Zwei Posten in der russischen Regierung wurden an Exponenntinnen des rechten Flügels der russisch-orthodoxen Kirche vergeben. Sie sorgen dafür, dass von postsowjetischer Liberalität immer weniger übrigbleibt.
Was hat die kommende Fußballweltmeisterschaft mit der russischen Orthodoxie zu tun? Ganz einfach: Ohne deren Segen gäbe es kaum noch Hoffnung auf eine termingerechte Fertigstellung des Stadionneubaus in St. Petersburg, einem der Hauptaustragungsorte der WM 2018. Mit Kosten von über einer halben Milliarde Euro wird die Zenit-Arena eines der teuersten Stadien der Welt, doch trotz der mehrfachen Bewilligung weiterer Zuschüsse zieht sich die Bauzeit in die Länge. Nach Strafverfahren wegen Hinterziehung öffentlicher Gelder, Arbeitsniederlegungen wegen ausstehender Lohnzahlungen von Subunternehmen und einer Terminverschiebung nach der anderen blieb der Stadtverwaltung Mitte September nur noch ein letzter Ausweg, um den Fans doch noch vor Jahresende die Tore zum Stadion zu öffnen: ein Gebet vor Ort mit dem Metropoliten von St. Petersburg.
Aber nicht nur Fußball, auch Bildung, Kinderschutz, ja eigentlich alle Bereiche des öffentlichen Lebens können sich dem Einfluss der Orthodoxie kaum mehr entziehen. Selbst bei der Neubesetzung gewisser Ämter schlägt sich dieser Trend nieder. Pünktlich vor Beginn des neuen Schuljahrs musste Bildungsminister Dmitrij Liwanow seinen Platz für die in der Öffentlichkeit fast unbekannte Olga Wasiljewa räumen. Ein unbeschriebenes Blatt ist die profilierte Kirchenhistorikerin mit engen Kontakten zum rechten Flügel der russisch-orthodoxen Kirche allerdings nicht. Außerdem verfügt sie durch ihre der Berufung ins Ministeramt vorangegangene Tätigkeit in der Präsidialverwaltung über Erfahrung in der Machtzentrale.
Als Wissenschaftlerin baut Wasiljewa ihre Argumentation auf Fakten auf, ihre Rückschlüsse sind jedoch ideologisch geprägt und ihre neue Funktion hat sie offenbar der Fähigkeit zu verdanken, die vom Kreml verordnete Mentalität gebührend zu vertreten: In der russischen Kultur verkörpere das Ideal eines politischen Akteurs in erster Linie der um das Wohl des Vaterlands bemühte Zar, lautet eine ihrer Aussagen. Daher kommt auch Josef Stalin bei ihr gut weg, der sich im Zweiten Weltkrieg durch Patriotismus und die Wiederbelebung des Moskauer Patriarchats der orthodoxen Kirche verdient gemacht habe. Wie solche Aussagen im reformgeplagten Bildungswesen etwas bewirken sollen, sei dahingestellt. Bedenklich ist, dass mit dem Weggang des viel kritisierten Technokraten Liwanow das Ministerium mit einem neuen Profil ausgestattet wird: Wertediskurs als Politikersatz.
Noch deutlicher zum Tragen kommt dies bei der Ernennung der neuen Kinderschutzbeauftragten, Anna Kusnezowa. Sie ist Mutter von sechs Kindern, mit einem orthodoxen Priester verheiratet und mit der radikalen kirchlichen Pro-Life-Bewegung eng verbunden, die sich durch monarchistische Vorlieben und antiwestliche Einstellungen hervortut. In ihrem neuen Amt wird sie sich rhetorisch vermutlich etwas mäßigen müssen. Alles in allem bedient sie die Erwartungen von Teilen der russischen Gesellschaft, die zwar starke Worte schätzt, dank dem Fortbestehen sowjetischer Lebensentwürfe etwa hinsichtlich Ehescheidung oder Abtreibung jedoch weit weniger konservativ eingestellt ist, als es den Orthodoxen lieb sein dürfte.
Kusnezowas Aufgabe dürfte nicht zuletzt darin bestehen, die liberal eingestellten Bevölkerung Mores zu lehren. In den vergangenen Wochen und Monaten entließ die Regierung eine Reihe ausgedienter Kader und entspricht damit den Forderungen aus der urbanen Öffentlichkeit nach Veränderung. Allerdings kaum zum Besseren. Ist das Amt mit einer ideologischen Mission versehen, genießen orthodoxe Kandidatinnen den Vorzug mit dem Nebeneffekt, dass sich der Frauenanteil in der Politik erhöht. Ansonsten dürfen unverbrauchte Gesichter für Stabilität im Machtapparat sorgen, der intern aber doch lieber auf technokratisches Kalkül setzt als auf religiöse Lippenbekenntnisse.
Nach den Wahlen zur Staatsduma, die der Partei Einiges Russland trotz Popularitätsverlust eine Zweidrittelmehrheit bescherten, darf diese in gewohnter Manier weiterarbeiten. Dabei lag die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent, in manchen Regionen sogar weit darunter. Juniorpartner bleiben die bereits bewährten Parteien, die Opposition spielt dabei keine Rolle.
ute weinmann