Das geplante Bürogebäude des russischen Energiekonzerns Gazprom soll St. Petersburg überragen. Dagegen regt sich in der Stadt Protest.
Man muss schon sehr in moderne Architektur vernarrt sein, um die Ästhetik eines fast 400 Meter in den Himmel reichenden gigantischen, einer Rakete oder einem in die Länge gezogenen und zu schmal geratenen verspiegelten Tannenzapfen nachempfundenen Turms ausreichend würdigen zu können. Zumal in einer Stadt wie St. Petersburg, in deren klassizistischem Erscheinungsbild in den Augen vieler ihrer Bewohner bereits jeder Nachkriegsbau ein Affront ist. Oder aber man betrachtet Architektur in erster Linie als Manifestation herrschender Machtverhältnisse. Dann hätte die Ortswahl des russischen Gasmonopolisten Gazprom für den Bau eines überdimensionierten »Business Center« nicht passender ausfallen können.
Das Herzstück von Gazprom-City soll bereits bis zum Jahr 2012 direkt gegenüber der Petersburger Stadtverwaltung am anderen Ufer der Newa fertiggestellt werden. Die Nachbarschaft steht symbolisch für einen Deal, durch den das Bauvorhaben überhaupt erst Gestalt annehmen konnte. Ein Tochterunternehmen von Gazprom, Sibneft, verlegte unter dem neuen Namen Gazpromneft seinen Firmensitz von Omsk nach Petersburg, was der Stadt den Zufluss von nicht weniger als 400 Millionen Euro an Steuern pro Jahr bescheren soll. Dafür erhält Gazpromneft aus dem städtischen Haushalt im Verlauf der kommenden zehn Jahre umgerechnet etwa 1,7 Milliarden Euro für den Bau des Ochta-Zentrums, in dem auch die neuen Büroräumlichkeiten von Gazprom eingerichtet werden.
Trotz gegenteiliger Verlautbarungen wird die Finanzierung größtenteils aus öffentlichen Mitteln bestritten. Es ist weniger die Subventionierung eines kapitalkräftigen Unternehmens, die heftigen Widerstand in der Bevölkerung hervorruft, als die Befürchtung, durch die Errichtung des Turms, der bei der jetzigen Planung in seiner Gesamthöhe das Wahrzeichen der Stadt, die Kathedrale in der Peter-und-Paul-Festung, um das Dreifache überragen wird, verliere die Stadt endgültig ihr historisches Antlitz. Die Stadtverwaltung hat darauf eine klare Antwort parat: Untersuchungen hätten gezeigt, dass sich der Bau des Wolkenkratzers keineswegs auf das architektonische Gesamtbild der Stadt auswirken würde. Zu sehen sein wird der Turm allerdings praktisch von jedem beliebigen Standpunkt im Stadtzentrum und weit darüber hinaus. Die Unesco hat sich bereits mit einer Verwarnung an die russischen Behörden gewandt.
Die Stadt rechnet mit einem baldigen Baubeginn, dabei ist bislang nicht einmal geklärt, ob der weiche Grund überhaupt geeignet ist, den ambitionierten Vorschlag des britischen Architekturwettbewerbssiegers RMJM zu realisieren. Ein entsprechendes geologisches Gutachten fehlt vermutlich aus gutem Grund. In den neunziger Jahren war nämlich der Bau eines Wolkenkratzers an anderer Stelle an der Bodenbeschaffenheit gescheitert. Im derzeitigen Russland spielt indes der wachsende Protest in der Bevölkerung eine wichtigere Rolle.
Bereits Ende Dezember lehnten die Behörden die Registrierung einer Initiativgruppe für ein Referendum gegen Gazprom-City ab. Kundgebungen enden nicht selten mit kurzzeitigen Festnahmen von Teilnehmern und Organisatoren. Kleine Erfolge gibt es dennoch. Mit einer Klage vor dem Obersten Gericht gelang einem im Verlauf zahlreicher Protestkundgebungen gegründeten Bürgerbündnis im vergangenen Herbst immerhin die Durchsetzung von Nachverhandlungen des städtischen Bebauungsplans vor einem Gericht. Mitte Januar fand schließlich eine öffentliche Anhörung statt, während der sich über 600 Gegner des Bauvorhabens im und vor dem Saal drängelten.
Die Proteste gegen Gazprom-City haben eine ganze Reihe neuer Initiativen hervorgebracht, darunter auch die Bewegung Zhivoj gorod (»Lebendige Stadt«), die nach alternativen Protestformen sucht. Denn viele Menschen sympathisieren zwar mit den Zielen der neuen Bürgerbewegungen, scheuen jedoch die bei Kundgebungen oft unvermeidliche Konfrontation mit der Miliz.
Ute Weinmann