Nach dem Erfolg der Kremlparteien bei den Wahlen in Russland debattieren die Liberalen und die Kommunistische Partei über einen neuen Kurs.
Die vierte Duma ist gewählt. Wladimir Putin und seine Anhänger können sich auf die Schulter klopfen. Alles ist mehr oder weniger nach Plan gelaufen, ja, wir haben es gar mit einer Planübererfüllung zu tun. Der Block der Kremlparteien schnitt noch besser ab als erwartet. Dass hier und da offenbar etwas nachgeholfen wurde, ändert nichts an der unangefochtenen Machtposition des Präsidenten und seiner Getreuen.
Im Vorfeld der Dumawahlen hatte der Leiter der Zentralen Wahlkommission Alexander Weschnjakow erklärt, dass in diesem Jahr erstmals durch das elektronische Auszählverfahren die Möglichkeit bestehe, die spannendsten Momente des Wahlverlaufs live im Internet mitzuverfolgen. Davon machten nicht wenige Gebrauch, sodass etliche Unstimmigkeiten ohne Verzögerung an die Öffentlichkeit gelangten.
Die Tageszeitung Kommersant berichtete von auffallenden Schwankungen der Angaben über die Anzahl der Wahlberechtigten auf der offiziellen Webpage der Wahlkommission (www.cikrf.ru). Im Verlauf des Wahltages und des folgenden Morgens wuchs deren Zahl um über eine Million an, später schrumpfte sie wieder um mehr als zwei Millionen. Die Kommission mag an der ordnungsgemäßen Durchführung der Stimmauszählung nicht zweifeln, hatte aber keine passende Erklärung parat.
In dem Zusammenhang macht überdies misstrauisch, dass der Link, der zu den detaillierten regionalen Wahlergebnissen führen soll, bereits seit einigen Tagen nicht funktioniert. Offenbar soll sich die Öffentlichkeit im Nachhinein doch mit der für den 18. Dezember geplanten Mitteilung der amtlichen Wahlergebnisse begnügen.
Der Hauptverlierer des Wahlspektakels, die Kommunistische Partei Russlands (KPRF), will darauf allerdings nicht warten und kündigte eine parallele Stimmenauszählung an. Bereits deren Zwischenergebnisse weichen an einigen Stellen erheblich von den offiziellen Angaben ab. So erhielt danach die Kremlpartei Jedinaja Rossija statt 37 lediglich 34 Prozent, und sowohl die liberale Partei Jabloko als auch die Union rechter Kräfte (SPS) hätten den Einzug in die Duma geschafft. An dem Debakel der KPRF, die bei den Wahlen 1999 noch auf stolze 24 Prozent der Stimmen kam und sich nun mit knapp dreizehn Prozent abfinden muss, würde sich jedoch nichts ändern.
Als Ursache für den steilen Abstieg der KPRF bei den diesjährigen Dumawahlen nennen Vertreter des Parteiapparates neben der Hetzkampagne im Vorfeld der Wahlen vor allem zwei Gründe: Das Bestreben des KP-Vorsitzenden Gennadij Sjuganow, die innerparteilichen Reihen von potenziellen Führungsfiguren zu bereinigen und die eigene Kandidatur von Sergej Glazjew in dem eigenen Block Rodina (Heimat). Tatsächlich ist der ziemlich unverhüllt vom Kreml geschaffene Block, der das Ziel hatte, der KPRF Stimmen abzuzweigen, mit neun Prozent sehr erfolgreich gewesen.
Glazjew mag durch seine Forderungen nach staatlichem Zugriff auf Naturressourcen und einer Veränderung des Steuersystems zu Gunsten von Arbeitnehmern bei der Stammwählerschaft der KPRF Pluspunkte gesammelt haben, doch spielte sich der zweite Parteigründer, Dmitri Rogosin, der in letzter Zeit auch gern »Schirinowski der Intellektuellen« genannt wird, mit seinen nationalistischen Parolen als Stimmenfänger schnell in die erste Reihe. Die Liberalen bezeichnen diese Symbiose marktsozialistischer Elemente mit populistischen und chauvinistischen Tönen inzwischen gar als »Nationalsozialismus«, was allerdings weniger der Analyse dient als der Diffamierung derjenigen, die mit der westlich geprägten demokratischen Rhetorik der Liberalen nach wie vor nichts anfangen können.
