Hochkonspirativ ging es am vergangenen Sonntag in der Moskauer Innenstadt zu. Etwa 70 Menschen waren am Vormittag in organisierten Kleingruppen auf einem der zentralen Boulevards erschienen, um mit einem »Marsch der Gleichheit« gegen die Diskriminierung von Homosexuellen zu demonstrieren. Die von radikalen Feministinnen, der »Regenbogenassoziation« und linken politischen Aktivisten angemeldete Veranstaltung war zuvor verboten worden. Als Begründung führten die Behörden Bedenken an, dass Kinder und Jugendliche »moralischen Schaden« davontragen könnten, ja ihre psychische Gesundheit sei gefährdet, sollten sie unfreiwillig Zeugen der karnevalistischen Parade Homosexueller werden. Die Polizei hatte allerdings Wind von dem nunmehr im Geheimen geplanten Marsch bekommen. Eine versuchte Festnahme endete jedoch mit der geschickten Flucht des betroffenen Aktivisten und einem Sprintduell, bei dem der uniformierte Angreifer klar unterlag.
Einen Tag zuvor hatten sich ganz legal im Stadtzentrum 1 500 Gegner der Gay-Pride-Parade versammelt und für traditionelle Familienwerte demonstriert. Dabei fiel der im Vergleich zu ähnlichen Protestkundgebungen geringe Altersdurchschnitt auf: Die Mehrheit der sich als Gläubige bezeichnenden Teilnehmer war offensichtlichjünger als 30 Jahre.
Am selben Ort meldete der Veranstalter regelmäßig verbotener Gay-Pride-Paraden, Nikolaj Aleksejew, für den 28. Mai eine Kundgebung für die Toleranz gegenüber Homosexuellen in Russland an. Ursprünglich hatte sich die Stadt sogar für eine Genehmigung ausgesprochen, zog diese aber wegen zahlreicher Proteste zurück.
Einen Erfolg kann Aleksejew aber für sich verbuchen: Anfang April entschied der Europäische Gerichtshof, dass Russland in den vergangenen Jahren mit seiner Verbotspolitik gegen die Versammlungsfreiheit verstoßen habe und sprach Aleksejew knapp 30 000 Euro Schadensersatz zu.
Ute Weinmann