Offiziell hat Russland keine Kämpfer nach Libyen entsandt. Aber die Präsenz russischer Söldner dort ist mittlerweile unbestreitbar.
Erstmals seit Jahren reiste die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Samstag nach Moskau. Nach einer Zusammenkunft zur Libyen-Krise zeigte sich ihr Gesprächspartner Wladimir Putin auskunftsfreudiger als bislang. Der Kreml hatte die Präsenz russischer Söldner in dem nordafrikanischen Konflikt stets vehement geleugnet, der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow hatte derartige Spekulationen in der US-amerikanischen Presse gar als Hirngespinste bezeichnet. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz zum Abschluss des Treffens wollte Präsident Putin den Wahrheitsgehalt solcher Mutmaßungen plötzlich nicht mehr komplett bestreiten. Allerdings sagte er, dass russische Bürger dort keinesfalls russische Staatsinteressen verträten. Und Geld aus der Staatskasse erhielten sie auch nicht.
Noch Ende Dezember hatte sich Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow mit der lakonischen Aussage begnügt, dass Libyen Söldnern aus einer großen Anzahl von Staaten als Unterschlupf diene. Sich gar nicht zu dem Thema zu äußern, schien offenbar unangebracht, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Vortag in Tunis die durchaus berechtigte Frage gestellt hatte, was 2 000 Angehörige der privaten russischen Söldnerarmee Wagner in Libyen zu suchen hätten. Die türkisch-russischen Beziehungen hat das offenbar nicht belastet.
Die türkische und die russische Regierung demonstrieren derzeit ihr gemeinsames Interesse an der Beilegung des Konflikts, und das, obwohl die russische Führung den Marschall Khalifa Haftar und seine »Libysche Nationale Armee« unterstützt, während die türkische Führung sich für die international anerkannte Regierung unter Ministerpräsident Fayez al-Sarraj starkmacht. Russland und die Türkei setzen damit ihre Kooperation fort, die sie bezüglich Syrien begonnen haben.
Das Interesse der russischen Regierung an Libyen liegt auf der Hand. Russland kann sich als handlungsfähiger Akteur bei der Vermittlung in Konfliktregionen profilieren, was angesichts der angespannten Beziehungen zum Westen seinen Ruf verbessern kann. Libyen spielt auch in logistischer Hinsicht eine wichtige Rolle, etwa als Zwischenstopp für russische Flugzeuge auf dem Weg nach Venezuela oder in südlichere Gebiete Afrikas. Zudem bestehen wirtschaftliche Interessen, nicht zuletzt gilt es, wenigstens einige der zu Zeiten der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi abgeschlossenen milliardenschweren Verträge wiederzubeleben.
Bereits im Februar 2017 hatte der Leiter des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Igor Setschin, in London ein Kooperationsabkommen mit dem staatlichen libyschen Mineralölunternehmen NOC unterzeichnet und Rosneft daraufhin günstige Öllieferungen erhalten. Auch wenn Russland in der Vergangenheit Marschall Haftar den Vorzug gab, verfügt das Land in Libyen über weitverzweigte Kontakte. Auf Dauer braucht es aber eine verlässliche Regierung, um Geschäftskonditionen nicht mit wechselnden Partnern und immer wieder neu aushandeln zu müssen.
