Porträt — Der russische Oppositionelle Nikolai Platoschkin
Nikolaj Platoschkin kämpft für einen neuen Sozialismus. Seine 2019 gegründete gleichnamige Bewegung soll nicht weniger als 80 000 Anhängerinnen und Anhänger umfassen, Platoschkins Youtube-Kanal haben sogar über 600 000 Fans abonniert. Der 55jährige ehemalige Diplomat, Historiker und Politologe strahlt Solidität aus und selbst fundamentale Kritik am russischen Machtsystem legt er in behäbiger Manier dar. Die vergangenen zwanzig Jahre unter Wladimir Putin hält er für vergeudete Zeit, mit historischen Größten wie Lenin und Stalin könne sich der Präsident, der keine seiner Versprechen eingelöst habe, nicht messen.
Popularität erlangte Platoschkin indes keineswegs als Selfmademan. Nach Beendigung seines diplomatischen Dienstes unter anderem in Deutschland machte er sich als Lateinamerika-Experte einen Namen und publizierte auch zu anderen Themen. Im Staatsfernsehen war er gern gesehener Gast bis er sich an die Kommunistische Partei KPRF annäherte, die ihn bei den Wahlen 2019 zum Moskauer Stadtparlament aufstellen wollte, was im Machtapparat auf Ablehnung gestoßen sein soll. Stattdessen trat Platoschkin bei Nachwahlen für einen Sitz in der Staatsduma in Chabarowsk an und landete mit 25 Prozent der Stimmen auf Platz zwei hinter dem Kandidaten der Liberaldemokratischen Partei.
Ein Moskauer Gericht bereitete der kurzen politischen Karriere des Streiters für soziale Gerechtigkeit in der vergangenen Woche ein jähes Ende. Platoschkin wurde zu fünf Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe von 7800 Euro verurteilt und scheidet damit für lange Zeit aus dem Rennen für politische Ämter aus. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre Haft gefordert. Fast ein Jahr lang verbrachte er unter strengem Hausarrest, während die Strafermittler ohne Eile 28 Aktenordner mit belastendem Beweismaterial anhäuften. Dazu zählt die Kritik an der Kreml-Hauspartei Einiges Russland und Aufrufe zur Teilnahme an legalen Protesten. Diesen Umstand zog das Gericht durchaus in Erwägung, weil aber der Angeklagte damit eigentlich zu Massenunruhen anstiften wollte, so das Argument, sei eine Verurteilung aus diesem Grund gerechtfertigt. Da Proteste in aktueller Lesart — im Unterschied zu staatlichen Großveranstaltungen — immer auch einen vorsätzlichen Verstoß gegen geltende Coronaregeln implizieren, wurde ihm auch dies zur Last gelegt.
ute weinmann