Der Krieg und die Linke

Zur Lage der emanzipatorischen Linken in Russland und der Ukraine

Drastisch gesprochen sorgte der mit russischer Unterstützung geführte Krieg in der Ukraine zumindest hinsichtlich der emanzipatorischen Linken in Russland für einen begrüßenswerten Nebeneffekt: Er hat die Spreu vom Weizen getrennt. Endgültig oder jedenfalls auf absehbare Zeit. Dabei sind seit Beginn des Maidan und auch nach Einsetzen der Kampfhandlungen im Donbass keine grundsätzlich neuen Konfliktlinien aufgetreten, aber die bereits bestehenden haben sich so sehr vertieft, dass sich schier unüberwindliche Gräben innerhalb der im weitesten Sinne sich als links positionierenden Kräfte auftun. Aber nicht immer beschränken sich Differenzen auf unterschiedliche Organisationen und politische Zusammenhänge.

Was den offenen oder indirekten Unterstützern der von so manchen Linken als Vorposten im Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus oder Wahlweise der ukrainischen Oligarchie interpretierten „Volksrepubliken“ Optionen für neue Bündnisse insbesondere in der extremen Rechten beschert, führte bei emanzipatorischen Kräften der Linken im Zuge des eskalierenden Kriegsgeschehens gelegentlich zu internen Zerwürfnissen.

So finden sich beispielsweise bei der Autonomous Workers Union (AST), die sich vor einem Jahr durch eine kritisch-solidarische Haltung gegenüber der Maidan-Bewegung hervortat, heute unterschiedliche Einschätzungen hinsichtlich des militärischen Vorgehens der Kiewer Zentralregierung gegenüber den Abtrünnigen im Osten. Die AST spricht sich gegen eine Zwangsmobilisierung zum Fronteinsatz und eine Verkürzung der Wehrpflicht aus. Gekämpft werden soll auf freiwilliger Basis. Was jedoch die Notwendigkeit einer militärischen Verteidigung ukrainischen Territoriums anbelangt bzw. die persönliche Präferenz zugunsten oder gegen die individuelle Beteiligung an Kampfhandlungen, stehen sich diametral entgegengesetzte Positionen gegenüber.

Dabei sieht sich die ukrainische Linke mit einem gesellschaftlichen Klima konfrontiert, das es noch schwieriger als während des Maidan macht, vom Mehrheitsdiskurs abweichende kritische Positionen offen zu formulieren und sich damit Gehör zu verschaffen. Noch komplizierter ist die Situation für Linke oder anarchistische Gruppen im Donbass. Wer sich mit kritischen Tönen bei den derzeitigen Machthabern unbeliebt macht, muss mit erheblichen Konsequenzen rechnen. So mancher Aktivist richtet sich deshalb im Untergrund ein, andere haben die Region verlassen.

Die kriegsbedingte patriotische Grundstimmung formiert oder deformiert in gewisser Weise auch den Diskurs zwischen emanzipatorischen Gruppieren oder einzelnen Vertreter_innen. Zwistigkeiten zwischen der ukrainischen und russischen emanzipatorischen Linken bleiben nicht aus. Aufgrund der Vielzahl an schockierenden Ereignisse rund um das Kriegsgeschehen, die die Grundfeste der ukrainische Gesellschaft völlig auf den Kopf gestellt haben, dominiert auch im aktivistischen Kreisen eine von Emotionen geleitete Wahrnehmung und Reaktion. Das hat zur Folge, dass selbst geringfügigste Differenzen plötzlich in eine ungemeine Wucht umschlagen und ihre ursprüngliche Bedeutung über alle Maßen ansteigt. Aus diesem Grund scheint die Erreichung eines Konsens, den es für gemeinsame Erklärungen und Handeln benötigt, fast unmöglich, was die Gefahr einer Depolitisierung der Debatten in sich birgt. Ein vorübergehender Ausweg mag in dem Versuch bestehen, sich zunächst soweit als möglich auf Allgemeinplätze zu beschränken, um überhaupt Gemeinsamkeiten zu finden.

Aber die unterschiedlichen nationalen Perspektiven und Diskurse lassen sich eben nicht völlig ausblenden und kommen nicht zuletzt auf der symbolischen Ebene zum Tragen, wenn beispielsweise als Solidaritätszeichen mit der Ukraine das Schwenken einer ukrainischen Fahne eingefordert wird. Immer wieder geäußerte Erwartungen an russische Aktivist_innen, der russischen Kriegsmaschinerie eine konsequente Antikriegsrhetorik und entsprechende Aktionen entgegenzusetzen, bleiben größtenteils unerfüllt. Die Bildung eines gruppenübergreifenden Antikriegsblock auf der Moskauer Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine am 21. September 2014 scheiterte an der ursprünglichen Intention nicht zuletzt aufgrund der desolaten Lage, in der sich die russische emanzipatorische Linke befindet. Seit Wladimir Putins Rückkehr ins Präsidentenamt ist der Raum für Politik von unten derart geschrumpft, dass man nicht einmal mehr von einer Defensive linker Kräfte sprechen kann. Persönliche Aversionen und Animositäten überdecken dabei häufig politische Beweggründen bei der eigenen Positionierung. Die eigene politische Macht- und Konzeptionslosigkeit gerät zur Falle.

Durch die Ukraine-Krise verschärfte sich in Russland die ohnehin vielerorts zu beobachtende Apathie angesichts der sich immer weiter einschränkenden Handlungsoptionen und massiver Gängelung durch den Staatsapparat. In der Ukraine steht der Umgang mit praktischen Fragen im Vordergrund, beispielsweise die Versorgung von Flüchtlingen aus dem Donbass, was fast schon eine Massenbewegung Freiwilliger hervorgebracht hat und die ukrainische Gesellschaft in ihrem Selbstverständnis sichtbar beeinflusst. Das hat auch Auswirkungen auf die emanzipatorische Linke. In Russland bleiben diese Form des Agierens außen vor, dafür keimt durch die sich verschärfende Wirtschaftskrise die Hoffnung auf ein aktiveres Protestverhalten der Bevölkerung auf. Das scheint sich einerseits in der Praxis zu bestätigen, aber dass der Staatsapparat nicht unbeteiligt bleibt, zeigt u.a. die kurzfristige Absage einer zuvor genehmigten Demonstration in Twer Mitte Februar. Die von Massenentlassungen unmittelbar bedrohte Belegschaft eines Waggonbaubetriebes hatte die größten Arbeitnehmerproteste seit Jahren angekündigt.

Gerade im Aufgreifen einer klar sozial ausgerichteten Agenda finden sich Ansatzpunkte für eine emanzipatorische Politik in der sich über kurz oder lang auch die ukrainische und russische Linke wieder unvoreingenommen näher kommen können. Erste Schritte in diese Richtung sind gemacht, wenngleich davon von Außen bislang kaum etwas zu sehen ist.

Ute Weinmann

Prager Frühling

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