Antifademo für und gegen Verfassung

Russische Linke gegen rechten Terror auf der Straße

»Solidarität ist unser Schutz« — unter diesem Motto gingen am Sonntag in Moskau mehr als 1000 Menschen auf die Straße. Anlass für die alljährlich stattfindende antifaschistische Demonstration ist der Jahrestag der Ermordung von Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa durch Neonazis am 19. Januar 2009. Dabei wird nicht nur an den Anwalt und die Journalistin erinnert, sondern auch an andere Antifaschisten, die Opfer des über Jahre andauernden rechten Terrors auf russischen Straßen wurden. Daneben greift die Veranstaltung auch andere aktuelle Themen auf.


Foto uw

Dass in diesem Jahr der Fokus auf Repression und Folter gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten lag, hat handfeste Gründe. Wo vor noch nicht allzu langer Zeit die größte Gefahr von teils gut bewaffneten Nazibanden ausging, sehen sich heute nicht nur Angehörige der Antifaszene vermehrt staatlicher Verfolgung ausgesetzt.

So geht in Pensa ein Prozess gegen sieben des Terrorismus beschuldigte junge Antifaschisten zu Ende. Für den 10. Februar kündigte das zuständige Militärgericht die Urteilsverkündung gegen das sogenannte Netzwerk an, nachdem die Anklage Haftstrafen zwischen sechs und 18 Jahren gefordert hatte. Familienangehörige und Solidaritätsgruppen forderten auf zahlreichen Plakaten die Freilassung der jungen Männer. Zu hören waren auch antirassistische Losungen oder Sprechchöre wie »Gegen Homophobie, gegen Faschismus, gegen Sexismus«. Die Veranstalter sprachen von zehn Festnahmen durch die Polizei, darunter auch einige Minderjährige, die sich in den LGBT-Block eingereiht hatten.

Dominiert wird die Demonstration von linken Gruppen. Aus dem liberalen Spektrum schließen sich immer weniger Leute an. Die einen stören sich an linken Inhalten und roten Fahnen, andere halten das Neonaziproblem für erledigt. Dieses Mal gingen der Demonstration hitzigere Debatten als sonst voraus. Grund dafür war ein Aufruf des Verbands unabhängiger Abgeordneter auf Initiative der Moskauer Bezirksabgeordneten Julia Galjamina. Nachdem Präsident Wladimir Putin Mitte vergangener Woche eine Verfassungsänderung angekündigt hatte, die unter anderem die Sonderstellung der lokalen Selbstverwaltungsstrukturen aufheben soll, rief Galjamina zu einem »Marsch für die Verfassung« auf.

Weil die Antifademo am 19. Januar zeitlich betrachtet die nächste von den Behörden genehmigte öffentliche Veranstaltung war, schien sie sich anzubieten, mit eigenen Forderungen legal zu demonstrieren. Auf Twitter behauptete Galjamina, die Kundgebung gegen Diskriminierung versammle aus aktuellem Anlass Gegnerinnen und Gegner eines Staatsstreichs. Schließlich werde so das gesamte Land »diskriminiert«. Daraufhin erhielt die Abgeordnete eine Verwarnung durch die Polizei, und das Organisationskomitee sah sich in Erklärungszwang. Ein Themenwechsel sei nicht vorgesehen gewesen, der Gedenkcharakter der Demonstration stehe an erster Stelle. Gegen die Teilnahme von Menschen, die grundsätzliche Positionen der Veranstaltung teilen, sei jedoch nichts einzuwenden.

Befürchtungen, wonach sich so ein kompletter Paradigmenwechsel der Demonstration nicht vermeiden ließe, bestätigten sich nicht. Zwar formierte Galjamina einen eigenen Block, aber im hinteren Teil. Die Linksfront forderte indes ihrerseits auf Plakaten ein Referendum pro Verfassungsänderung. Verbindungen zu Markelow finden sich ohnehin. Der Anwalt hatte in einer Rezension der Verfassung einst kritisiert: »Die Gewaltenteilung im Verfassungstext kommt ohnehin einem Schwanengesang auf die russische Demokratie gleich.«

ute weinmann

nd

Запись опубликована в рубрике Antifaschismus, Protest, Russische Linke с метками . Добавьте в закладки постоянную ссылку.