Nach dem jüngsten Russland-Ukraine-Gipfel in Paris kann die russische Regierung zufrieden sein, da sich am Status quo der ostukrainischen Separatistengebiete kaum etwas geändert hat.
Seit über drei Jahren war es erstmals wieder so weit: Am 9. Dezember trafen sich in Paris die Präsidenten der Ukraine, Russlands und Frankreichs und die deutsche Bundeskanzlerin, um im sogenannten Normandie-Format über den nicht enden wollenden bewaffneten Konflikt in der Ostukraine zu verhandeln. Gespräche fanden überdies in Zweierkonstellationen statt. Schon während der langwierigen Vorbereitungen zeichnete sich ab, dass sich das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine zumindest so weit gebessert hat, dass Verhandlungen wieder möglich sind. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte es damit allerdings nicht allzu eilig, während sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj unter Erfolgsdruck steht. Schließlich geht es um eines seiner wichtigsten Wahlversprechen: die Wiederherstellung territorialer Integrität und eine dauerhafte Friedenslösung.
Symbolisch gesehen brachten Selenskyjs Bemühungen minimale Fortschritte. Bereits vor dem Pariser Treffen gab Russland die vor einem Jahr in der Straße von Kertsch vor der Krim festgesetzten ukrainischen Schiffe und deren Besatzungen frei. Nun soll bis Jahresende der bereits im Spätsommer in die Wege geleitete russisch-ukrainische Gefangenenaustausch fortgesetzt werden. Für die Betroffenen ist dieses Ergebnis erfreulich, politisch bleibt es jedoch ohne weitreichende Folgen. In russischer Haft befindliche Bewohner der Krim fallen nicht unter die Vereinbarungen, denn Gegenstand der Gespräche waren einzig und allein die Territorien der sogenannten Volksrepubliken. Über den Status der Krim will die russische Regierung mit niemandem diskutieren, schon gar nicht mit der Ukraine. Immerhin schüttelten sich Selenskyj und Putin die Hände. Letzterer antwortete auf die von Journalisten gestellte Frage, ob es in den Beziehungen Tauwetter gebe: »Ich denke, ja.«
In vier Monaten soll das nächste Treffen stattfinden. Bis dahin sollen sich an mehreren Frontabschnitten in der Ostukraine Kampfeinheiten zurückziehen, um einen gebührenden Sicherheitsabstand zu gewährleisten. Bemühungen in dieser Hinsicht kamen bislang nur langsam voran. Erst mit dem Abzug der Waffen, so steht es im Minsker Abkommen, das als Grundlage für eine Konfliktregulierung dient, kann über die Modalitäten für Wahlen in den abtrünnigen ostukrainischen Gebieten verhandelt werden.
Die jüngsten Vereinbarungen halten ausdrücklich fest, dass das 2015 ausgehandelte Abkommen weiterhin Bestand hat. Das kommt Russland deutlich mehr entgegen als den Wünschen der ukrainischen Regierung. Außerdem soll die »Steinmeier-Formel« umgesetzt werden. Es handelt sich um den nach dem damaligen deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier benannten Vorschlag, als Voraussetzung für den Verbleib der Separatistengebiete in der Ukraine mit verbrieftem Sonderstatus dort Wahlen nach ukrainischen Gesetzen abzuhalten.
Der Verlängerung des entsprechenden, bis Ende Dezember gültigen Gesetzes um ein Jahr stimmte die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, in Kiew am Donnerstag vergangener Woche mehrheitlich zu. Damit endet im Wesentlichen auch schon die Implementierung der per Unterschrift besiegelten Minsker Vereinbarungen. Echte Kompromissbereitschaft, ohne die es keine stabile Lösung für den Donbass geben wird, ist nicht in Sicht. Russland ist mit dem starren Festhalten an den im Minsker Abkommen festgeschriebenen Abläufen auf der sicheren Seite, während die ukrainische Regierung immer wieder die Umformulierung einzelner Textabschnitte fordert.
So hält Punkt neun fest, dass erst nach lokalen Wahlen die Kontrolle der Kiewer Zentralregierung über die ukrainischen Außengrenzen wiederhergestellt werden kann. Erwartungsgemäß konnte sich Selenskyj in Paris nicht mit der Forderung durchsetzen, diese Reihenfolge umzukehren. In der Ukraine fielen die Reaktionen auf die Gespräche dementsprechend verhalten bis kritisch aus. Langfristig ergeben sich ohnehin weitere Probleme, wie beispielsweise die im gleichen Abschnitt erwähnte Verfassungsreform. Bei einer Konferenz in London sprach sich Selenskyjs Berater Andrij Jermak Anfang Dezember zwar grundsätzlich für eine verfassungsrechtlich garantierte Erweiterung der Vollmachten der separatistischen Gebiete aus, der ukrainische Außenminister Wadym Prystajko lehnt es jedoch vehement ab, einen Sonderstatus dieser Gebiete in der Verfassung festzuschreiben.
Der Grund dafür ist leicht nachzuvollziehen. Selenskyj machte auf der abschließenden Pressekonferenz deutlich, dass mit ihm als Präsident eine Föderalisierung der Ukraine nicht zu machen ist. Die ukrainische Regierung muss befürchten, andernfalls nicht nur im Südosten des Landes, sondern womöglich auch in westlichen Randgebieten die Kontrolle zu verlieren. Weitreichende Autonomiezugeständnisse würden zudem mit großer Wahrscheinlichkeit das Ende von Selenskyjs politischer Karriere einleiten.
Wie auch immer sich die angestrebte Konfliktlösung entwickelt, die russische Regierung kann gelassen bleiben. So lange die Verhandlungen laufen, ist ein Beitritt der Ukraine zur Nato oder der Europäischen Union unmöglich, bestenfalls gibt es Absichtserklärungen – ein strategisches Ziel Russlands wäre damit erreicht. Wirtschaftliche Zusammenarbeit lässt sich zudem auch ohne diplomatische Beziehungen realisieren, wie das Beispiel Georgien zeigt. Im Gespräch mit der russischen Tageszeitung Kommersant bezeichnete ein nicht näher genannter, mit der Ukraine beschäftigter Staatsvertreter jedenfalls dieses Geschäftsmodell als durchaus zufriedenstellend.
ute weinmann