Die russische »Nowaja Gaseta« kämpft darum, als Oppositionsmedium erhalten zu bleiben
nd: Ist die »Nowaja Gaseta« von der Schließung bedroht?
Prusenkowa: Nein, ganz so schlimm ist es nicht. Tatsächlich gab es früher ähnliche Situationen. Die Gründe sind jetzt mehr oder weniger dieselben, mit dem prinzipiellen Unterschied, dass es jetzt nur um die zeitweilige Einstellung der Printausgabe geht, wir aber die Webseite weiter betreiben wollen. Innerhalb der Redaktion ist diese Entscheidung alles andere als populär, aber die Situation auf dem Medienmarkt zwingt uns dazu, insbesondere der immense Anstieg der Vertriebskosten. Unsere Haupteinnahmen stammen aus dem Verkauf am Kiosk, Abos, Werbung, sowohl in der Printausgabe als auch in der Online-Version, aber auch aus Investitionsmitteln. Alexander Lebedew, unser wichtigster Investor, hat seine Unterstützung allerdings vor anderthalb Jahren beendet, nachdem seine National Reserve Bank fast in den Bankrott getrieben worden war.
Warum kommt die Erklärung dann erst jetzt, wenn es doch vorher schon Probleme gegeben hat?
Anfangs haben wir einfach aus einer gewissen Trägheit heraus gearbeitet wie zuvor, außerdem profitierten wir teilweise noch von Sponsorenprojekten. Für eine strategische Entwicklung reichen punktuelle Förderungen aber nicht aus. Dazu kam eine Verschärfung der Gesetzgebung hinsichtlich der Akquise ausländischer Fördermittel. Unsere prinzipielle Haltung besteht darin, dass der Zugang zur Online-Version kostenlos sein muss. Wir können uns auf eine stabile Leserschaft stützen und sind ihr gegenüber natürlich verpflichtet.
Wie viele Menschen lesen die »Nowaja Gaseta«?
Unsere Auflage beträgt insgesamt etwa 240 000 Exemplare, alle Regionalbeilagen mit eingerechnet. Auf unserer Webseite verzeichnen wir eine halbe Million Besucher pro Tag. Dennoch können wir mit Medien wie der »Rossijskaja Gaseta«, die vom Staat direkt subventioniert werden, nicht mithalten.
Gibt es auf dem russischen Medienmarkt positive Beispiele kritischer Zeitungen oder Online-Projekte, die dank Werbeeinnahmen und Investoren, überleben können?
Dem Inhalt nach zu urteilen, trifft das am ehesten auf die RBK-Mediaholding von Michail Prochorow zu, deren Finanzierung zum Teil auf Werbeeinnahmen basiert. Dort findet solider Journalismus statt, aber vehemente politische Aussagen erlaubt sich RBK nicht. Wer nicht über Putin schreibt oder brisanten Fragestellungen gänzlich aus dem Weg geht, kann ungestört seiner Arbeit nachgehen.
Spüren Sie eine Verschärfung des politischen Klimas?
Direkt bekommen wir politischen Druck nur selten zu spüren. Uns sagt niemand, was wir zu drucken haben. Beschwerden kommen erst nach der Veröffentlichung. Es ist wesentlich leichter, ökonomischen Druck auf uns auszuüben als politischen, zum Beispiel über die Anhebung der Miete. Unsere Redaktionsräume sind Eigentum der Stadt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass bestimmte Entscheidungen wie die Festlegung der Mietkosten direkt auf uns zugeschnitten sind. Derzeit sind wir auf der Suche nach einem Kompromiss und wir sondieren diverse Optionen in den laufenden Verhandlungen. Nur wenige Geschäftsleute sind nicht in die Politik eingespannt, und noch weniger sind bereit, sich nonkonform politisch zu äußern. Es gab Versuche, uns als Trophäe zu erobern, um uns dem Kreml vorzuführen. Interessiert hat sich für uns übrigens auch Prochorow. Lebedew war für uns ein idealer Investitionspartner. Er mischte sich grundsätzlich nicht in die Redaktionspolitik ein. Seine Ansichten hat er einzig in einer Kolumne kund getan, die wir ihm dafür zur Verfügung gestellt haben. In zwei bis drei Wochen werden wir eine klare Ansage machen, wie es weitergeht. Falls die laufenden Verhandlungen erfolgreich enden, bleibt die Printausgabe erhalten.
Das heißt die »Nowaja Gaseta« blickt verhalten optimistisch in die Zukunft?
Die »Nowaja Gaseta« ist nicht einfach nur eine Zeitung, sondern ein gesellschaftspolitisches Phänomen. Bevor im Jahr 2006 Lebedew am Horizont auftauchte, waren wir ebenfalls alles andere als optimistisch eingestellt. Gründe, weiter zu kämpfen, gibt es mehr als genug. Offen bleibt jedoch die Frage, wie wir unsere Inhalte künftig kommunizieren können.
Infokasten »Nowaja Gaseta«
Die »Nowaja Gaseta« erwägt, ihre Printausgabe einzustellen. Das wäre nicht das erste Mal in der fast 22-jährigen Geschichte der Zeitung, die durch ihre konsequente Oppositionshaltung in der russischen Medienlandschaft einen besonderen Platz einnimmt und für ihren investigativen Journalismus bekannt ist. Anfangs als Tageszeitung, Mitte der 90er Jahre dann als Wochenzeitung, konnte sich die »Nowaja Gaseta« einen festen Stamm treuer Leserinnen und Leser erobern. Zurzeit erscheint sie drei Mal pro Woche. Bekannt wurde die »Nowaja Gaseta« jedoch auch dadurch, dass mehrere Mitarbeiter für ihre Recherchen mit dem Leben bezahlten. Unter ihnen ist die Reporterin Anna Politkowskaja, die am 7. Oktober 2006 in Moskau erschossen wurde und deren Büro der Erinnerung an sie dient, sowie Anastasia Baburowa, die am 19. Januar 2009 zusammen mit dem Anwalt Stanislaw Markelow ermordet wurde.
Interview: Ute Weinmann