Jetzt geht es auf nach Sibirien. Den europäischen Teil Russlands haben russische Lkw-Fahrer, die seit Ende Mai auf landesweiter Tour unterwegs sind, bereits fast hinter sich. Ihr Ziel: den Zustand der Fernstraßen zu dokumentieren, Informationen über die Situation von Transportunternehmern vor Ort zu sammeln und selbstverständlich Aufklärung. Im vergangenen Herbst haben sie durch eine großangelegte Protestaktion gegen die Einführung einer Schwerverkehrsabgabe erstmals in großem Massstab auf sich aufmerksam gemacht und waren auch in den Medien präsent. Aber das gehört längst der Vergangenheit an. Staatliches Fernsehen und Presse erwähnen die umtriebigen Lkw-Fahrer nur noch in Verbindung mit von der Regierung vorgetragenen Absichten, die Steuerlast so umzuverteilen, dass die Kfz-Steuer nicht voll zum Tragen kommt. Die nach wie vor protestierenden Fahrer hegen indes generell arge Zweifel an der Kompetenz des Verkehrsministers Maxim Sokolow und geben nur wenig auf dessen Äußerungen.
«Uns interessieren konkrete Angaben und Argumente, die dem Ministerium nicht vorliegen», sagt Andrej Bazhutin aus St. Petersburg, einer der Koordinatoren des Protests, dem nd. «Aber ich würde mich gerne mit dem Verkehrsminister treffen». Den Lkw-Fahrern geht es schließlich um mehr, als nur um die Abschaffung der Schwerverkehrsabgabe, auch wenn dies der Auslöser ihres Protests war und nach monatelangen Vorbereitungen und diversen Streikaktionen Ende April zur Gründung der Vereinigung der Fuhrunternehmer Russlands geführt hat. Über 2000 Fahrer aus 43 Regionen haben sich ihr angeschlossen. Es ist keine Gewerkschaft im klassischen Sinne, die allein die Interessen abhängig Beschäftigter vertritt. Denn von insgesamt zwei Millionen registrierten Transportfahrzeugen befinden sich lediglich 35 Prozent im Besitz großer Speditionen, der Rest gehört Kleinunternehmern, die häufig nur über einen Lkw verfügen oder bestenfalls über bis zu zehn. Sie fürchten durch steigende Abgaben um ihre Existenz.
Ihre Ziele sind bislang recht allgemein formuliert. Es geht ihnen um die Einführung effektiver Kontrollmechanismen im gesamten Transportwesen, darunter im Straßenbau, aber ebenso um Schutz vor staatlicher Willkür, eine verbesserte Logistik und die Ausschaltung von Auftragsvermittlern, die für ihre Dienstleistungen eine Provision von über zehn Prozent der Frachtkosten kassieren. Der landesweiten Tour kommt insofern große Bedeutung zu, als dass auf Grundlage der systematisch ermittelten Informationen konkrete Forderungen an das Verkehrsministerium ausgearbeitet werden sollen.
Der Aktionsverlauf hängt stark von der jeweiligen Region ab. Vor allem im Süden Russland sehen sich protestierende Lkw-Fahrer mit einem repressiven Vorgehen der Polizei konfrontiert. Insgesamt aber fällt das Fazit positiv aus. Andrej Bazhutin betont, dass sich vor Ort viele Fahrer der Aktion anschließen. «Meistens treffen wir auf keine Widerstände. Häufig begleitet uns eine Polizeipatrouille auf der Fahrt und die Polizisten äußern ihr Verständnis für unsere Lage.» Am Dienstag trafen die Trucks in Perm ein, für Mittwoch stand sogar ein Treffen mit der Industrie- und Handelskammer in Kirow auf dem Plan. Sinn und Nutzen solcher Gespräche seien jedoch nicht ersichtlich und wirken eher wie ein Ablenkungsmanöver. Auch politischen Parteien gegenüber sind die Lkw-Fahrer skeptisch eingestellt, dafür offen für gewerkschaftliche Kontakte, auch international. Die gibt es zumindest bereits zu Kraftfahrer-Clubs Deutschland e.V., einem Interessenverband, der Ansehen und Arbeitsbedingungen der Berufskraftfahrer verbessern will.
ute weinmann
nd