sollte aber, was nicht bewiesen ist, Hunter Bidens Tätigkeit für Burisma tatsächlich aufgrund von Absprachen zwischen Poroschenkos und Obamas Vertrauensleuten erfolgt sein, würde Trumps persönlicher Feldzug gegen Joe Biden in das Gebiet der Russland- und globalen Energiepolitik ­führen, die mit Fragen der nationalen Sicherheit verbunden sind.

ute weinmann

Jungle World

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