Rassismus auf Russisch

Auftrieb für die extreme Rechte durch die «Bewegung gegen illegale Immigration»

Eine Zeit lang hatte es den Anschein, als erlebe die extreme Rechte in Russland infolge zahlreicher Zerwürfnisse und Spaltungen eine nicht enden wollende organisatorische Krise. Die einst bedeutendste rechtsradikale paramilitärische Gruppierung, die Russische Nationale Einheit, abgekürzt RNE, war Ende der 1990er Jahre mit Hilfe des Inlandsgeheimdienstes FSB zerstückelt worden. Darauf hin entstand eine Vielzahl kleinerer Gruppen, deren bekannteste und aktivste die «Nationalsozialistische Bewegung Slawischer Bund» mit dem einprägsamen Kürzel SS unter der Führung von Dmitrij Djomuschkin ist.

Trotz zahlreichen Besorgnis erregenden Aktivitäten und gekonnt in Szene gesetztem öffentlichen Auftreten nimmt der Slawische Bund jedoch eher eine Randposition ein. Für eine Massenbasis reichen dessen Mobilisierungskräfte bislang nicht aus, wenngleich es zumindest an eigenen finanziellen Ressourcen nicht zu mangeln scheint, doch innerhalb der extremen Rechten kann er durchaus einen wachsenden Einfluss verzeichnen.

Den größten Beitrag zur Konsolidierung der Rechten leistete in den vergangenen Jahren jedoch die «Bewegung gegen illegale Immigration» (DPNI). Ausgestattet mit einem im Vergleich zum Großteil der rechten und faschistischen Gruppierungen in Russland moderaten Erscheinungsbild gibt sie vor, sich für die sozialen Rechte des russischen Volkes einzusetzen. Dabei verzichtet sie auf antisemitische Agitation und legt ihren Schwerpunkt auf die Hetze gegen sogenannte illegale ImmigrantInnen. Gemeint sind damit in erster Linie Menschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nichtslawischer Herkunft. Gezielt versucht die DPNI die wachsende Anzahl rechter Skinheads in ihr Konzept zu integrieren. Ihr Erfolgsrezept scheint bislang aufzugehen, die Bewegung verfügt annähernd in der Hälfte der 88 Regierungsbezirke der Russischen Föderation über eigene Zweigstellen und sichert sich durch ständige Präsenz in der Öffentlichkeit mediale Aufmerksamkeit. Ob die DPNI diesen ideologischen und organisatorischen Modernisierungsschub hingegen ausschließlich aus eigener Kraft gemeistert hat, darf bezweifelt werden.

Die Gründungslegende der DPNI besagt, die Bewegung sei Mitte Juli 2002 entstanden als spontane Antwort des Volkszorns auf gegen das «russische Volk» gerichtete Übergriffe im Moskauer Umland durch «Kaukasier». Einen Tag später war im Internet bereits eine professionell erstellte Webpage zugänglich. In der Folge baute die DPNI ihr Netzwerk immer weiter aus, ohne auf etwaige Hindernisse zu stoßen. Wo andere Organisationen mit wachsenden Schwierigkeiten bei der Beantragung der für Kundgebungen und Demonstrationen erforderlichen Genehmigungen zu kämpfen haben, gehört die DPNI zu den wenigen Strukturen, denen der legale Gang auf die Straße nicht zunehmend verwehrt wird. Dabei verfügt sie nicht einmal über eine Registrierung als anerkannter Verein. Dies sei Absicht, erklärte unlängst auf einer Pressekonferenz in Moskau (1) ihr Anführer Aleksandr Below, dessen Amt die Bezeichnung «Koordinator des Zentralrates» führt. Wenn eine Genehmigung für eine Kundgebung gebraucht werde, helfen befreundete Organisationen aus, und die Vorteile, so Below, lägen auf der Hand. Sie bräuchten demnach keine Steuern zu entrichten und ohne registrierte Büroräume gäbe es auch kein Ziel für etwaige Hausdurchsuchungen.

