Um seinen Wahlsieg muss sich Wladimir Putin keine Sorgen machen. Doch die Partei des Präsidenten ist nicht so populär, wie er es gerne hätte.
Es muss ein Triumph werden. Die russischen Parlamentswahlen am kommenden Sonntag sind von der Regierung so vorbereitet worden, dass alles andere einer herben Niederlage gleichkäme. Doch mitunter bereitet es mehr Mühe als erwartet, ein Ziel zu erreichen, obwohl die strategischen Planungen lange im Voraus erfolgt sind.
Jeder im weitesten Sinne der Opposition zugerechneten und nicht von der Regierung kontrollierten Partei wurde eine Doppelgängerin mit ähnlicher Programmatik an die Seite gestellt, um Wählerstimmen abzufangen. Die für den überwältigenden Sieg vorgesehene Partei »Einiges Russland« hat den Vorteil ständiger medialer Präsenz und kann auf wertvolle administrative Ressourcen zurückgreifen.
Eine ernst zu nehmende Konkurrenz stellten die liberalen Opponenten, von Garri Kasparow über den ehemaligen Ministerpräsidenten Michail Kasjanow bis hin zur Union der rechten Kräfte (SPS), ohnehin nie dar. Und zwar weniger deshalb, weil die Regierung ihnen so sehr zusetzt. Vielmehr ist ihre Politik nicht sonderlich populär, ihr wirtschaftsliberales Programm wird als Rückschritt in die Privatisierungsphase der neunziger Jahre angesehen, an die man sich in Russland nur ungern erinnert.
Doch trotz des absehbaren Sieges des »Einigen Russland« könnte es Legitimationsprobleme geben. Die Partei wird zwar die meisten Stimmen erhalten, aber da es sich bei den diesjährigen Wahlen genau genommen um ein Plebiszit für den amtierenden Präsidenten Wladimir Putin handelt, gelten Lob und Vertrauensvotum weniger ihr als dem ersten Mann im Staat. Dessen Anfang Oktober verkündete Entscheidung, auf dem obersten Listenplatz zu kandidieren, sorgte paradoxerweise nicht für den erwarteten Anstieg der Popularität der Jedinorossy (Einheitsrussen). Denn insbesondere die horrenden Preissteigerungen für Lebensmittel im Oktober sorgten für Missstimmung in der Bevölkerung, und trotz Absprachen mit Vertretern von Lebensmittelketten und Großhändlern über eine Preisbindung bis zu den Wahlen ließ sich nicht verbergen, dass die Visionen der Parteibürokraten wenig mit den realen Gegebenheiten gemein haben.
Eine zusätzliche Mobilisierung wurde daher nötig. Um die erforderliche Legitimationsgrundlage für Putin zu schaffen, wird eine Zustimmung von über 70 Prozent bei einer möglichst hohen Wahlbeteiligung angestrebt, die nur unter Aufbietung aller zur Verfügung stehenden Kräfte erreicht werden kann. Die dabei verfolgte Strategie ist nur allzu durchsichtig. Es gilt, Putin als nationale Kultfigur, ja gar als eine Art unersetzlichen Übervater zu etablieren. Für politische Fehlentscheidungen muss hingegen das »Einige Russland« gerade stehen, die Partei müsse von »Draufgängern« bereinigt werden, meint der Präsident. Der Mann an der Spitze kann schließlich nicht über alle Vergehen seiner Basis informiert sein. Von der realen Macht wird die Partei indes ferngehalten, die soll weiter bei den einflussreichen und vertrauten Kadern aus der Präsidialadministration verbleiben.
Im November häuften sich im ganzen Land Sympathiebekundungen für den Präsidenten. Die von der Regierung gesteuerte Bewegung »Für Putin« will den treuen Anhängern einen organisierteren Rahmen verschaffen. Es gibt nicht viel zu sagen, außer dass Putin bleiben soll, auch nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit im Frühjahr 2008. Eine dritte Amtszeit untersagt die Verfassung, auf welche Weise Putin es bewerkstelligt, an der Macht zu bleiben, ist zweitrangig.
Auf dem Forum seiner vereinigten Anhänger ließ Putin sich am Mittwoch der vergangenen Woche in Moskau vor 5 000 Menschen als nationaler Führer feiern und forderte die Massen auf, an den Wahlen teilzunehmen und für das »Einige Russland« zu stimmen. Anderenfalls drohe die Duma zu einer »Versammlung von Populisten, durch Korruption und Demagogie gelähmt«, zu verkommen. Hier drängt sich die Frage auf, ob das nicht bereits Realität ist.
Wesentlich spannender geriet Putins Tirade gegen seine ärgsten Feinde, die danach »trachten, Revanche zu nehmen und das oligarchische System wieder herzustellen, das auf Korruption und Lüge basiert«. Es war nicht schwer zu erraten, dass er damit hauptsächlich seine Konkurrenten aus der Kommunistischen Partei (KPRF) und der SPS meinte. Putin warf den Oppositionellen vor, sich »wie Schakale von ausländischen Botschaften füttern« zu lassen. Oppositionelle Demonstrationen am Wochenende in Moskau und St. Petersburg wurden von der Polizei angegriffen, die mehrere hundert Menschen festnahm, unter ihnen führende Politiker der SPS und Kasparow.
