Kaum behindert durch staatliche Verfolgung, nimmt in Russland die rechtsextreme Gewalt zu.
Auftragsmorde in Politik und Business haben in Russland ebenso wenig Seltenheitswert wie rassistische Übergriffe mit Todesfolge. Erst am Freitag wurde in Moskau der Chefredakteur der russischen Ausgabe von Forbes auf offener Straße niedergeschossen. Menschen mit dunklem Teint sind die Zielscheibe einer wachsenden Anzahl von organisierten Skins oder rechten Schlägertrupps. Wer Glück hat, kommt mit Verletzungen davon.
Der Mord an Nikolaj Michailowitsch Girenko Mitte Juni in St. Petersburg erscheint so als ein fast alltägliches Ereignis. Doch gibt es eine Besonderheit, denn alles deutet auf eine gezielte Racheaktion aus dem rechtsextremen Spektrum hin. Der Afrikaexperte und aktive Antifaschist Girenko wurde durch seine Wohnungstür hindurch erschossen, der Täter konnte ungehindert entkommen. Noch in der Woche zuvor hatte Girenko von Drohanrufen aus dem Umkreis der Nowgoroder Filiale der rechtsextremen paramilitärischen Russischen Nationalen Einheit (RNE) berichtet.
In Nowgorod geht derzeit ein Gerichtsprozess gegen mehrere Mitglieder der RNE seinem Ende entgegen, in dem Girenko als Sachverständiger der Anklage hätte auftreten sollen. Es ist nur einer von zahlreichen ähnlichen Fällen, in denen er durch die Vermittlung hervorragender Sachkenntnisse versucht hatte, die zunehmende Gewalt von rechts einzudämmen.
Er war einer der ersten, die Mitte der achtziger Jahre begannen, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Entgegen der geläufigen Annahme, die Sowjetunion habe durch ihre antifaschistische Grundhaltung rechten Tendenzen keinen Raum für Entwicklung gelassen, entstanden bereits in den fünfziger und sechziger Jahren informelle Gruppen, die in Flugblättern dazu aufriefen, gegen Milizionäre, Kommunisten und Komsomolzen vorzugehen. Dabei gingen nationalistische Parolen meist einher mit Antisemitismus.
Eine radikal antiwestliche Haltung in Verbindung mit Militarismus und extremem russischen Nationalismus war schließlich auch in den höchsten Parteiorganen und im Komsomol anzutreffen. Lange Jahre existierte eine Art rechte Ideologieschule mit der Eigenbezeichnung »Russische Partei«, die praktisch die Vorläuferin der während der Perestroika gegründeten nationalistischen Bewegungen war. Angesichts der offiziellen Propaganda, wonach der sowjetische Staatsapparat als links galt, nimmt es nicht Wunder, dass Proteste gegen den Apparat aus linker Perspektive in der Endphase der Sowjetunion mangels politischer Basis wenig Chancen auf Erfolg besaßen. Die Rechte dagegen konnte mit der Unterstützung aus offiziellen Strukturen wie beispielsweise dem Schriftstellerverband rechnen und verfügte somit über nicht unerhebliche Ressourcen, die der Linken immer fehlten.
Die RNE, die nach wie vor zu den bedeutendsten rechtsextremen Organisationen gehört, ist 1990 aus der nationalpatriotischen Front Pamjat hervorgegangen, hat sich jedoch seitdem etliche Male gespalten. Sie unterhält in vielen Städten Ausbildungszentren für ihren Kampfapparat, denen formal der Status von Sportklubs oder Ausbildungsstätten zur Vorbereitung für den Armeedienst zukommt. Ideologisch sieht die RNE ihr Vorbild im deutschen Nationalsozialismus, den sie stilistisch mit einer slawischen Variante des Hakenkreuzes kopiert.
NS-Symbolik findet in diversen Abarten auch bei anderen politischen Gruppierungen Verwendung, was in Russland strafrechtlich nicht verfolgt wird. Am Freitag entschied sich die Duma endgültig gegen ein Gesetzesprojekt, das in solchen Fällen Freiheitsstrafen bis drei Jahre vorsah. Unter diesen Bedingungen verwundert es kaum, dass in Russland seit einigen Jahren eine nicht unbedeutende Anzahl von Auschwitzleugnern am Werk ist. Im Januar 2002 fand in Moskau gar eine Konferenz international bekannter Auschwitzleugner statt, auch der Schweizer Jürgen Graf nahm daran teil.