Aleksandr Below, mit bürgerlichem Namen Potkin, begann seine politische Karriere bei der Nationalpatriotischen Front «Pamjat» als rechte Hand und Pressesprecher von deren Gründer, dem inzwischen verstorbenen Dmitrij Wassiljew. Allein dadurch verfügt er nicht nur über entsprechende Kontakte und Erfahrung in der rechten Szene, sondern auch über die nötige Autorität. Below wirbt aktiv für die Zusammenarbeit mit rechtsextremistischen Organisationen wie dem Slawischen Bund und seit geraumer Zeit strebt die DPNI eine enge Allianz mit Kosakenverbänden an, die im Süden Russlands traditionell als militante Hüter eines ethnonationalistischen Weltbildes fungieren. Immer häufiger sind Personalunionen anzutreffen wie in der Stadt Saratow, wo der örtliche Kosakenataman Andrej Fetisow gleichzeitig in die lokalen Führungsstrukturen der DPNI involviert ist. (2)

Als «Kampfgenossen» akzeptieren Kosaken inzwischen auch vermehrt rechte Skinheads und Neonazis, wie beispielsweise die «Nationalsozialistische Gesellschaft», mit der wiederum auch die DPNI kooperiert. Was die Kosaken in einigen Regionen längst praktizieren, findet nun vermehrt unter Beteiligung der neuen Bündnispartner statt. Verbände nach dem Vorbild der DPNI, die seit April 2005 zur Organisierung in Kleingruppen à fünf Personen aufruft, patrouillieren legal in Absprache mit den lokalen Behörden durch ganze Stadtteile. So geschehen Ende September am städtischen Feiertag im südrussischen Krasnodar. In den 1990er Jahren konnte die RNE in vielen Städten Russlands als faktische Hilfspolizei auf einen ähnlichen Zuspruch setzen.

Die DPNI agiert jedoch nicht allein auf dem rechten Flügel, sondern hat sich darüber hinaus Zugang zur patriotischen Linken verschafft. Anfang Mai diesen Jahres beteiligte sie sich in Absprache mit der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF) offiziell an deren Kundgebung in Moskau anlässlich der Kampagne gegen die Wohnungsreform. Below erhielt sogar das Wort unmittelbar nach der Rede des kommunistischen Parteivorsitzenden Gennadij Sjuganow. Im Anschluss erhoben die Anhänger der DPNI ihre Arme zum Hitlergruß. Die darauf folgenden Debatten machten zwar deutlich, dass das Erscheinen der DPNI innerhalb der KPRF nicht auf ungeteilte Zustimmung traf, doch ist die Rechtstendenz der Partei keine neue Erscheinung und könnte sich durch die jüngsten Ereignisse sogar noch beschleunigen.

Nach einer Umfrage des Levada-Zentrums von Anfang Oktober sprechen sich 52 Prozent der Bevölkerung in Russland für die offizielle Bezeichnung des Landes als «Staat des russischen Volkes», in dem nichtrussische ImmigrantInnen zwar leben und arbeiten dürfen, jedoch bestimmte Einschränkungen hinnehmen müssen. Dabei stoßen AusländerInnen bereits jetzt auf erhebliche Schwierigkeiten im russischen Behördendschungel, die eine legale Arbeitsaufnahme oder Meldung am Wohnort in vielen Fällen fast unmöglich machen. Nicht wenige ziehen es vor, bei Kontrollen die üblicherweise von der Miliz geforderten umgerechnet etwa 15 Euro «Bußgeld» zu zahlen mit dem Risiko, ein paar Tage später oder womöglich noch am selben Tag an einem anderen Ort noch einmal um die gleiche Summe erleichtert zu werden.

Die Forderungen der DPNI belaufen sich jedoch nicht nur auf gewisse Einschränkungen, sondern sehen eine grundlegende Änderung der gegenwärtigen Rechtslage vor. Demnach sollte die Visafreiheit innerhalb der GUS-Staaten komplett abgeschafft — gegenwärtig benötigen nur georgische StaatsbürgerInnen ein Visum für den Aufenthalt in Russland — und ein Abschieberegime etabliert werden, welches in der Lage ist, alle «illegalen» ImmigrantInnen aus dem Land zu schaffen. Wünschenswert sei außerdem die Aufweichung des Strafrechts für russische StaatsbürgerInnen, welche sich «zu eifrig gegen illegale Immigration» engagieren und dadurch unfreiwillig gegen russisches Recht verstoßen. (3)

