Drohen dem russischen Internet chinesische Verhältnisse?

In Moskau protestieren Tausende gegen die geplante Einschränkung des WWW

Für die Freiheit des russischen Internets gingen in Moskau am vergangenen Sonntag über 15.000 Menschen auf die Straße. Hinsichtlich der Teilnehmerzahl übertraf die Kundgebung sogar die Proteste gegen die Rentenreform vom Vorjahr. Nach Polizeiangaben lag die Beteiligung allerdings deutlich niedriger. Auffallend viele junge Leute fanden sich ein, wobei fast alle der Opposition zuzurechnenden politischen Spektren vertreten waren. Mit soviel Auflauf hatten die Veranstalter von der nicht offiziell registrierten Libertären Partei und der Gesellschaft zum Schutz des Internets gar nicht gerechnet.


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Aufgerufen zu der Veranstaltung hatten auch der Antikorruptionspolitiker Aleksej Nawalny und der Messenger-Dienst Telegram. Vor einem knappen Jahr begann die zuständige Aufsichtsbehörde Roskomnadsor mit dessen Blockade, weil sich der Telegram-Gründer Pawel Durow weigerte, die Chiffrierschlüssel offenzulegen. Der weit über Oppositionskreise hinaus beliebte Messenger-Dienst funktioniert zwar weiterhin, nicht zuletzt durch den Aufwand, den User betreiben müssen, um durch manuelle Veränderungen von Proxy-Einstellungen einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Allerdings hatte das rabiate und bisweilen wahllos scheinende Vorgehen der staatlichen Internetschützer den Nebeneffekt, dass nach wie vor massenweise IP-Adressen blockiert werden und Webseiten zeitweise brachliegen, gegen die an sich nichts vorliegt.

Anlass für die jüngsten Proteste boten Pläne für weitere Verschärfungen. Am 12. Februar stimmten die Duma-Abgeordneten mit überwiegender Mehrheit in erster Lesung einem Gesetz zu, das dafür sorgen soll, in Zukunft den kompletten Datenverkehr des russischen Internets über Knotenpunkte im Inland abzuwickeln. Die Autoren begründeten ihre Initiative mit der Besorgnis vor möglichen Cyberangriffen aus dem Ausland und stellen in Aussicht, dass Russland dann davor geschützt sei, vom Internet abgeschnitten zu werden. Kritik ertönte sowohl aus der Regierungsarbeitsgruppe »Kommunikation und IT«, als auch aus dem Rechnungshof. Zu teuer sei das Vorhaben und Preisanstiege für Internetnutzer unvermeidbar. Für Mitte der Woche ist die nächste Lesung angesetzt.

Darauf, dass das Gesetz eigentlich ganz andere Absichten verfolgt, weist ein pikantes Detail hin. Roskomnadsor soll mit den nötigen technischen Mitteln ausgestattet werden, um den Datenfluss im Falle einer Bedrohung direkt kappen zu können. Bislang ist die technische Umsetzung staatlicher Vorgaben Sache der Kommunikationsanbieter. Da blieben zumindest gewisse Spielräume. Allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2018 verfügte die Behörde über fast 58.000 Netzsperren wegen »extremistischer« Inhalte. Ebenfalls in der vergangenen Woche verabschiedete die Duma ein Gesetz, das die Verbreitung von Fake News und respektlose Aussagen über Staatsorgane unter Strafe stellt. Oppositionelle befürchten, dass dies als weiteres Instrument zur Eindämmung von Kritik an der russischen Führung genutzt werden könnte.

Ob Russland es fertig bringt in absehbarer Zeit chinesische Verhältnisse im Netz zu schaffen, ist fraglich. »Das Internet versuchen Leute zu kontrollieren, die nicht einmal fähig sind, mit E-Mails umzugehen«, sagte Alexander Isawnin, Mitglied der Piratenpartei, in seinem Redebeitrag. »Die seit 2012 erfolgende Regulierung des Internets schädigt unsere Wirtschaft mehr als jegliche ausländische Sanktionen.« Vor und nach der Kundgebung kam es zu Festnahmen. Strafen drohen unter anderen wegen Verwendung blauer Luftballons zu Agitationszwecken.

ute weinmann

nd


«Ich will fressen», «Russische Freiheit». Foto uw


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Die Nationalbolschewistische Partei trat mit Prominenz in Erscheinung. Links im Bild Beness Aijo, lettischer Staatsbürger und altgedienter Kader der Partei, der sich den Spitznamen «Schwarzer Lenin» zugezogen hat. Foto uw


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