Das Regime in Belarus gibt sich einerseits kompromissbereit, gestattet aber andererseits den Schusswaffengebrauch gegen Protestierende. Die Oppositionsführerin Tichanowskaja hat Präsident Lukaschenko nun ein Ultimatum gestellt.
Alexander Lukaschenkos liebstes Gesprächsformat ist der Monolog. Seine diesbezüglichen Fertigkeiten entwickelte er in bisher 26 Jahren als Präsident von Belarus bei seinen typischen mehrstündigen Auftritten bis zur Perfektion. Ließe er sich auf einen Dialog ein, wie es die Europäische Union und viele belarussische Oppositionelle von ihm fordern, müsste er mit alten Gewohnheiten brechen. Am 10. Oktober demonstrierte der Autokrat anschaulich, wie er sich den Gedankenaustausch mit jenen vorstellt, die ihn nicht mehr im Amt sehen wollen. Im Untersuchungsgefängnis des Geheimdiensts KGB in Minsk besuchte er inhaftierte Oppositionelle, unter anderem seinen zu den Präsidentschaftswahlen nicht zugelassenen Herausforderer Wiktor Babariko, gegen den wegen Korruption ermittelt wird.
Über den Verlauf des viereinhalbstündigen Treffens ist wenig bekannt, dafür über seine praktischen Auswirkungen: Zwei der Inhaftierten kamen am Folgetag gegen Auflagen frei. Einer der beiden, Jurij Woskresenskij, ein ehemalige Abgeordnete des Minsker Stadtrats, gab an, er sei von Lukaschenko beauftragt worden, einen Vorschlag zur Freilassung für die Gesamtheit der ungefährlichen Gefangenen zu erarbeiten. Am Montag wurde dann auch Witalij Schkljarow aus dem Gefängnis in Hausarrest überstellt. Gegen den Politikberater laufen gleich mehrere Verfahren, unter anderem wegen Vorbereitung von Massenunruhen. Sein Studium absolvierte er in Deutschland, er war in der Vergangenheit in Russland, Georgien und während der Wahlkampagne von Barack Obama auch in den USA tätig, deren Staatsbürgerschaft er neben der belarussischen besitzt. Während eines Besuchs bei seinen Eltern war er im Juli inhaftiert worden.
Der weiterhin einsitzende Babariko ließ verlauten, dass er sich einen Dialog anders vorstelle. Als minimale Voraussetzung nannte er, dass sich alle Beteiligten in Freiheit befinden müssten. Maria Kolesnikowa, die ehemalige Leiterin seines Wahlstabs und ebenfalls inhaftiert, weigerte sich, an dem besagten Treffen teilzunehmen. Ihr Anwalt Ilja Salej kam inzwischen aus der Untersuchungshaft frei. Allerdings laufen sämtliche Strafverfahren weiter, während es keinerlei Ermittlungen gegen die Polizei wegen exzessiver Gewalt gibt. Dabei wäre gerade in dieser Hinsicht viel zu tun.
Kürzlich veröffentlichte der belarussische Ableger des russischen Internetportals Mediazona, das sich auf die Berichterstattung über Gerichte, Polizei und Gefängnisse spezialisiert hat, eine detaillierte Übersicht über Opfer des brutalen Vorgehens von Sondereinheiten bei Demonstrationen gegen Lukaschenko. Es gibt keine offiziellen Zahlen darüber, aber Ermittlungsbeamte spielten Mediazona Unterlagen zu, aus denen hervorgeht, dass allein im August und September in Minsk mindestens 1 376 Menschen Verletzungen davongetragen haben. Fast die Hälfte der Betroffenen wurde in Polizeigewahrsam misshandelt.
Indes hat das belarussische Innenministerium die Polizei vorige Woche ermächtigt, mit Schusswaffen gegen Demonstrierende vorzugehen. Der stellvertretende Innenminister Gennadij Kasakewitsch begründete dies damit, die Protestbewegung komme zwar allmählich zum Erliegen, radikalisiere sich jedoch gleichzeitig. Am Sonntag demonstrierten allein in Minsk etwa 15 000 Menschen, um ihre Solidarität mit streikenden Belegschaften in den Betrieben zu zeigen. Es gab etwa 200 Festnahmen.
Streik ist derzeit das zentrale Thema. Den Regierungsgegnern bleiben schließlich kaum noch andere Wege und Mittel, da der friedliche Massenprotest auf der Straße keinen Erfolg mehr verspricht. Der Staatsapparat seinerseits sammelt eifrig Vorschläge für eine Verfassungsreform. Kosmetische Veränderungen sind durchaus denkbar, vielleicht wird sogar die derzeit nur schwer mögliche Registrierung von Parteien erleichtert. Swetlana Tichanowskaja, die offiziellen Angaben zufolge bei den Wahlen vom August dem ewigen Präsidenten unterlag und von ihrem litauischen Exil aus tätig ist, hält eine Abstimmung über Verfassungsänderungen indes für illegitim, solange Lukaschenko noch an der Macht ist. In einen Dialog mit dem Autokraten scheint sie keine Hoffnung zu setzen, stattdessen verkündete sie ein Ultimatum. Bis zum 25. Oktober – dann endet die Frist zur Einreichung von Vorschlägen – solle Lukaschenko seinen Rücktritt erklären. Lässt er sich darauf nicht ein, soll die Protestbewegung am Tag darauf mit Straßenblockaden und einem Generalstreik Unternehmen und den staatlichen Handel lahmlegen.
ute weinmann