Von der zunehmend angeheizten Stimmung gegen sogenannte Illegale profitieren hauptsächlich diejenigen, die sich unmittelbar an der Arbeitskraft der neuen Sündenböcke bereichern. Gerade im Baugewerbe ist die Beschäftigung ohne entsprechende Genehmigungen gang und gäbe. Die DPNI sorgt durch ihr Auftreten für die zunehmende Verunsicherung der rechtlosen Beschäftigten, Bauunternehmer wiederum ziehen es vor, Geld an korrupte Behörden fließen zu lassen, welches bei den illegal Beschäftigten eingespart werden kann.

Vor den in anderthalb Jahren anstehenden Präsidentschaftswahlen wird die DPNI zunehmend zu einem wichtigen politischen Instrument des Kremls und verfügt mit Igor Setschin über einen wichtigen Fürsprecher direkt in der Präsidialadministration. Trotz oder gerade wegen der wirtschaftlichen Stabilisierung im Land wächst der soziale Unmut in der Bevölkerung, denn von den Öldollars profitieren längst nicht alle. Nun soll das angedeutete Versprechen der Umverteilung von Eigentum die russische Bevölkerung bei Laune halten. Im Zuge des Konflikts mit Georgien forderte der russische Präsident Wladimir Putin, Ordnung auf den russischen Märkten herzustellen «zum Schutz der Interessen der russischen Produzenten und der angestammten Bevölkerung Russlands».

Die DPNI griff diese Forderung umgehend auf, indem sie sich als Sprachrohr und Handlanger des Präsidenten definierte. Sie will sich in nächster Zeit bei allen zuständigen Behörden dafür einsetzen, «die Region von ethnischen kriminellen Strukturen zu säubern, die Märkte und andere von Migranten auf ungesetzliche Weise angeeignete ökonomische Branchen an die angestammte Bevölkerung zu übergeben.» Im Oktober fand landesweit eine beispielslose Aktion gegen GeorgierInnen statt. Zahlreiche Menschen wurden per Flugzeug nach Georgien abgeschoben, etliche sitzen in Haft, da ihre Ausreise aus Russland mit abgelaufenen Papieren gescheitert war. Die Stadt St. Petersburg meldete bereits wenige Tage nach Beginn der Operation «Migrant» maßlos überfüllte Unterkünfte für Abschiebehäftlinge. Über Schulkinder mit georgischen Nachnamen spürte die Miliz deren Eltern auf, Restaurants wurden geschlossen und die freigewordenen Plätze auf den Märkten wurden längst von anderen übernommen.

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Den bislang größten propagandistischen Erfolg konnte die DPNI im Zusammenhang mit dem «Tag der Volkseinheit» verbuchen, welcher in Russland am 4. November 2006 zum zweiten Mal als offizieller Feiertag begangen wurde. Im Vorfeld warb die DPNI für eine Wiederholung des „Russischen Marsches“ vom Vorjahr, an dem sich etwa 3.000 RechtsextremistInnen zu einem Aufmarsch durch Moskau versammelt hatten. Nur brüstete sich Below dieses Mal damit, bis zu 10 000 TeilnehmerInnen zu mobilisieren. Allerdings erließen die Moskauer Behörden kurzerhand ein Demonstrationsverbot und erteilten lediglich die Genehmigung für eine Kundgebung der nationalistischen Partei „Narodnaja Wolja“. Die DPNI reagierte prompt und rief ihre Anhänger überraschend dazu auf, sich am Morgen des 4. November in der weitläufigsten Station der Moskauer Metro zu treffen, die gleichzeitig einen zentralen Verkehrsknotenpunkt in der Millionenstadt darstellt. Der PR-Effekt war grandios, praktisch alle Zeitungen berichteten von nun an minutiös über alle Ereignisse rund um den geplanten Aufmarsch. Dessen Organisatoren disponierten allerdings kurzfristig um und riefen zur Beteiligung an der genehmigten Kundgebung auf. Nach deren Beendigung ergriff Below, dem die Veranstalter das Wort zuvor nicht erteilen wollten, die Initiative und führte spontan auf dem Weg zurück zur Metro den angekündigten „Russischen Marsch“ an der Spitze einer Kolonne mit etwa 1000 Personen an. Ein Spalier aus OMON-Einheiten ließ den Zug trotz zum „Sieg Heil“ erhobener Arme etlicher Demonstranten und zahlreicher Sprechchöre vorbeiziehen. Erst nach dessen Beendigung erfolgten willkürliche Festnahmen. Demnach gelang es allen an dem Spektakel Beteiligten ihr Gesicht zu wahren: die Behörden stellten durch das Verbot und die anschließenden Verhaftungen ihre vermeintlich antifaschistische Grundhaltung zur Schau, die DPNI wiederum stellte ihre Entschlossenheit unter Beweis, um jeden Preis Präsenz zu zeigen. Und deren Anführer Below erhielt im Anschluss ausreichend Gelegenheit bei Lifesendungen im Radio und politischen Debatten in Moskauer Klubs seine Ansichten zum Besten zu geben.