Neben den großen Verbänden existieren zahlreiche kleinere militante Gruppen, deren Namen die ganze Palette von im Westen bekannten Bezeichnungen aufweisen, die meist aber nur als Skins bezeichnet werden. Nikolaj Girenko agierte als Gutachter unter anderem in einem Prozess gegen die Petersburger Gruppe Schulz 88. Diese wurde im April 2001 mit dem Ziel gegründet, »Juden, Kaukasier und Afrikaner zu bekämpfen«. Der Gruppe sollen 30 bis 40 Mitglieder angehören, auf deren Konto zahlreiche gewaltsame Übergriffe auf Menschen unterschiedlicher Nationalitäten gehen, bei denen auch Messer und Eisenstangen zum Einsatz kommen. Im Winter finden die Gewalttaten im Regelfall in der Metro statt, wo nach einem Übergriff auf einen Armenier in diesem Jahr erste Festnahmen erfolgten. Ein ehemaliges Mitglied von Schulz 88 führt im Übrigen inzwischen die Moskauer Abteilung von Blood and Honour an.
Dass gegen Schulz 88 ermittelt wird, darf allerdings als Ausnahme gewertet werden. In den vergangenen zwei bis drei Jahren war ein sprunghaftes Anwachsen rechter Gewalt zu verzeichnen, doch meist wird die Miliz nur bei Todesfällen aktiv. Aufmerksamkeit erregte unlängst eine Gruppe von vier Jugendlichen in der als relativ ruhig geltenden Stadt Saratow an der Wolga. Sie sollten für ihre Aufnahme in eine der rechtsextremen Gruppen der Stadt, auch »Firmen« genannt, eine eigenständige Aktion planen und durchführen. Der 25jährige Anführer »Joker« klärte sie darüber auf, dass man mit »Nichtrussen« nicht kommunizieren dürfe, diese sollten nach Möglichkeit verprügelt und getötet werden. Die Gruppe fand ihr Opfer in dem 39 Jahre alten aserbaidschanischen Bauarbeiter Scheichow. Er konnte sich zwar den ersten Schlägen widersetzen und entkommen, aber die Skins holten ihn ein und stachen mit einem Messer in seinen Nacken und Rücken. Noch an Ort und Stelle erlag er seinen schweren Verletzungen.
Es handelte sich nicht um die erste Tat der Gruppe. Den Mord an einem 18jährigen vor zwei Jahren, welcher von einer Gruppe Skins an einem äußerst belebten Ort in der Stadt »wegen der Schlitzaugen« des Opfers verübt wurde, stufte die zuständige Staatsanwaltschaft als »Vandalismus« ein.
Das auch in vielen anderen Fällen praktizierte Verfahren der Staatsanwaltschaft, rassistische Übergriffe zu »Hooliganismus« zu erklären, ist nicht der einzige Beleg für eine zumindest punktuelle Zusammenarbeit zwischen Rechtsextremisten und Teilen des Staatsapparats. In Moskau hat sich in den vergangen zwei Jahren die Bewegung gegen illegale Einwanderung (DPNI) organisiert. Angeblich aus dem »Volkszorn« nach einer Schlägerei zwischen einem Armenier und einem Russen entstanden, präsentiert sich die »Bewegung« eher als verlängerter Arm der Behörden. Angehörige der DPNI patrouillieren gar mit offiziellen Ausweisen der Miliz und begeben sich auf die Jagd nach illegalen »Kaukasiern«.
Eines der Lösungsmodelle der ganz eigenen Art, wie es der DPNI vorschwebt, wird derzeit im Süden Russlands praktiziert. Die unter Stalin aus Georgien deportierten Mescheten sollen in die USA abgeschoben werden. Ende Juni wurden fast 100 Mescheten ausgeflogen, nachdem sich die US-Regierung dazu bereit gefunden hatte, ihnen Asyl zu gewähren.
Ute Weinmann