Ute Weinmann. Die «Märsche der Unzufriedenen» haben sich durch das brutale Vorgehen der Polizeisondereinheit OMON als medientaugliches Modell erwiesen. Sind sie Ausdruck einer Stärke der Opposition gegen Putin?
Fast jeder westliche Zeitungsleser und jede Fernsehzuschauerin hat von der Opposition gegen den amtierenden russischen Präsidenten Wladimir Putin gehört. Doch der Bekanntheitsgrad der Märsche liegt in Russland nach Umfragen höchstens bei dreißig Prozent. Die Duma- und Präsidentschaftswahlen in Russland rücken unaufhaltsam näher und es stellt sich die Frage, was sich hinter diesen Märschen der Opposition verbirgt.
Ihren Anfang nahm die heutige Opposition im Herbst 2004 auf dem ersten sogenannten Bürgerkongress, der auf die Konsolidierung eines weiten Spektrums bis dahin zersplitterter gesellschaftlicher Kräfte gegen das autoritäre Regime in Russland ausgerichtet war. Damals nahmen vor allem Liberale und Menschenrechtsorganisationen teil, doch selbst in diesem eingeschränkten Kreis wurde schnell deutlich, dass die Kritik an Putin den einzigen gemeinsamen Nenner bildet und es schwierig werden dürfte, über dieses Minimum hinaus ein politisches Programm zu entwerfen. Das im vergangenen Sommer konstituierten Bündnis aus Parteien, Bewegungen und Einzelpersonen «Das andere Russland» ist in dieser Hinsicht bislang keinen Schritt weiter gekommen.
Das Imageproblem des «Anderen Russland» beginnt bereits auf der Ebene der Führungsfiguren. Wo der ehemalige Schachgroßmeister Garri Kasparow mit seiner im Jahr 2005 gegründeten Bewegung «Allgemeine Bürgerfront», kurz OGF, als Quereinsteiger in die politische Szene noch auf Sympathien hoffen kann, will Michail Kasjanow mit seiner «Volksdemokratischen Union» offenbar nicht wahrhaben, dass er als ehemaliger Ministerpräsident unter Präsident Putin bei dem Großteil der von seinen Reformen betroffenen Bevölkerung von Anfang an verspielt hat. Nach wie vor hält sich hartnäckig sein vielsagender Spitzname «Zwei-Prozent-Mischa», den jener sich Mitte der 90er Jahre in seiner Zeit als stellvertretender Finanzminister durch «Provisionszahlungen» bei der Abwicklung von Hermeskrediten und anderen Geschäften eingehandelt hat. Sein Vermögen dürfte allein ausreichen, die gesamte Opposition zu finanzieren. Kasjanow versuchte auch, sich bei den Ölgewerkschaften einzukaufen, die dessen Angebot jedoch ausgeschlagen haben.
Jugendliche Nationalbolschewiken
Innerhalb des Bündnisses «Das andere Russland» versucht jedes Mitglied seine jeweiligen spezifischen Interessen umzusetzen, ohne die Illusion einer langfristigen gemeinsamen Perspektive zu pflegen. Die Nationalbolschewistische Partei (NBP) unter der Führung von Eduard Limonow benötigte einen Partner, um nicht allein der Jagd der Staatsgewalt gegen sie ausgesetzt zu sein. Die NBP wurde nämlich in den Medien nach Abklingen der aktiven Phase des Tschetschenienkriegs als Staatsfeind Nummer Eins gehandelt. Eine ideologische Wende hat die NBP hingegen nicht vollzogen. Ihr geht es im Kern um die Errichtung eines totalitären Staates – ohne ihre derzeitigen Bündnispartner versteht sich. Die Voraussetzung für die nicht unumstrittene Annäherung an jene war, dass die NBP nicht nur die Bereitschaft zur äußerlichen Läuterung signalisierte, sondern als einzige sich anbietende oppositionelle Organisation über eine relevante jugendliche Basis verfügt. Den liberalen Kräften war der Aufbau von tragfähigen Jugendorganisationen bis dahin kaum Geld und Mühe wert und mit der NBP konnten sie auf eine ausgebaute Struktur zurückgreifen. Auch die Bereitschaft zu radikalen Aktionen hatten die Nationalbolschewiken längst unter Beweis gestellt, womit sie über Qualifikationen verfügen, die in liberalen Kreisen fast vollständig fehlen.
Den gleichen Trumpf spielte später die auf eine Wiedererrichtung der Sowjetunion ausgerichtete «Avantgarde der roten Jugend», kurz AKM, aus, bzw. eines deren Spaltungsprodukte unter der Führung von Sergej Udaltsov. Neben dem Öffentlichkeitseffekt mag bei der Annäherung an «Das andere Russland» auch noch der finanzielle Aspekt eine Rolle gespielt haben. Mangels anderer Sponsoren musste sich die AKM zuvor auf lokale Aktivitäten beschränken. Der Spagat, auf den sich die AKM als Organisation mit kommunistischem Selbstverständnis innerhalb eines liberalen Bündnisses eingelassen hat, dürfte allerdings auf Dauer nicht haltbar sein und wird früher oder später ernsthafte Konsequenzen für deren Image nach sich ziehen. Es sei denn, sie verlässt das Bündnis. Zu diesem Schritt hatte sich die «Mutterpartei» der AKM, das «Werktätige Russland» von Viktor Anpilov, bereits Ende März entschlossen.
Die unlängst verbotene «Republikanische Partei» von Wladmir Ryzhkow und die völlig unbedeutende Jugendorganisation «Oborona» vervollständigen die Liste der Mitgliedsorganisationen des «Anderen Russland». Planziel ist bis Herbst die Kommunistische Partei KPRF und die liberale «Jabloko-Partei» zu integrieren. Dann nämlich soll der Präsidentschaftskandidat des Bündnisses für die Wahlen 2008 bestimmt werden.
Schwammige liberale Parolen
Die Chancen des Oppositionskandidaten sind im Unterschied zur Ukraine allerdings gleich Null. Ein entscheidender Grund ist, dass die Erinnerungen an den wirtschaftliberalen Crash-Kurs Anfang der 90er Jahr in der Bevölkerung wach genug ist, um sich nicht von den schwammigen Parolen der liberalen Opposition angesprochen zu fühlen. Deren Kritik richtet sich ohnehin nur gegen die Bereicherung von Seiten staatlicher Strukturen und wirkt somit nicht besonders glaubhaft.
Gelegentlich profitiert jedoch auch «Das andere Russland» von der steigenden Protestbereitschaft in der Bevölkerung, wie beispielsweise in St. Petersburg Anfang März, als sich mehrere Tausend «Unzufriedene» auf einer verbotenen Demonstration eingefunden hatten. Dabei handelte es sich jedoch Großteils mitnichten um Anhänger des Oppositionsbündnisses, vielmehr nutzen jene die Gelegenheit, ihren Zorn gegen die Politik in der Stadt zum Ausdruck zu bringen. Unbeachtet von den Medien finden vielerorts lokale Kämpfe statt, doch wird noch einige Zeit vergehen müssen, bis diese in landesweit relevante Protestkampagnen münden.
Ute Weinmann
antidot Nr. 3