Ganz frei und ungestört gelingt es der DPNI dennoch nicht immer zu agieren. Selbst Below wurde im Dezember im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Volksverhetzung einem Verhör unterzogen. Hintergrund ist das aufhetzerische Vorgehen der DPNI bei den ausländerfeindlichen Ausschreitungen im karelischen Kondopoga Anfang September vergangenen Jahres. Aber was von Weitem wie eine Strafe aussieht, kann auch Teil eines perfiden Kalküls sein, zumindest aber propagandistisch in geeigneter Form genutzt werden. Schließlich besteht die Funktion der DPNI sicherlich nicht darin, als positiv besetzter verlängerter Arm des Staatsapparates in weitgehender Unabhängigkeit zu existieren. Zur kontrollierbaren Bindung der ewig unzufriedenen Ordnungsfanatiker und zur Erhaltung der Glaubwürdigkeit der jeweiligen „Protestbewegung“ braucht es eine maßvolle Gängelung durch den Staatsapparat, ansonsten könnte der Eindruck entstehen, deren Inhalte seien absolut identisch mit den Interessen des Staates. Und damit würde sie sich selbst überflüssig erklären. Bislang jedenfalls erfüllt die DPNI ihre Rolle als durchaus manipulierbare und berechenbare pseudooppositionelle Struktur in vorbildlicher Weise.

Im Übrigen verweist die DPNI mittlerweile auf den ersten Märtyrer aus ihren Reihen. Kurz vor der Jahreswende kam der Leiter der Sektion der DPNI im westlichen Distrikt von Moskau, der 17-jährige Pawel Rjazantsew, infolge einer Messerattacke ums Leben. Die Täter konnten unerkannt entkommen, dennoch ist sich die russische Rechte sicher, dass die Tat eindeutig von Immigranten, vorzugsweise Kaukasiern, begangen wurde.

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Gegenwärtig bereitet sich die DPNI auf den «Tag der Volkseinheit» vor, den 4. November. Vor einem Jahr versammelten sich etwa 3.000 RechtsextremistInnen zu einem Aufmarsch durch Moskau. Die DPNI mobilisiert als Veranstalterin für den diesjährigen Marsch, an dem sich auch wieder der Slawische Bund beteiligen will. Below plädiert für ein breites Bündnis, bei dem alle Zugeständnisse eingehen sollten. Allerdings wollen der «Eurasische Jugendbund» und die «Union orthodox gläubiger Bürger» auf ihre Teilnahme verzichten. Nichtsdestotrotz brüstet sich die Rechte damit, dieses Mal bis zu 4.000 Personen zu mobilisieren.

Ute Weinmann

Anmerkungen:

1) Anlässlich der Ereignisse im karelischen Kondopoga Ende August/Anfang

September. Bei einer Schlägerei in einer Bar wurden zwei russische Männer getötet, anschließend fanden mehrtätige Pogrome in der Stadt gegen Läden und andere Einrichtungen von Aserbaidschanern und Tschetschenen statt, zu denen u.a. die DPNI mobilisiert hatte.

2) S. http://xeno.sova-center.ru

3) S. www.dpni.org

ak Nr. 510

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