Ein Film über eine Liebesbeziehung des letzten russischen Zaren sorgt in Russland für gewaltsame Proteste radikalisierter Christen. Die orthodoxe Kirche hält sich mit Kritik an diesen zurück.
Ein Techtelmechtel zwischen einem künftigen Monarchen und einer Tänzerin gehört eigentlich in die Klatschspalte. Handelt es sich um eine Verfilmung der Liebschaft, schafft sie es auch einmal auf die Kulturseiten. Am Film über die Beziehung zwischen Nikolai II., dem letzten russischen Zaren, und der Ballerina Matilda Kschessinskaja entzündet sich in Russland derzeit jedoch ein politischer Konflikt. Der russische Regisseur Aleksej Utschitel hat sich mit seinem jüngsten Werk, das unter dem Titel »Mathilde« auch in deutsche Kinos kommt, offenbar an einem Heiligtum vergriffen und damit in Russland eine Debatte angestoßen, die Anhänger säkularen Denkens mit den Auswüchsen eines reaktionären religiösen Wertesystems konfrontiert.
Die Kampagne gegen den Film ging von der ehemaligen Generalstaatsanwältin der Krim, Natalja Poklonskaja, aus, die seit vergangenem Jahr als Abgeordnete in der russischen Duma ihr Unwesen treibt. Sie hat von Anfang an gegen den Film gewettert. Die Darstellung des Zaren entspreche nicht dem wahren Charakter des von der russisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochenen Märtyrers, findet Poklonskaja. Sie ließ 100 000 Unterschriften Gleichgesinnter sammeln und will »Mathilde« wegen Anstiftung zu religiösem Hass als extremistisch einstufen lassen. Lars Eidinger in der Rolle des Zaren bezeichnete sie gar als »Satanismus propagierenden Pornodarsteller«. Nach solch einer spektakulären Werbekampagne wird der Kinogang nahezu obligatorisch.
Bislang kam jedoch kaum jemand in den Genuss der von aufgebrachten Gläubigen prophezeiten Blasphemie auf der Kinoleinwand. Angekündigte Premieren wurden aus Angst vor Krawallen abgesagt. Große Kinoverleiher strichen trotz anfänglicher Zusage »Mathilde« aus ihrem Programm und zahlreiche Kinos im Osten Russlands taten es ihnen nach der ersten öffentlichen Vorführung in Wladiwostok gleich. Radikale Orthodoxe waren da längst zur Tat geschritten. Anfang September rammte ein Monarchist in Jekaterinburg den Eingang zu einem lokalen Kino mit einem Fahrzeug. Nur glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass die in dem Kleintransporter mitgeführten Gasflaschen nicht explodierten. Die Fassade des Gebäudes, in dem sich Utschitels Produktionsfirma befindet, wurde durch Molotowcocktails leicht beschädigt. Vor der Kanzlei seines Moskauer Anwalts zündeten mehrere Männer zwei Autos an. Daneben lagen Flugblätter mit der Aufschrift »Brennen für Mathilde«.
Deren Verfasser, Alexander Kalinin, war schnell gefunden. Der 33jährige baute seit 2010 ein Netzwerk radikaler Orthodoxer auf, dem er drei Jahre später den Namen »Christlicher Staat – Heilige Rus« verpasste, als Antwort auf die jihadistische Organisation »Islamischer Staat«. Im Januar machte der »Christliche Staat« durch Drohungen gegen Kinobetreiber erstmals von sich reden. Außerdem sollen Anhänger hinter zahlreichen Bombendrohungen stecken, die seit dem 10. September landesweit zur Evakuierung von Bahnhöfen, Einkaufszentren und Behörden führten. Die gesamte Infrastruktur des Landes könnten sie lahmlegen, da ihre religiösen Gefühle durch den Angriff auf einen Heiligen verletzt worden seien, sagte Kalinin in einem Interview. Sein Ideal ist ein christliches Pendant zur Islamischen Republik Iran. Kalinin wurde am vergangenen Wochenende festgenommen, als sich drei seiner Glaubensbrüder bereits wegen Brandstiftung in Untersuchungshaft befanden.
Radikalisierung und Gewaltbereitschaft wachsen im orthodoxen Milieu bereits seit geraumer Zeit und stellen die Kirchenführung vor ein Problem. Offiziell unterstützt das Moskauer Patriarchat nur eine nicht als Teil der Kirchenhierarchie agierende radikale Gruppe, die Bewegung »Sorok Sorokow« (SS), deren schlagender Kern aus ehemaligen rechten Fußballhooligans besteht. Aber Sympathien für härtere Kampfmethoden gegen eine säkulare Gesellschaftsordnung hegen viele einflussreiche Kirchenkader. Die Auseinandersetzung um den Film kommentiert Patriarch Kyrill nicht, wohl um niemanden in den eigenen Reihen vor den Kopf zu stoßen. Auch die Staatsführung will Poklonskaja, die im Parlamentsbetrieb durch ungewöhnlich viel Eigenmächtigkeit aus dem Rahmen fällt, nicht zurückpfeifen. Denn inhaltlich liegt sie durchaus auf derselben Linie.
ute weinmann
Jungle World