Der Präsident ist bemüht, sich vom oligarchischen Herrschaftsmodell seines Vorgängers Boris Jelzin abzugrenzen. Doch so mancher Verantwortliche für die von Wladimir Putin zu Recht in seiner Rede angeprangerten Vergehen der neunziger Jahre hat seine politische Karriere auch unter seiner Regierung fortgesetzt. Auch Putins Regime trägt oligarchische Züge, allerdings erwartet der Präsident Loyalität von den Milliardären.
Trotz aller Bemühungen ist das »Einige Russland« nicht so populär, wie die Regierung es wünscht. Schenkt man den jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts VZIOM Glauben, die nur wenige Tage vor dem Forum erstellt wurden, wollen nur etwa 56 Prozent der Wähler für das »Einige Russland« stimmen. Alle anderen Parteien einschließlich der KPRF würden nicht die für den Einzug in die Duma erforderlichen sieben Prozent erreichen.
Doch nach der Veröffentlichung dieser Zahlen gestand das VZIOM, dessen Leitung auch Vertreter der Präsidialadministration angehören, die gleichzeitig als Hauptauftraggeber fungierte, ein, dass Daten aus drei Regionen nicht in die präsentierten Ergebnisse eingeflossen seien. Schuld seien technische Störungen. Die nachgebesserten Werte ergaben ein anderes Bild. Demnach kann das »Einige Russland« noch mit 50 Prozent, die KPRF mit über sieben Prozent der Stimmen rechnen. Diesem Fehler mögen in der Tat technische Schwierigkeiten zugrunde gelegen haben, die KPRF könnten derartige negative Prognosen jedoch jene Stimmen kosten, die ihr den Einzug ins Parlament ermöglichen würden.
Die KPRF versucht, sich mit sozialen Forderungen von Putin abzugrenzen. Doch vor allem die Aussicht, als womöglich einzige nicht vom Präsidenten kontrollierte Partei in der nächsten Duma vertreten zu sein, könnte ihr über den Kreis ihrer Anhänger hinaus Wähler zutreiben. Diese Ansicht dürfte jene zur Stimmabgabe für die Kommunisten animieren, die den siegessicheren und arroganten Jedinorossy ihren Triumph nicht gönnen. Eine langfristige Strategie fehlt der Partei mit ihren immerhin noch etwa 81 000 Mitgliedern allerdings.
Ein anderer Teil der Linken hat sich indes bereits im Sommer auf das »Gerechte Russland« von Sergej Mironow eingeschworen. Ilja Ponomarjow, der ehemalige Anführer der Linken Front, der seine Karriere einst beim Ölkonzern Yukos begann und später in der KPRF fortsetzte, spekulierte darauf, über einen sicheren Listenplatz ins Parlament zu kommen. Das »Gerechte Russland« sollte ursprünglich in einem von Putin anvisierten Zweiparteiensystem eine Alternative zur KPRF bilden, doch mit seiner Kandidatur wurde dieser Plan hinfällig, und für eine andere Strategie reichten weder Zeit noch Ressourcen.
Das »Einige Russland« hat nun die volle Unterstützung des Staatsapparats, die Partei kann sich aus den Budgets der Regionen bedienen, verfügt jedoch auch über andere Möglichkeiten, sich Geld zu verschaffen. Durch die Anfrage eines Abgeordneten des Irkutsker Gebietsparlaments gelangte unlängst die Information an die Öffentlichkeit, dass der Erlös aus dem Verkauf staatlicher Anteile des Energieunternehmens Werchnetschonskneftegas auf dem Konto der Irkutsker Jedinorossy gelandet sei. Der regionale Parteisekretär des »Einigen Russland« im Kemerower Gebiet, Gennadij Djudjajew, drohte gar der Sibirischen Kohle- und Energiegesellschaft, sie bei Putins Präsidialadministration zu denunzieren. Die Weigerung des Unternehmens, eine Wahlkampfspende zu entrichten, wertete Djudjajew als »Absage an den Aufbaukurs von W.W. Putin«.
Von diesem Kurs hat hauptsächlich die Bürokratie profitiert, deren Einfluss unter Putin stieg. Rückhalt hat der Präsident jedoch auch in anderen Bevölkerungsgruppen, die mit geringen, aber stetigen Lohn- oder Rentenerhöhungen bedacht wurden. Allerdings sollte die Loyalität nicht überschätzt werden. Das Lohnniveau stieg zwar an, doch auch die Kluft zwischen den Einkommen von Arbeitern und Angehörigen der Mittelklasse, den eigentlichen Profiteuren des wirtschaftlichen Wachstums der vergangenen Jahre, vergrößerte sich. Gleichzeitig schnellten die Lebenshaltungskosten in die Höhe. Die Fortsetzung der in den vergangenen Jahren begonnenen Reformen wird zusätzliche finanzielle Belastungen für einkommensschwache Haushalte mit sich bringen.
So kommt es immer wieder zu sozialen Protesten. In Putins Amtszeit wurde das Streikrecht stark eingeschränkt, dennoch legten die Arbeiter im Fordwerk bei St. Petersburg am Dienstag der vergangenen Woche ihre Arbeit nieder, sie fordern eine Lohnerhöhung von 30 Prozent und eine Verkürzung der Arbeitszeit. Die russischen Eisenbahner haben angekündigt, in dieser Woche in den Streik zu treten.
Ute Weinmann