In Russland fanden erneut Razzien bei NGOs und anderen Organisationen statt, die angeblich über ausländische Finanzierung verfügen. Problematisch ist das vor allem für kleine NGOs in abgelegenen Gebieten.
Seit der ersten Märzhälfte führten russische Behörden Razzien bei Dutzenden NGOs in 24 Regionen durch. Vermutlich 5 000 Organisationen bekamen bereits von Angehörigen der Staatsanwaltschaft, des Finanzamts, des Justizministeriums, der Polizei oder des Brandschutzes unerwarteten Besuch, manchmal begleitet vom russischen Sender NTV. Dieses Mal waren auch die Auslandsvertretungen der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung betroffen, außerdem die Filiale des Goethe-Instituts in Nowosibirsk.
Von Interesse für die Behörden waren alle möglichen Unterlagen, von Vereinsstatuten bis zu Unterschriftenlisten der Besucher von Veranstaltungen. Ihr Hauptaugenmerk richteten die Beamten jedoch auf Informationen über ausländische Finanzierungsquellen. Die zu historischen und Menschenrechtsfragen arbeitende Organisation Memorial stellte insgesamt 2 300 Kopien zur Verfügung, andere NGOs widersetzten sich den Aufforderungen und müssen nun mit einer Strafe rechnen. Grund für die Razzien ist dem Justizministerium zufolge unter anderem die Suche nach »ausländischen Agenten«. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle bestellte den russischen Gesandten deshalb ins Auswärtige Amt. Zumindest gegenüber der Konrad-Adenauer-Stiftung ließen die Behörden ihre Forderungen schnell wieder fallen.
Nachdem das umstrittene Gesetz, demzufolge Organisationen in Russland mit ausländischen Finanzquellen sich öffentlich als »Agenten« zu erkennen geben müssen, im November vergangenen Jahres in Kraft getreten war, unternahm bislang nur eine einzige Menschenrechtsorganisation aus Tschuwaschien mit dem Namen »Schild und Schwert« den Versuch, sich zu outen – mit dem Ziel, das Verfahren und die weitere Anwendung des Gesetzes einer Prüfung zu unterziehen. Das Justizministerium erteilte dem Antrag Ende Januar jedoch eine Absage. Nur wenige Tage zuvor hatte sich der russische Justizminister Alexander Konowalow geweigert, gegen russische Empfänger ausländischer Fördergelder vorzugehen. Das »Agentengesetz« widerspreche dem Geist der Gesetzgebung über NGOs, außerdem sei sein Ministerium ohnehin nicht in der Lage, die ausländische Herkunft solcher Zuwendungen zu ermitteln und die Tätigkeit einer Organisation als politisch einzustufen.
Eigentlich müssten die Behörden über alle Details hinsichtlich der Arbeit von NGOs im Bilde sein, schließlich sind diese verpflichtet, alle Arbeitsvorgänge genauestens zu dokumentieren und regelmäßig Bericht zu erstatten, was die Offenlegung ihrer Finanzierungsquellen einschließt. In Russland sind über 220 000 NGOs registriert, 242 als Filialen ausländischer Organisationen. Planmäßig kontrolliert zu werden, gehört in Russland zum Alltag jeder Organisation, insbesondere dann, wenn ihre Beschäftigten den Staatsdienern bei ihrer Arbeit genau auf die Finger sehen und so unbequem werden. Das lässt sich ohne Geld aus dem Ausland kaum bewerkstelligen. Der bürokratische Aufwand, den rigiden Vorschriften zu entsprechen, ist hoch und bindet Ressourcen, die sinnvoller eingesetzt werden könnten. Auch bei den Behörden wächst der Aufwand. Womöglich ist diesem Umstand ein Hauch von Selbstkritik geschuldet, den eine Direktive der Generalstaatsanwaltschaft von August 2011 enthält. Darin heißt es, die Mitarbeiter griffen zuweilen unnötigerweise in die Arbeit von NGOs ein, zur Vorbeugung solcher Tendenzen seien vorzugsweise offen zugängliche Informationsquellen zu nutzen, darunter auch das Internet.
Vor Panikmache schützt die von den Razzien betroffenen Organisationen ihre Routine im Umgang mit übergriffigen Behörden. Deren Vorgehen zeugt oft von fehlender Sachkenntnis. So wies der Vorsitzende des häufig ins Visier staatlichen Kontrollwahns geratenden Komitees gegen Folter, Igor Kaljapin, darauf hin, dass dieses Mal Razzien nur in den Zweigstellen der Organisation stattfanden, die Buchhaltung laufe jedoch über die zentrale Geschäftsstelle. Diese Maßnahmen stünden im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung, so die offizielle Begründung für die Durchsuchung beim unter anderem im Nordkaukasus tätigen Komitee gegen Folter. Kaljapin, der gleichzeitig Mitglied im Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten ist, vermutet, dass infolge der jüngsten Überprüfungen kaum mit der Schließung seriös arbeitender NGOs zu rechnen sei. Dem schließen sich andere Betroffene an.
Dennoch setzen staatliche Stellen durch ihr rigoroses, wenngleich inkonsequentes Vorgehen ein deutliches Signal. Die NGOs, die bereits seit Jahren gegen staatliche Willkür vorgehen, wie viele Menschenrechtsorganisationen, werden sich auch durch dauerhafte Schikanen nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Abschreckend wirken die jüngsten repressiven Maßnahmen sicherlich auf jene Organisationen, die über eine schwache Infrastruktur und nur über einen begrenzten Zugang zu medialer Öffentlichkeit verfügen, insbesondere in den vom Machtzentrum weit entfernten russischen Regionen. Und die Razzien gehen vorerst weiter. Bis zu 100 Organisationen in jeder Region sind der Generalstaatsanwaltschaft zufolge zur Prüfung vorgesehen.
Die für Russland typische selektive Anwendung strenger und oft widersprüchlicher Gesetze führt einerseits zu einer permanenten Alarmbereitschaft, andererseits aber auch zu Nachlässigkeit, denn wie die Interpretation von Regelungen im Einzelfall aussieht, lässt sich vorher nur schwer abschätzen. Strafverfolgungsbehörden verfügen durchaus über einen gewissen Handlungsspielraum, dabei erweitern sich ihre Kompetenzen zusehends.
Ute Weinmann