In Russland hat der Wahlkampf begonnen. Am 4. Dezember wird die neue Duma gewählt und selbst wenn im Vorfeld die ungefähre Stimmverteilung bereits ausgemachte Sache ist, nutzt jede Partei die Chance, die Bevölkerung von der Richtigkeit ihrer jeweiligen Parteiprogrammatik zu überzeugen. Bereits jetzt zeigt sich, dass die Wahlkampfrhetorik von nationalistischen Tönen dominiert wird. Ende August noch hatte der russische Präsident Dmitrij Medwedjew bei einem Treffen mit den Vorsitzenden der aussichtsreichsten Parteien vor den Gefahren eines nationalistisch geführten Wahlkampfs gewarnt und mit Strafen gedroht, sollten Politiker zwischenethnische Konflikte schüren.
Dabei hatte Medwedjews Tandem-Partner Premierminister Vladimir Putin mit seiner ad hoc ins Leben gerufenen Allrussischen Volksfront den Kurs bereits vorgegeben. Weil es aber neben einer Struktur insbesondere öffentlichkeitswirksame Kader braucht, hat der Kreml angekündigt, Dmitrij Rogozin aus seinem Brüsseler Exil nach Moskau zu beordern. Rogozin, der bei den letzten Wahlen als Zugpferd der Partei „Rodina“ mit antimigrantischen Parolen hausieren ging („Säubern wir Moskau vom Müll“), war damals zu weit gegangen und auf den Posten als ständiger Vertreter Russlands im NATO Hauptquartier abgeschoben worden. Weil der talentierte Rechtspopulist bei einem breiten Publikum auf Sympathien stößt, dient er dem Kreml für den Wahlkampf als willkommene Verstärkung.
Der rechtspopulistische Politclown Wladimir Zhirinovskij kündete bereits an, dass die „russische Frage“ zu einer der zentralen Wahlkampfthemen seiner Partei LDPR wird. So lautet die Parole seiner Wahlkampagne „Für die Russen“. Schließlich wolle die LDPR sich keinen Beschuldigungen aussetzen, wonach sie gegen missliebige Minderheiten auftrete. Im Übrigen zeigt sich auch bei der als „liberale“ Alternative zur Kremlpartei „Einiges Russland“ antretenden Partei „Rechte Sache“, der seit Juni der kremloyale Milliardär Michail Prokhorow vorsteht, dass nationalistisch eingestellte Kader willkommen sind. Insbesondere im Moskauer Umland verzeichnet die Partei einen Mitgliederzulauf durch rechtsradikale Skinheads. Schließlich, so einer der führenden Parteifunktionäre im Umland, sei es unklug, das „nationalistische Feld“ ganz und gar Zhirinovskij zu überlassen.
Wie aktuell die gewählte thematische Ausrichtung des russischen Wahlkampfs ist, unterlegen die Anfang September veröffentlichten Umfrageergebnisse des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum. Auf die Frage, ob sich die Anzahl der russischen Anhänger rechtsextremistischer Ansichten in den vergangenen Jahren vermehrt habe, antworteten 52 Prozent mit „Ja“. 46 Prozent gaben an, Ressentiments gegenüber Menschen anderer Nationalitäten zu hegen und fast ebenso viele spüren eine feindseligen Haltung sich selbst gegenüber seitens Angehöriger anderer Nationalitäten. Als Gründe für nationalistische Tendenzen im Land machten 44 Prozent der Befragten das vermeintlich provozierende Verhalten von Migranten verantwortlich. Noch im Januar lag diese Zahl bei 37 Prozent. Eine sinkende Zahl der Befragten sucht die Gründe bei den schlechten Lebensbedingungen in Russland. Tatsächlich steckt Russland weiterhin in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, die sich u.a. dadurch bemerkbar macht, dass allein im ersten Quartal 2011 die Anzahl derjenigen, deren Einkommen unter dem zulässigen Existenzminimum liegt, von etwa 170 Euro von 20,6 auf 22,9 Millionen anstieg.
Der Staat lässt indes seit dem vergangenen Jahr zunehmend im rechtsradikalen Spektrum angesiedelte und einflussreiche Organisation verbieten. Anfang September entschied das Oberste Gericht über die Zulässigkeit des Verbots des Russischen Allgemeinnationalen Bunds RONS, den ein Gericht in der Stadt Wladimir Ende Mai als „extremistisch“ eingestuft hatte. Dem Entscheid gingen weitere Verbote voraus, wie beispielsweise der „Bewegung gegen illegale Immigration“ oder dem regionalen Ableger der St. Petersburger „Nationalsozialistischen Initiative“. Verbote allein tragen allerdings wenig dazu bei, rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen in der russischen Gesellschaft zu bekämpfen, zumal sich die Regierung gerade in Wahlkampfzeiten nur allzu gern nationalistischer Rhetorik als Lenkungsinstrument bedient.