Im Prinzip setzt der Block Rodina lediglich fort, was die KPRF schon seit Jahren betreibt. Sie selbst hat den Boden bereitet für eine neue staatstragende Ideologie patriotischer Prägung, die den Kapitalismus als unausweichliche ökonomische Grundlage mit einschließt. Die KPRF macht sich damit selbst überflüssig. In den vergangenen vier Jahren hat sie zudem in einigen Regionen, die vormals als treue »rote« Stütze galten, Gouverneursposten an den Kreml verloren. Das hat zu einem nicht unwesentlichen Verlust an so genannten administrativen Ressourcen geführt, ohne die in Russland keine Wahlen zu gewinnen sind.
Wo sich die KPRF als Opposition gegen den Kreml positioniert, stellt Rodina mit der gleichen Wählerschaft und ähnlichem inhaltlichem Profil eine Stütze für den Präsidenten dar. Hier geht die Rechnung Putins voll auf. Gemeinsam mit Schirinowskis LDPR und der »Partei der Generäle« – die Volkspartei von Gennadij Rajkow konnte 18 Direktmandate erringen – dürfte Rodina im Unterschied zur KPRF für eine Zweidrittelmehrheit in der Duma zu mobilisieren sein. Das wäre beispielsweise für eine Verfassungsänderung notwendig, um Putin eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Aber dieser Punkt steht im Augenblick noch nicht auf der Tagesordnung.
Dringende Entscheidungen stehen jedoch bei der Parteiführung der KPRF an. Intern wird bereits über die Zweckmäßigkeit der Aufstellung eines eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen diskutiert. Die definitive Entscheidung wird jedoch erst auf dem auf Anfang Januar verschobenen Parteitag fallen, für den heftige Auseinandersetzungen erwartet werden. Sollte sich Sjuganow für eine erneute Kandidatur entscheiden, prognostizieren Beobachter den endgültigen Untergang der KPRF.
Aber auch die Suche nach einem profilierten Nachfolger für Sjuganow stellt sich als höchst problematisch dar und kann zur Spaltung der Partei führen. Die Parteiführung dementiert Gerüchte über die Ablösung des Vorsitzenden, während die Basis davon spricht, das sei ein »Teil des Kremlplanes«. Nach Angaben der Internetzeitung RBC daily hat sich Sjuganow bereits Bedenkzeit erbeten für die anstehenden nötigen Konsequenzen.
Auch bei den Liberalen ist ein neuer Kurs angesagt. Die Aufstellung Anatoli Tschubais, des Chefs des russischen Strommonopolisten RAO EES, war für die SPS ein gewagtes Unternehmen. Nach wie vor schadet seinem Image die unrühmliche Rolle, die er als einer der Chefprivatisierer zu Beginn der neunziger Jahre gespielt hat. Jabloko verfügt zwar über einen Stammwählerkreis in Moskau und Petersburg und hat in Sibirien sogar Stimmen hinzugewonnen, doch tut sich auch hier ein Ressourcenproblem auf. Michail Chodorkowski, der Chef des Energiekonzerns Yukos und Hauptsponsor von Jabloko, fand sich zu Beginn des Wahlkampfes im Gefängnis wieder. Schirinowski nutzte das für seine Agitation, wetterte entgegen früherer Gewohnheiten gegen die in weiten Kreisen so verhassten Oligarchen und forderte die Nationalisierung ehemaligen Staatseigentums.
Der Jabloko-Vorsitzende Grigori Jawlinski musste bekennen, dass die Ideale des westlichen Kapitalismus für viele Russen nicht attraktiv sind: »Wenn kein Lohn ausbezahlt wird, wählt man KPRF, wenn dann auch noch das Wasser und die Heizung abgestellt wird, Schirinowski.« Doch längst nicht alle entschieden sich für die nationalistischen Alternativen. Fast fünf Prozent der Wähler stimmten »gegen alle«, und die Wahlbeteiligung lag bei bescheidenen 56 Prozent. Etwa die Hälfte der Russen hat offenbar die Hoffnung verloren, dass Wahlen etwas an den sozialen und politischen Problemen ändern könnten.
Ute Weinmann