Die Beziehungen von Litauen und den anderen baltischen Staaten zu Russland waren nie gut, jetzt nehmen die Spannungen zu.
Auf der Homepage des russischen Außenministeriums findet sich eine Notiz zu den russisch-litauischen Beziehungen aus dem Jahr 2011. Daraus geht hervor, dass sich das Verhältnis zwischen den beiden Ländern seit der Unabhängigkeit Litauens 1991 alles in allem zufriedenstellend entwickelt habe. Dass dem nicht immer so war, geschweige denn heute so ist, spiegelt sich auf der Website lediglich in einzelnen Äußerungen diverser Ministeriumsangehöriger wider. Die Wahrung diplomatischer Contenance ist deren Stärke jedoch nicht.
Vor wenigen Tagen kommentierte das russische Außenministerium einen Vorfall in Litauen als »Hexenjagd in Kalter-Kriegs-Manier«. Tatsächlich übt sich auch die litauische Seite verbal nicht unbedingt in Zurückhaltung und gelegentlich schreitet das kleine baltische Land sogar zur Tat.
Anfang Dezember erfolgten in zwei russischen Schulen der litauischen Hauptstadt Vilnius, einem Gymnasium und einer Mittelschule, Hausdurchsuchungen. Bereits im Oktober ließ die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Lehrkräfte einleiten, da der Verdacht bestünde, dass deren Schüler unter ihrer Leitung in paramilitärische Lager für Jugendliche aus ehemaligen Sowjetrepubliken nach Russland gereist seien. Dort, ließen litauische Medien verlauten, vermittelten russische Sondereinheiten den Schülern die Grundsätze für Sabotageakte und Terrorismus in Litauen und anderen Nato-Mitgliedsstaaten. Das Nachrichtenportal 15min.lt berichtete mit Verweis auf nicht näher genannte eigene Quellen, dass über die russische Botschaft in Litauen für die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen und sportlichen Trainingslagern angeworbene Schüler in Russland buchstäblich den Umgang mit Waffen übten. In paramilitärischer Manier würden sie einer propagandistischen »Gehirnwäsche« unterzogen, um sie auf eine zukünftige Invasion Russlands in Litauen vorzubereiten. Daraufhin forderte der Christdemokrat Mantas Adomenas, dem Verdacht nachzugehen.
Zugenommen haben die Spannungen zwischen Litauen und Russland, nachdem Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaitė Mitte November den gefürchteten Nachbarn als »terroristischen Staat« bezeichnet hatte, den es zu stoppen gelte. Des Weiteren bezichtigte sie Russland der Feigheit, da dessen Regierung die russische Militärpräsenz im Osten der Ukraine weiterhin leugne. Wenige Tage später unterzeichneten Grybauskaitė und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in Kiew eine Vereinbarung über eine strategische Partnerschaft für die kommenden zwei Jahre. Bei dem Treffen der befreundeten Staatsoberhäupter sagte Litauen der Ukraine Militärhilfe zu, darunter auch die Lieferung von Rüstungsgütern. Litauens Präsidentin sprach in erster Linie von Ausbildungsprogrammen für ukrainische Offiziere. Russland reagierte prompt. Autos mit litauischen Nummernschildern unterliegen an der Grenze zu Russland seither verschärften Zollkontrollen, so dass de facto der Grenzverkehr fast zum Erliegen kam. In der Duma kochten derweil die Emotionen hoch. Aus den Reihen der Kommunistischen Partei (KPRF) ertönte der Vorschlag, die diplomatischen Beziehungen zu Litauen einzustellen und gegen dessen Präsidentin ein Einreiseverbot zu verhängen. Abgeordnete der Partei »Gerechtes Russland« plädieren für die Einstellung von Import und Export über litauische Häfen und ein Ende des Güterverkehrs mit der litauischen Eisenbahn. Ökonomisch betrachtet sitzt Russland am deutlich längeren Hebel, da die Auswirkungen solcher Maßnahmen für Litauen wesentlich dramatischer ausfallen würden. Gleichzeitig muss die russische Regierung dafür sorgen, dass der Transit über die einzige Landstrecke in die Exklave Kaliningrad nicht gefährdet wird.
Ob Russland seinem Drang nach Vergeltung durch entsprechende praktische Schritte nachkommen wird, ist also fraglich. Aber genau deshalb fallen die verbalen Reaktionen auf Grybauskaitės Vorwürfe umso heftiger aus und nehmen nicht zufällig Bezug auf das gemeinsame sowjetische Erbe. Alexander Lukaschewitsch, hochrangiger Repräsentant des russischen Außenministeriums, riet Litauens Präsidentin, ihre im Komsomol erworbene Hitzigkeit zu dämpfen und Komplexe hinsichtlich ihrer sowjetischen Vergangenheit abzulegen. In die gleiche Kerbe schlugen russische Medien, indem sie daran erinnerten, dass Grybauskaitė selbst dann noch der KPdSU treu blieb, als sich in Litauen bereits ein kommunistischer Reformflügel als eigenständige Partei formiert hatte. Erst 1990 schlug sich die zukünftige Präsidentin auf die Seite der Demokraten.
Dennoch behält sich Russland gegenüber seinen baltischen Nachbarn vor, als Druckmittel immer wieder Sanktionen einzusetzen. Meist sind es Milch- und Fleischprodukte, deren Beanstandung politische Spannungen begleiten und die bis zur Beilegung von Konflikten auf politischer Ebene aus den Regalen russischer Lebensmittelgeschäfte verschwinden. Dieses bereits zur Tradition gewordene Ritual im Umgang mit den baltischen Staaten hat seinen Ursprung allerdings nicht im Konflikt mit Litauen, sondern mit Lettland. Dort ließen die Behörden im Frühjahr 1998 Proteste russischsprachiger Rentner brutal auflösen, woraufhin Russland erstmals in seiner postsowjetischen Geschichte zum Mittel der Sanktionen griff, als unzweideutige Missbilligung bestimmter politischer Ereignisse. Über ein Viertel der Bevölkerung Lettlands ist russischsprachig. Deren Stellung in der lettischen Gesellschaft führt regelmäßig zu Vorwürfen von gezielter Diskriminierung vor, allem bei der Sprachpolitik.
Die lettische Regierung wiederum hegt große Befürchtungen hinsichtlich der Loyalität der russischsprachigen Bevölkerung. Im Sommer sagte die lettische Führung russischen Fernsehsendern den Kampf an, die sich in Lettland großer Beliebtheit erfreuen und per Satellit über nichtlizenzierte Signalverbindungen aus Russland praktisch in jedem Haushalt empfangen werden können. Am effektivsten trägt jedoch der Euro zur Minimierung der baltisch-russischen Beziehungen bei, denn bei dem derzeitigen Rubelverfall kann sich nur noch ein Bruchteil der russischen Bevölkerung eine Reise in die Euro-Zone leisten.
Ute Weinmann