Im ukrainischen Kiew konnte unter großem Polizeiaufgebot Mitte Juni eine Pride-Parade stattfinden. Auf der Krim und in den sogenannten Volksrepubliken im Donbass ist es um die Rechte von Homo- und Transsexuellen jedoch schlecht bestellt.
Mit ein wenig gutem Willen geht es doch. Am 12. Juni konnten in der ukrainischen Hauptstadt an die 2 000 Menschen mehr oder weniger ungestört die »Kiew Pride« zelebrieren, bewacht von 5 500 Polizisten. In den Jahren zuvor war es beim Kiewer »Marsch für Gleichheit« immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen gekommen – oder er wurde aus Sicherheitsgründen gleich ganz abgesagt. Ein so großes Polizeiaufgebot zum Schutz der Rechte sexueller Minderheiten wie in diesem Jahr hat es in Kiew noch nie gegeben, aber auch die Teilnehmerzahl stieg deutlich an. Widerstand gegen Demonstrationen unter der Regenbogenflagge begleitet indes weiterhin jeden Versuch, die Öffentlichkeit auf bestehende Diskriminierungen aufmerksam zu machen; auch die Gewaltbereitschaft bleibt hoch.
Der Bischof der ukrainischen orthodoxen Kirche, Aleksij, gab seiner Empörung über die »Sodomiten-Parade« Ausdruck und kritisierte die Veranstaltung als Siegesparade in Kriegszeiten. Neonazis hatten Pläne zur Behinderung der Kiewer Polizei während des Marsches veröffentlicht und es gab einige Übergriffe auf dessen Teilnehmer. Aber einen Erfolg können die Veranstalter dennoch für sich verbuchen, dem viel Mühe und Lobbyarbeit zahlreicher Ukrainerinnen und Ukrainer vorausgingen , die sich in den vergangenen Jahren für eine rechtliche Gleichstellung Homosexueller eingesetzt haben. Sie finden im Staatsapparat mit ihrem Anliegen durchaus Gehör. Selbst wenn dies in erster Linie der Annäherung an die Europäische Union geschuldet sein sollte, sind positive Veränderungen unverkennbar. Dazu zählt nicht zuletzt eine in der nationalen Strategie zur Bearbeitung für Menschenrechtsfragen angestrebte gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare. Ein entsprechendes Gesetzesprojekt soll bereits bis Sommer 2017 vorliegen.
Was für die von der Regierung in Kiew kontrollierten Gebiete gilt, davon können sexuelle Minderheiten im Rest der Ukraine derzeit allerdings nur träumen. Sowohl auf der von Russland annektierten Krim als auch in den sogenannten Volksrepubliken im Donbass kann von einer Liberalisierung rechtlicher Regelungen nicht die Rede sein. Hier herrscht ein anderes Rechtsverständnis vor, maßgeblich beeinflusst durch konservative und homophobe Moralvorstellungen, wie sie sich in der russischen Gesetzgebung finden. Darauf weisen das Antidiskriminierungszentrum Memorial und das Kiewer Zentrum für bürgerliche Freiheiten in ihrem just zum »Marsch für Gleichheit« erschienenen Bericht zur Diskriminierung von LGBTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle) auf der Krim und im Donbass hin.
Auch vor den politischen Veränderungen im Jahr 2014 hatten sexuelle Minderheiten auf der Krim und im Donbass mit starken Ressentiments zu kämpfen. Eine Analyse ihrer rechtlichen Lage und zahlreiche Interviews vor Ort machen jedoch deutlich, dass der gesellschaftliche Wandel in diesen Regionen für beide fatale Folgen nach sich gezogen hat. Während auf der Krim nur noch russisches Recht gilt, haben Donezk und Lugansk eigene »Verfassungen« und Rechtsnormen ausgearbeitet. Außerdem gilt in beiden sogenannten Volksrepubliken ein Äquivalent zum russischen Verbot von »Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen«, wobei die Strafe in Lugansk weitaus höher ausfällt als in Russland.
Aussagen im Bericht zufolge wurden mit dem Auftauchen russischer Nationalisten auf der Krim Homosexuelle bereits im Frühjahr 2014 zu einer Art Freiwild deklariert. In Donezk seien als schwul eingestufte Männer zur Einschüchterung in Kellern festgehalten, erniedrigt und misshandelt worden. Angst vor Gewalt spiegelt sich in allen Interviews wider. Quantitative Aussagen lassen sich unter den gegebenen Bedingungen aber kaum treffen. Organisationen, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen, können weder auf der Krim noch im Donbass offen arbeiten. Da bleibt nur noch Rückzug oder die Emigration in die Teile der Ukraine, die von Kiew aus regiert werden.
Ute Weinmann