Am Eröffnungstag der Fußball-WM öffnete das Moskauer Diversity House seine Pforten. Dort wird das FARE-Network gegen Diskriminierung im Fußball parallel zu den sportlichen Events laufen sollen. Einen Monat lang wird im Rahmen von verschiedenen Veranstaltungen in Moskau und St. Petersburg über Rassismus, Homophobie, Nationalismus, Sexismus und Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen diskutiert.
Das Haus liegt keine zwei Schritte entfernt von einem der angesagtesten Parks der Stadt, Moskaus älteste Synagoge liegt auch nicht weit. Es ist eines der idyllischsten Viertel im Stadtzentrum von Moskau, das einen Eindruck von Russlands größter Metropole vor der Zeit der stalinschen Architektursäuberungen vermittelt. Stalin weilt allerdings auch in unmittelbarer Nähe — auf der anderen Seite des Parks befindet sich eine Stalinbüste neben der von Lenin und anderen russischen Herrscherinnen und Herrschern der letzten 1000 Jahre.
Bei der Auftaktveranstaltung des FARE-Network sorgte die Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina für die meiste Aufmerksamkeit. Sie ging darauf ein, wie die tschetschenische Führung die Fussball-WM für ihre Zwecke nutz. Der internationale Fußballverband FIFA hatte entschieden, die ägyptische Mannschaft in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny unterzubringen. Prompt ließen sich Präsident Ramsan Kadyrow und seine rechte Hand Magomed Daudow mit dem ägyptischen Stürmer Mohamed Salah ablichten. In strahlender Pose zeigten sich die zu Recht gefürchteten Hardliner, die sonst wegen Folterungen und Gewaltherrschaft bekannt sind, auf Fotos mit dem Starfussballer. Ein billiger, aber wirksamer Trick. Nach dem Pressegespräch im Diversity House kam einer der FARE-Verantwortlichen auf Gannuschkina zu und dankte ihr ausdrücklich für ihren Auftritt. Die FIFA-Funktionäre hätten sicherlich aus Unkenntnis der Situation in Tschetschenien die Konsequenzen ihrer Entscheidung nicht mitbedacht. Gannuschkina sieht das anders: «Wir haben die FIFA im Vorfeld mehrmals darüber informiert.»
Das Diversity House sorgt für ein weltoffenes Flair, das der von Rassismus geprägten russischen Gesellschaft gut tun könnte, gesetzt den Fall, die vorbeiflanierenden Moskauerinnen und Moskauer würden einen Blick in die für alle Menschen offene Tür werfen. Die in Regenbogenfarben gehaltene Blumendekoration neben dem Eingang fällt einigen Frauen mittleren Alters auf und sie können sie sogar richtig einordnen, immerhin ohne die Nase zu rümpfen.
An einer nicht weit entfernten, engen Ausfallstraße steht ein junger Mann aus Afrika und verteilt Reklamezettel. Eine typische Einkommensquelle für Männer, seltener für Frauen, die aus afrikanischen Ländern nach Russland gestrandet sind und keine Aussicht auf einen legalen Aufenthaltstitel haben. Er lächelt, spricht sogar recht gut Russisch, aber vom Diversity House um die Ecke hat er noch nichts gehört.
Auch dort werden die WM-Spiele live übertragen, das könnte also ein Anlass sein, mal vorbeizuschauen. Aber ohne einen guten Grund wagen sich viele Flüchtlinge und Migranten nicht aus dem Haus oder scheuen zumindest den meist langen Weg ins Stadtzentrum. Denn das kann richtig schief gehen.
Traore aus Côte d’Ivoire kennt diese Seite des harten ununkalkulierbaren russischen Alltags nur zu gut. Als Flüchtling war der Fußballer vor einigen Jahren nach Moskau gekommen mit der fixen Idee, für den Club Dynamo zu spielen. Statt der Erfüllung seines Traums erwartete ihn der tägliche Alptraum von Rassismus und Polizeiwillkür. Erst neulich haben ihn Uniformierte in einen Wagen gezerrt, verprügelt und ihm sein gesamtes Bargeld abgenommen. Würden ihn die Behörden lassen, könnte er wenigstens einer legalen Lohnarbeit nachgehen. Ein Asylstatus kommt in Russland jedoch einem Sechser im Lotto gleich, es gibt im ganzen Land keine 800 anerkannte Flüchtlinge. Ein subsidiärer Status kann eher schon gewährt werden, wird nach einem Jahr jedoch in der Regel nicht verlängert. Bleibt die trostlose Perspektive eines illegales Daseins.
Dabei hat Traore in Moskau seine große Liebe gefunden, geheiratet und ein kleines Kind bekommen. Aber auch das gilt in Russland nicht als Grundlage, einen Weg aus der Illegalität zu finden. Traore wird seine Geschichte im Diversity House erzählen. Ein Termin steht bereits fest.
Die WM bietet selbstverständlich auch für zahlreiche Prominente eine Bühne. Ihre Botschaften gehen jedoch in eine komplett andere Richtung. Tamara Pletnewa, ihres Zeichens Vorsitzende der Parlamentskommission für Familie, Frauen und Kinder und langjähriges Mitglied der kommunistischen Partei KPRF, riet russischen Frauen während der Fussball-WM keine intimen Beziehungen mit ausländischen Fans einzugehen. Ihre Sorge gelte einzig und allein den aus zufälligen Kurzbekanntschaften womöglich hervorgehenden Kindern. Schon die Olympiade habe Russland etliche alleinerziehende Mütter und unter ihrer Vaterlosigkeit leidende Kinder beschert. Pletnewas Familienkonzept hingegen basiert, wie sie sagt, auf Liebe, genauer gesagt, auf gegenseitige Zuneigung unter Menschen mit ein und der selben Staatsbürgerschaft und im optimalen Fall ein und der selben Rassezugehörigkeit. Nationalistin sei sie aber keine. Im Diversity House hat sie auch noch nicht vorbeigeschaut.
ute weinmann