In Russland sorgten die Pariser Anschläge für große Anteilnahme, aber auch Kritik.
In Moskau fällt es nicht schwer, sich eine Serie von Terroranschlägen vorzustellen, wie sie in Paris am Freitag, den 13. November, stattgefunden haben. Die russische Hauptstadt hat in der jüngeren Vergangenheit hinsichtlich der Opferzahl vergleichbare Anschläge erlebt, darunter vor fast genau 13 Jahren die Geiselnahme in einem Musical-Theater. Damals starben die meisten Geiseln allerdings nicht durch Schüsse islamistischer Terroristen, sondern an den Folgen der skandalösen Befreiungsaktion. Dennoch fühlt sich die terrorerfahrene Bevölkerung Moskaus prädestiniert, den Parisern ihr Beileid auszudrücken. Vor der französischen Botschaft drängten sich Anteilnehmende und in sozialen Netzwerken waren die Anschläge Thema Nummer eins.
Eine Minderheit trauerte nicht zuletzt um den Verlust der Traumstadt Paris als Projektionsfläche für eigene Vorstellungen von einer relativ heilen und sicheren Welt, die es vor der eigenen Haustür nicht zu geben scheint. Häufiger waren jedoch Stimmen anzutreffen, darunter in den großen Tageszeitungen, die ganz andere Akzente setzten. Danach habe Frankreich einen hohen Preis gezahlt für seine Interventionspolitik im Nahen Osten und die selbstverschuldete Anwesenheit von Millionen muslimischer Migranten. Ein rechter Kommentator lamentierte in der kremlnahen Tageszeitung Komsomolskaja Prawda über die französische »Toleranzorgie« als Ursache der jüngsten Anschläge. Auch beleidigte Reaktionen blieben nicht aus, da nach dem Absturz der russischen Maschine über dem Sinai Ende Oktober Europa mit weit weniger Mitgefühl aufwartete als für die Pariser Terroropfer. Die französische Wochenzeitung Charlie Hebdo hatte dem Flugzeugabsturz eine Karikatur gewidmet, die in Russland viele, darunter hochrangige Politiker, als Verhöhnung empfanden. Frankreich habe dafür nun büßen müssen.
Der für seine deutlichen Worte bekannte kremlnahe Politologe Sergej Markow schlug nach den Pariser Anschlägen ein Drei-Punkte-Programm vor: Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen in Moskau, ein gemeinsames Vorgehen Russlands, Frankreichs und der USA bei der Niederschlagung des »Islamischen Staats« sowie eine schnelle Beendigung der Streitigkeiten zwischen Russland und dem Westen bezüglich der Ukraine. Dafür müsse die »Kiewer Junta« durch eine andere Regierung ersetzt werden, andernfalls könne der Terrorismus nicht effektiv bekämpft werden. Gemäßigteren Kommentatoren würde es schon reichen, wenn Frankreich sich in seinem nach den Anschlägen geäußerten Streben nach einer engen sicherheitspolitischen Kooperation mit Russland für ein Ende der Sanktionen einsetzte.
Aus den Reihen der Kommunistischen Partei KPRF kam der Vorschlag, vor einer geplanten Reise ins Ausland ein obligatorisches persönliches Aufklärungsgespräch über etwaige terroristische Bedrohungen im Zielland mit Vertretern der Sicherheitsorgane einzuführen. Derlei Initiativen wecken, gewollt oder ungewollt, Assoziationen zur strengen sowjetischen Reglementierung der Ausreise. Prompt versicherte das russische Außenministerium, dass die Einführung von Ausreisevisa nie im Gespräch gewesen sei und davon auch heute keine Rede sein könne. Reisebeschränkungen sind für Teile der Bevölkerung ohnehin bereits Alltag. Und wenn einen Reisenden in Paris das Gleiche erwartet wie in Moskau, kann man schließlich gleich zu Hause bleiben.
Ute Weinmann
Jungle World