Zivildienstgesetz in Russland
Was in Deutschland in naher Zukunft dem neuen militärischen Zeitgeist zum Opfer fällt, nimmt in Russland nach über zehn Jahren Diskussion reale Konturen an. Seit dem 1. Januar 2004 wird das bislang lediglich in der Verfassung von 1993 verankerte Recht auf Zivildienst durch ein ausführendes Gesetz geregelt, welches allein durch die darin festgeschriebene Dienstdauer von 42 Monaten – bei zwei Jahren Wehrdienst – zur Abschreckung geeignet ist. Überdies schließt die Verweigerung eine Gewissensprüfung vor Gericht ein, die äußerst umstritten ist.
Mit dem Gesetzesprojekt kommt Russland einer längst überfälligen Verpflichtung durch den 1996 erfolgten Beitritt zum Europarat nach. Bereits zuvor war ein erster Gesetzentwurf von der Staatsduma abgelehnt worden, welcher ursprünglich eine klare Trennung zwischen Wehr- und Zivildienst vorsah: Das Militär sollte an der Durchführung des zweiten nicht beteiligt sein. Von den Gus-Staaten verfügen bislang einzig die Ukraine und Moldawien über eine derartig liberale Regelung, alle anderen Länder, in denen Zivildienst existiert, praktizieren eine Art Bausoldatentum unter drakonischen Bedingungen, wie z.B. Kirgisien und Usbekistan.
Das russische Gesetz geht rein formal gesehen einen Mittelweg. Es sieht den Einsatz von Wehrdienstverweigerern sowohl in militärischen als auch einer beschränkten Anzahl von zivilen sozialen Einrichtungen und Krankenhäusern vor, die direkt den Behörden unterstellt sind.
Doch liegt der Teufel im Detail – dafür trugen die Militärs Sorge. Rechtzeitig vor Verabschiedung des Gesetzes wandte sich der Chef des russischen Generalstabes, Anatoli Kwaschnin, mit einem Schreiben an die Duma, in dem er Ersatz für jeden Wehrpflichtigen forderte, der dem Militär durch den Zivildienst entgehe. Damit keine Verluste für die Armee entstehen, sollen nun Zivildienstleistende ebenso wie Wehrpflichtige ihren Dienst nicht in ihrer Herkunftsregion ableisten dürfen und faktisch kaserniert werden. Dies bedeutet, dass die bislang vom dafür zuständigen Arbeitsministerium noch gar nicht ermittelten zivilen Einsatzstellen – geplant sind nach Angaben des Ministers für Arbeit und soziale Entwicklung, Alexandr Potschinok, etwa 140 000 – Wohnheimplätze zur Verfügung stellen müssen. Doch haben sich die zu Sowjetzeiten zahlreich vorhandenen Wohnheime im Unterschied zu den Kasernen längst zu festen Bleiben gewandelt.
Der Jungle World sagten der Dumaexperte Lew Lewinson und der in Verweigerungsprozessen erfahrene Anwalt Roman Maranow aus Perm, dass das Militär lediglich insgesamt 3 000 Zivildienstleistende bei knapp unter 400 000 Wehrpflichtigen pro Jahr tolerieren werde. Doch ist ohnedies kaum mit einem größeren Andrang zu rechnen. Derzeit liegen von gerichtlich anerkannten Verweigerern etwa 2 000 Anträge auf Zivildienst vor.
Einer von ihnen hat bereits Klage beim Verfassungsgericht wegen der überzogenen Dienstzeit eingereicht. Doch wird diese im Zuge der anstehenden Armeereform ohnehin verkürzt werden.
Zu befürchten ist hingegen, dass Zivis innerhalb der Armee verstärkt Opfer der berüchtigten »Dedowschtschina« werden könnten. Quälereien von Soldaten durch Offiziere, oft mit Todesfolge, stellen in der russischen Armee keine Seltenheit dar. Wer über Geld, die nötigen Beziehungen oder einen Studienplatz verfügt, entzieht sich dementsprechend auf mehr oder weniger legalem Weg der Wehrpflicht oder taucht einfach bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres unter. Wozu sich da als Zivi abmühen?
Ute Weinmann