In Belarus haben Tausende Menschen gegen das Dekret zur »Vorbeugung des Sozialschmarotzertums« protestiert. Wer länger als sechs Monate arbeitslos ist, muss eine Strafsteuer zahlen.
Sozialschmarotzer dürfen nicht ungestraft davonkommen – dieses Prinzip ist Langzeitarbeitslosen in Deutschland nur allzu vertraut, wenngleich der bürokratische Sprachgebrauch ohne solch drastische Begriffe auskommt. In Belarus müssen sich Arbeitslose nicht nur verbal mehr gefallen lassen, sie sollen auch noch eine spezielle Steuer abführen. Am 20. Februar war der Stichtag für die Zahlung von umgerechnet 230 Euro. Wer seinen Beitrag zur Finanzierung staatlicher Infrastruktur früher geleistet hat, kam etwas billiger davon. Bei sinkenden Realeinkommen und einem Durchschnittslohn von 400 Euro im Monat hätten jedoch selbst dauerhaft Beschäftigte Mühe, die Abgabe zu leisten. So sorgte die neue Regelung für die größte Protestwelle im Land seit den Präsidentschaftswahlen 2010.
In Minsk forderten am 17. Februar mehrere Tausend Menschen im Stadtzentrum die Aufhebung der Sondersteuer. Auch in Gomel, Witebsk und anderen Städten ließen sich jeweils Hunderte von Menschen an den folgenden Tagen und Wochenenden nicht davon abhalten, ihrem Unmut lautstark Luft zu machen. Die Polizei schritt nicht ein. Allerdings machte Präsident Alexander Lukaschenko klar, was er von den Protesten hält: Arbeitsverweigerer sollten wissen, dass sie lediglich als Objekt eigennütziger Interessen jener herhielten, die bestrebt sind, das Land zu zerstören.
2015 erließ die belorussische Führung das sogenannte Dekret Nummer drei zur »Vorbeugung des Sozialschmarotzertums«, um der Staatskasse neue Einnahmen zu verschaffen. Das Dekret betrifft alle, die keine Lohnsteuer entrichten und demnach entweder keiner Arbeit nachgehen, eine illegale Tätigkeit ausüben oder ihr Einkommen aus anderen Quellen beziehen. Die belorussische Verfassung garantiert sowohl das Recht auf Arbeit aus freien Stücken als auch das Recht, keiner Arbeit nachzugehen, selbst wenn die betreffende Person dazu fähig wäre. Deshalb enthält das Dekret die Formulierung, dass Staatsbürger, aber auch Ausländer mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung dazu verpflichtet seien, sich an der Finanzierung staatlicher Ausgaben zu beteiligen.
Bis Januar 2016 verschickte das Finanzamt 470 000 sogenannter Glücksbriefe mit der Aufforderung, einen Nachweis über eine legale Tätigkeit über einen Zeitraum von mindestens 183 Kalendertagen im Jahr 2015 zu erbringen, einschließlich eines entsprechenden Belegs über erfolgte Steuerzahlungen. 54 000 haben den Betrag entrichtet, der Rest versucht sich der Verpflichtung zu entziehen oder von einem der Ausschlusskriterien Gebrauch zu machen. Wer beispielsweise einen viertel Hektar Land bearbeitet, gilt als Selbstversorger. Wer nur ein kleineres Grundstück um seine Datsche beackert oder zeitweise im benachbarten Russland gearbeitet hat, hat Pech gehabt. Bei Nichtzahlung drohen eine Geldstrafe, Polizeigewahrsam oder gemeinnützige Arbeit.
Wenn keine anderen Schritte weiterhelfen, bleibt nur noch der Gang zum Gericht. In Gomel setzte der 53jährige Alexander Semjonow auf diese Weise zumindest seine Befreiung von der Zahlungsverpflichtung durch. Sogar ein Jobangebot als Wachmann brachte ihm der Prozess ein. Er aber will die Abschaffung des seiner Ansicht nach verfassungswidrigen Dekrets erreichen, was das Gericht als einen seine Befugnisse überschreitenden Gegenstand einstufte; es stellte das Verfahren ein. Die lokale Justiz verhängte mindestens bis zum 1. Juli einen Aufschub für die Konfiszierung des Eigentums renitenter Arbeitsloser.
Schenkt man den Angaben der Statistikbehörde Belstat Glauben, so betrug die Arbeitslosenrate im Januar weniger als ein Prozent. Jüngst legte jedoch das nationale Statistikkomitee für Beschäftigung überraschenderweise davon stark abweichende Zahlen vor. Demnach verfügten 2016 knapp sechs Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung über keinen Arbeitsplatz. Der Kongress demokratischer Gewerkschaften in Belarus kritisierte, dass das Dekret das Recht auf Arbeit in eine Pflicht verwandle.
Generell steht es mit Arbeitnehmerrechten in Belarus nicht zum Besten. Auf teils noch auf Sowjetzeiten zurückgehende Formen der Zwangsarbeit wiesen die Internationale Föderation für Menschenrechte und die belorussische Menschenrechtsorganisation Viasna bereits 2013 in einem gemeinsamen Bericht hin. Darin hielten sie fest, dass ein Großteil der belorussischen Bevölkerung im Verlauf des Lebens Arbeit unter Zwang verrichten muss: ob als freiwillige Subbotniks deklariert, in der Armee oder in »Arbeitsheilanstalten«. Dort landen auch ohne Dekret Nummer drei mehrere Tausend Menschen im Jahr, weil sie vom Staat als »Schmarotzer« eingestuft werden.
ute weinmann