Mächte, Rechte und Gerechte

Zur Vorbereitung auf die Wahlen werden in Russland neue Parteien gegründet. Oppositionelle Aktivitäten sind von ihnen allerdings nicht zu erwarten.

In Russland lebt man zwar gezwungenermaßen mit vielen Unwägbarkeiten, aber wenn es um Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen geht, wird nur wenig dem Zufall überlassen. Der Plan geht über alles und muss erfüllt werden. In der Vergangenheit wurden Risiken durch die Mobilisierung jenes Teils der Bevölkerung minimiert, der von staatlichen Löhnen, Renten oder sonstigen Zuschüssen abhängig ist. Zudem verfügt die Partei von Premierminister Wladimir Putin, Einiges Russland, über jede Menge weiterer Einflussmöglichkeiten, die man zusammenfassend gerne als »administrative Ressourcen« bezeichnet.

Damit im Dezember, wenn über die Zusammensetzung der neuen Duma abgestimmt werden soll, ein vorzeigbares Ergebnis herauskommt, haben sich die Ideologen und Strategen der Regierung dieses Mal einige neue Ideen einfallen lassen. Das mussten sie auch, denn Umfragen zufolge könnte das Einige Russland weniger als 60 Prozent der Stimmen erhalten und die angestrebte Zweidrittelmehrheit verfehlen. Als Maßstab dienen zudem die Regionalwahlen vom März dieses Jahres. Die bescherten der führenden Partei zwar 68 Prozent der Stimmen, aber trotz des Erfolgs lösten sie eine parteiinterne Debatte aus, die zahlreiche Probleme offenlegte.

Andrej Isajew, Sekretär im Parteipräsidium und für die Ideologie verantwortlich, nannte Anfang April drei Hindernisse auf dem Weg zum Wahlsieg: das Auftauchen einer »neuen sozialen Gruppe«, die dem Einigen Russland mit echter Abneigung begegne, den übermäßigen Einsatz »administrativer Ressourcen« und die sichtbare Präsenz sogenannter Rechter im Machtapparat, die der Partei den Kampf angesagt hätten. Womit keineswegs Konservative oder Faschisten gemeint sind, sondern Wirtschaftsliberale, die versuchen, ihren Einfluss jenseits des bestehenden Parteiensystems auszudehnen.

Um der realen Nachfrage nach einer wirtschaftsliberalen Partei mit einer formal unabhängigen, aber kontrollierbaren Organisation zu begegnen, reanimierte die Regierung die im November 2008 aus drei anderen Parteien hervorgegangene Rechte Sache. Deren Führung hatte von Anfang an ihre Loyalität gegenüber dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew bekundet, aber für einen effektiven Einsatz fehlte der Partei bis vor kurzem ein geeigneter Vorsitzender.

Ursprünglich war geplant, Putins Stellvertreter Igor Schuwalow die Parteiführung anzubieten, doch stellte dieser unerfüllbare Bedingungen. Er forderte nämlich tatsächliche Unabhängigkeit von den für derartige Projekte zuständigen Kuratoren in der Präsidialadministration. Doch mit Michail Prochorow, dem Chef der Finanzgruppe Onexim, war schnell ein idealer Ersatzkandidat gefunden. Er wird am 25. Juni den alleinigen Vorsitz übernehmen. Politische Erfahrungen bringt der sogenannte Oligarch und Playboy nicht mit, dafür verfügt er über ein Milliardenvermögen und warb bereits im Kreis seiner reichen Freunde um tatkräftige Unterstützung. Sein ambitioniertes Ziel ist es, die Rechte Sache als zweitstärkste Partei in die Duma zu führen.

Das dürfte dem Einigen Russland gelegen kommen, denn es braucht für die bevorstehenden Wahlen ohnehin einen neuen Juniorpartner. Das Gerechte Russland hat ausgedient, insbesondere in der Regionalpolitik hatte sich die Partei stellenweise zu viel herausgenommen. In der gleichen Woche, in der Prochorow sich für die Rechte Sache entschied, erfolgte die Absetzung des vormaligen Parteichefs Sergej Mironow von seinem Posten als Vorsitzender des Föderationsrats, der Parlamentskammer der Regionen. Zwischenzeitlich ging sogar das Gerücht um, das Gerechte Russland werde sich mit dem Einigen Russland vereinigen. Dies könnte als Maßnahme gedacht sein, um eine Kandidatur Medwedjews für das Gerechte Russland bei den Präsidentschaftswahlen zu verhindern. Das Einige Russland bestreitet solche Pläne jedoch.

Neu geschaffene Parteien gehörten auch bei vergangenen Parlamentswahlen schon zum Repertoire. Dieses Mal allerdings werden die Bemühungen versteckt, denn es ist nötiger denn je, den Eindruck von Dynamik zu erwecken, wo sich unübersehbar Stagnation ausbreitet. Wahlen erscheinen wie zu Sowjetzeiten als ein inhaltsleeres Ritual, und brauchbare Parteikader bleiben trotz Nachwuchsschulung rar.

Einfache Lösungen gibt es nicht, doch Wladimir Putin will Abhilfe schaffen. Anfang Mai rief er die Allrussische Volksfront ins Leben. Noch bevor seine Parteikader, Beamten und Regionalfürsten Zweck und Programm der neuen Initiative erahnen konnten, hatten sie sich eifrig daran gemacht, dem Gründungsauftrag Folge zu leisten. Nach knapp einem Monat sollen der Front bereits 450 Vereine beigetreten sein. Für die Aufnahme sind die landesweit verteilten Büros des Premierministers zuständig. Allerdings steht der Beitritt offenbar nicht allen offen, und es existiert keine geregelte Aufnahmeprozedur. Vielmehr sind Überredungskunst und Erfindungsgeist bei den zuständigen Staatsdienern gefragt.

Denn nicht überall trifft Putins Initiative auf ungeteilten Zuspruch. So reagierte sein Partner Dmitrij Medwedjew zurückhaltend, und bei so manchen zur Loyalität erzogenen Kadern bleibt die erhoffte Unterstützung aus. Der Verband der Marinekriegsveteranen im Kaliningrader Gebiet verweigert sich dem Beitritt aus Protest gegen zu geringe Sold- und Rentenzahlungen. Gleichzeitig griffen mehr oder weniger oppositionelle Gruppen die Idee auf und gründeten eine Reihe alternativer Volksfronten. Die Kommunistische Partei, die bei den Regionalwahlen immerhin 13 Prozent erhielt, verkündete, dass sich eine echte Volksfront nur um die Kommunisten scharen könne.

Geld soll es weder aus dem staatlichen Haushalt noch aus dem Parteibudget des Einigen Russland geben, schließlich soll die Volksfront jene vereinigen, die einen eigenen Beitrag zum Wohl des Landes leisten wollen. Zumindest lautet so ihr offizieller Auftrag. Mittlerweile gibt die Partei offen zu, dass sie sich von dem Projekt mindestens 150 neue fähige Kader für die Wahllisten erwartet, überdies soll das Interesse an den Wahlen wachgehalten werden.

Weil aber die russische Duma wenig Einfluss hat, konzentriert sich das öffentliche Interesse auf die Präsidentschaftswahlen. Doch die offiziellen Pläne stehen offenbar noch nicht fest oder sollen erst zu einem geeigneten Zeitpunkt bekanntgegeben werden. Bis dahin darf spekuliert werden, ob das Herrscherduo Putin-Medwedjew miteinander in freundschaftlichem Einklang steht oder sich vielleicht doch größere Differenzen entwickelt haben.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2011/23/43362.html

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