Die aserbaidschanischen Behörden haben Dutzende LGBT-Personen festgenommen, zum Teil misshandelt und zu Verwaltungshaft verurteilt. Als Vorwand dienten ihnen angebliche Bürgerbeschwerden.
Es ist noch nicht lange her, dass die außerordentlich gewaltsame Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien für Schlagzeilen sorgte. Nun ist der Südkaukasus an der Reihe, genauer gesagt Aserbaidschan. Mitte September begann die Polizei in der Hauptstadt Baku Razzien gegen Schwule, Bisexuelle und Transgender. Zunächst suchten die Uniformierten stadtbekannte Treffpunkte der Schwulenszene auf, durchstreiften Nachtclubs, holten Einzelne gezielt aus ihren Wohnungen und griffen Leute bei systematischen Ausweiskontrollen auf der Straße auf. Innerhalb weniger Stunden erfolgten mehrere Dutzend Festnahmen. Insgesamt gehen Menschenrechtsgruppen von 150 bis 200 Fällen aus, wobei nach offiziellen Angaben 83 Personen zu Verwaltungshaft zwischen zehn und 30 Tagen verurteilt wurden – im Schnellverfahren und ohne Beisein von Anwälten. Andere kamen mit Verwarnungen oder Geldstrafen davon.
Immer wieder sah sich die lokale LGBT-Szene in der Vergangenheit polizeilichen Schikanen ausgesetzt, aber dieses Mal übertrafen nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Minority Azerbaijan Ausmaß und Härte die bekannten Routinekontrollen bei weitem. Als Verfolgung sexueller Minderheiten wollen die zuständigen Behörden ihr Vorgehen jedoch nicht verstanden wissen. Ein Pressesprecher des aserbaidschanischen Innenministeriums, Ehsan Zahidov, wies solche Vorwürfe weit von sich. Wer mit seinem Privatleben keinen Protest provoziere, bleibe unbehelligt. Wer jedoch seine Umgebung demonstrativ herausfordere, gerate ins Visier der Polizei; im Übrigen seien die Razzien auf Bürgerbeschwerden zurückgegangen. Solche Argumentationsmuster haben lange Tradition, nur dass es zu Sowjetzeiten die Werktätigen waren, deren vermeintliche Befindlichkeiten dem Staat als unanfechtbare Rechtfertigung für sein Einschreiten diente.
Außerdem gelten Schwule den Behörden als Krankheitsträger. Nach Polizeiangaben wurden Festgenommene auf HIV und Syphilis getestet, einige davon positiv. Im Aids-Zentrum gingen jedoch gar keine entsprechenden Anfragen ein. Ohnehin wäre dafür eine gerichtliche Anordnung nötig. Allerdings bestätigten einige von den Razzien Betroffene, dass sie von der Polizei in eine Klinik gebracht worden seien, die auf sexuell übertragbare Krankheiten testet, mit Ausnahme von HIV.
Erst nach den Festnahmen gelang es Anwälten, Kontakt zu Betroffenen aufzunehmen und Einspruch gegen das Vorgehen der Polizei einzulegen. Protokollen zufolge wird den Beschuldigten Widerstand gegen die Polizei vorgeworfen. Die Kontrollen selbst wurden jedoch mündlich und teils schriftlich mit dem Verdacht auf Prostitution begründet. Dafür sieht das Gesetz aber lediglich eine Geldstrafe von umgerechnet 60 US-Dollar vor, zudem gerieten in die Fänge der Polizei überwiegend Personen, die keinerlei Verbindung zum Sexgeschäft haben.
Die juristische Aufarbeitung der Razzien wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Zumal es nicht nur um fragwürdige Festnahmen und unhaltbare Zustände im Polizeigewahrsam geht. Mindestens in zwei Fällen wurden Betroffene mit Elektroschocks malträtiert, entsprechend groß ist auch die Angst, die die Geschehnisse in der LGBT-Szene ausgelöst haben. »Viele Opfer, mit denen ich gesprochen habe, sind abgetaucht«, sagte Gulnara Mehdiyeva der Jungle World. Sie hat die NGO Minority Azerbaijan mitgegründet, die nun neben anderen Gruppen darum bemüht ist, einen rechtlichen Beistand zu gewährleisten und sichere Unterkünfte zu besorgen. Ihren Sitz hat sie allerdings in den USA. In Aserbaidschan sind gleichgeschlechtliche Beziehungen zwar nicht verboten, aber es gibt keine einzige offiziell registrierte LGBT-Organisation. Und niemand will an die Öffentlichkeit gehen. Einige sind zu Verwandten gezogen, viele haben ihre Telefonnummern gewechselt oder verzichten ganz aufs Telefonieren und trauen sich nicht einmal mehr, neue Bekanntschaften einzugehen. »Sie haben sich einfach in Luft aufgelöst«, so Mehdiyeva.
Auf Solidarität können Homosexuelle kaum hoffen. Der LGBT-Aktivist Javid Nabiyev brachte diesen Umstand in einem Video plakativ zur Sprache: »Wären Heteroaktivisten von staatlichen Verfolgungen und Diskriminierung betroffen, würden Angehörige der aserbaidschanischen Demokratiebewegung, Menschenrechtsorganisationen und Anwälte automatisch reagieren. Aber in diesem Fall stehen wir mit unseren Problemen völlig allein da.« Selbst die Option, das Land zu verlassen, ist offenbar nicht immer gegeben. Nach Angaben der Nefes LGBT Azerbaijan Alliance versuchte eine Transfrau, in die Türkei zu fliehen, wurde jedoch am Flughafen an der Ausreise gehindert.
Deutliche Worte fand der stellvertretende Vorsitzende der rechten Gerechtigkeitspartei, Ayaz Efendiyev. Er beschuldigte westliche Kreise, die nationalen Werte Aserbaidschans zu zerstören, indem sie diese »von Gott verfluchten und von gefährlichen Krankheiten heimgesuchten Kreaturen« in Schutz nähmen. Aserbaidschan nimmt nach Einschätzung des Dachverbandes der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisation ILGA Europe hinsichtlich der Rechte sexueller Minderheiten in ganz Europa noch hinter Russland den letzten Platz ein. Ganz allgemein ist es um die Einhaltung der Menschenrechte in dem Ölförderland schlecht bestellt, was jedoch wegen der hohen Exporteinnahmen aus dem Brennstoffgeschäft so manchem hochrangigen Politiker nicht auffallen will. Kein Wunder, Aserbaidschan gibt für Lobbyarbeit so viel Geld wie kaum ein anderer Staat aus.
Es mag sein, dass die jüngsten Razzien als Ablenkungsmanöver angelegt sind, da die Kritik an Aserbaidschan zugenommen hat. Das Europaparlament forderte im September eine Untersuchung der Imagekampagne, mit der die aserbaidschanische Regierung versucht, europäische Entscheidungsträger auf ihre Seite zu ziehen. Ob sich davon die Polizei vor Ort beeindrucken lässt, ist fraglich. Zumal sich in Baku das Gerücht hält, dass die Bürgerbeschwerden auf Präsident Ilham Alijew und seine Frau zurückgingen, denen nachts auf der Straße Transsexuelle aufgefallen seien.
ute weinmann