Dass sich die russische Führung in Libyen nicht allein auf die Kraft der Diplomatie verlässt, geben sogar Experten des russischen Rats für internationale Angelegenheiten zu: Anton Mardasow und Kirill Semjonow verweisen auf nicht näher genannte Quellen, wonach Mitglieder der privaten Wagner-Gruppe dort von russischen Militärs angeleitet werden. Anders als in Syrien seien die Söldner jedoch nur in die Planung von Kampfoperationen und die logistische Zuarbeit involviert und agierten lediglich im Auftrag russischer Geschäftsleute – die aber wiederum ohne deutliches Signal der politischen Führung kaum über so weitreichende Vollmachten verfügen könnten. Damit spielen sie auf den erfolgreichen Unternehmer Jewgenij Prigoschin an, der sich vom Catering-Spezialisten zum Leiter einer Internet-Trollfabrik mit eigener Nachrichtenagentur und einer Art Sonderbeauftragten in russischen Afrika-Belangen emporgearbeitet hat. Auch die Rekrutierung der Wagner-Söldner soll über ihn laufen. Nach Ansicht von Mardasow und Semjonow wird der Einsatz von Wagner-Leuten überschätzt, der insbesondere Marschall Haftar von Nutzen sei. An dessen Sieg könne Moskau kein Interesse haben, da Ägypten, Saudi Arabien und die Emirate davon wesentlich profitierten.
In jüngster Zeit häufen sich die Indizien für eine Beteiligung von schätzungsweise 300 Söldnern aus Russland an Kampfhandlungen. Die New York Times berichtete im November mit Verweis auf libysche Ärzte von Besonderheiten bei Schussverletzungen, nämlich gezielte Schüsse in Kopf oder Körper, sofort tödlich, wobei die Kugel im Körper verbleibe. Das sei typisch für russische Profis. Ende Oktober traf eine Journalistin der Agentur Reuters auf Aleksandr Kusnezow, Deckname Ratibor. Ein ehemaliger Wagner-Angehöriger identifizierte ihn als Kommandanten einer Sturmabteilung, der in Libyen verletzt worden sei. Kusnezow ließ sich in einer Privatklinik im Zentrum von St. Petersburg behandeln, wo sich zuvor weitere Libyen- und Syrien-Kämpfer aufgehalten hatten. Wer für die Kosten aufkommt, ist nicht bekannt.
Das russische Nachrichtenportal Medusa fand die Namen einiger im September in Libyen ums Leben gekommener Wagner-Kämpfer heraus. Viele der mutmaßlichen Söldner hatten offenbar zuvor im Donbass gekämpft, die Älteren unter ihnen auch in Tschetschenien. Im Unterschied zur Situation in Syrien könne sich Wagner in Libyen nicht auf reguläre russische Militäreinheiten stützen, was die Lage eindeutig erschwere, beklagte ein Informant. Ganz abgeschnitten von Militärhilfe aus Russland sind sie allerdings nicht, wie das Recherchezentrum »Projekt« herausfand, das wie Medusa finanzielle Unterstützung von dem in Ungnade gefallenen ehemaligen Oligarchen Michail Chodorkowskij erhält.
Wie viele Angehörige der russischen Streitkräfte sich in Libyen befinden, ist nicht bekannt, dafür aber der Name des Manns, der den Einsatz befehligt: Generalleutnant Andrej Cholsakow. Er ist stellvertretender Kommandeur der russischen Luftlandetruppen und hat bereits in Afghanistan erste Kriegserfahrungen gesammelt. Marschall Haftar kommt offenbar nicht nur in den Genuss von Beratungsdienstleistungen, sondern erhält auch russisches Kriegsgerät, das von mindestens 23 erfahrenen Technikern in Schuss gehalten wird. Dokumente, die dem »Projekt« vorliegen, lassen den Schluss zu, dass alle Aktionen in Abstimmung mit der russischen Militärführung erfolgten. Einige Berichte richteten sich direkt an den Verteidigungsminister Sergej Schojgu.
Jewgenij Prigoschin baut in Afrika auf seine bereits in anderen Ländernern erprobte Einflussnahme über soziale Medien, mit wechselndem Erfolg. Für Libyen richtete seine Trollfabrik zwölf Gruppen auf Facebook ein, aber auch in mindestens sieben weiteren afrikanischen Staaten ließen sich seine Aktivitäten beobachten. Ende Oktober sperrte Facebook einige Konten, die von Russland aus eingerichtet worden waren. Prigoschin dürfte das nicht aufhalten.
ute weinmann