Mit einem Gesetz sollen in Russland auch nicht offiziell registrierte Organisationen erfasst werden
Russische Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm. Seit Mitte November sind acht Gesetzesinitiativen anhängig mit drakonischen Folgen. Am vergangenen Donnerstag sprach sich der Sicherheitsausschuss der Duma für die Ausweitung des Personenkreises potenzieller «ausländischer Agenten» aus. Bislang gilt die im Dezember 2019 in Kraft getretene Regel für Privatpersonen theoretisch nur dann, wenn jene Mitteilungen von als «Agent» eingetragenen Medien mit ausländischer Finanzierung verbreiten. In Zukunft soll als «Agent» gelten, wer sich politisch «im Interesse eines anderen Staates» betätigt und Finanzmittel aus ausländischen Quellen bezieht.
Erfasst werden sollen auch nicht offiziell registrierte Organisationen oder Bewegungen. Da die Definition von politischer Betätigung extrem weitgefasst ist, hinkt der in Russland von Verschärfungsbefürwortern gerne angeführte Vergleich mit den USA: Wo in Übersee von klar umrissener Lobbyarbeit die Rede ist, würde in Russland unter die Neuregelung faktisch jede informelle Gruppierung mit eigener gesellschaftspolitischer Agenda fallen. Sie alle wären verpflichtet, jede öffentliche Aussage mit einem Vermerk über ihren Status zu versehen.
«Die Liste der sich bietenden Möglichkeiten ist grenzenlos», kommentierte Alexander Verkhovsky im Gespräch mit dem nd die geplanten Änderungen. Er leitet das Zentrum für Information und Analyse SOVA und ist Mitglied im Menschenrechtsrat des Präsidenten. Jede wertende Erwähnung einer staatlichen Behörde kann zum Problem ausarten. Zudem verweist er auf die Einführung der Begrifflichkeit eines «mit einem ausländischen Agenten affilierten Kandidaten». Wer bei einer Wahl antreten will, darf in den vergangenen zwei Jahren nicht für eine Organisation mit Agentenstatus tätig gewesen sein oder finanzielle Mittel von ausländischen Agenten, auch Privatpersonen oder Mittelspersonen erhalten haben. Andernfalls muss dieser Hintergrund eines solchen Kandidaten kenntlich gemacht werden. Wer als Privatperson bereits den Stempel «ausländischer Agent» trägt, muss dies ohnehin tun. «Noch gibt es keine Liste mit solchen Privatpersonen und es ist unklar, wie das funktionieren soll, falls sie rückwirkend eingeführt wird», sagt Verkhovsky. Er sieht eine Einschränkung des passiven Wahlrechts gegeben.
Vor Behörden wie dem Inlandsgeheimdienst FSB soll gar nicht mehr protestiert werden dürfen. Geld für öffentliche Versammlungen darf nicht aus ausländischer Quelle stammen und nur über ein extra eingerichtetes Konto eingehen. Anonyme Spenden sind nicht zulässig. In den Fokus ist auch der Bereich der Wissensvermittlung geraten. Das Bildungsmonopol soll ausschließlich in staatlicher Hand liegen und durch noch nicht näher definierte Genehmigungsverfahren reguliert werden. Sergej Lukaschewskij, Direktor des Moskauer Sacharow-Zentrums, fürchtet, dass jegliche Form von Aufklärungsarbeit, so auch vertiefende Blogbeiträge über im weiteren Sinne politische Themen darunter fallen könnte. «Alles ist extrem schwammig formuliert», sagte er dem nd.
Die Initiative für die Gesetzesverschärfungen geht von der Kommission im Föderationsrat zum Schutz vor Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands aus. Sie wurde im Jahr 2017 gegründet, also zu einem Zeitpunkt, als die USA ihrerseits Russland mit massiven Einmischungsvorwürfen konfrontierte. Ausgangspunkt für die jüngsten Aktivitäten der Kommission waren die Moskauer Proteste, so Lukaschewskij. Gemeint sind die Massendemonstrationen im Sommer 2019 gegen das Verbot der Zulassung einer Reihe oppositioneller Kandidaten zu den Moskauer Stadtparlamentswahlen. «Und dann kamen noch die Ereignisse in Belarus hinzu.» Seit den Präsidentschaftswahlen im August reißen die Proteste gegen die Staatsführung dort nicht ab und im kommenden September wird in Russland schließlich die Duma neu gewählt. Insofern seien die Zusammenhänge offensichtlich und das Vorgehen des Staatsapparats mit Bedacht gewählt.
Wer sich über Kurzbesuche in Russland per elektronischer Visa ab Januar freut, sollte übrigens genau hinschauen. Derzeit ist geplant, dass Einreisende Angaben über ihre Lebenspartner, alle Kontaktadressen und Social-Media-Accounts, ihren Militärdienst und ihre letzten Arbeitgeber machen müssen.
ute weinmann