Die KPRF setzt auf ihre traditionellen Themen, will aber auch mit neuen Kandidaten punkten
Bald geht es los mit dem Wahlkampf: Vom 17. bis zum 19. September sind alle Wahlberechtigten in Russland aufgerufen, ihre Stimme abzugeben für die neuen Parlamentsabgeordneten. Die meisten Parteien haben ihre Kandidatinnen und Kandidaten bereits aufgestellt, an diesem Montag beginnt deren offizielle Registrierung bei der Wahlkommission. Erst danach gibt es grünes Licht für Debatten, Agitation auf der Straße und was sonst noch zu einem ordentlichen Werben um die politische Gunst der Bürger dazugehört.
Nikolaj Wolkow (links) neben Walerij Raschkin, Moskauer Spitzenkandidat der KPRF. Foto uw
Die Moskauer Leitung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) will allerdings auf Nummer sicher gehen und lässt sich mit den Formalitäten noch ein paar Tage Zeit, um ja keine Fehler bei den einzureichenden Dokumenten zu riskieren.
Gennadij Sjuganow, seit 28 Jahren Parteivorsitzender und seither ohne Unterbrechung mit einem Duma-Mandat ausgestattet, wurde beim KPRF-Wahlparteitag Ende Juni wieder auf dem ersten Listenplatz bestätigt. Auf ihn folgt die zweite Frau im Weltall, die frühere sowjetische Kosmonautin Swetlana Sawitskaja und Erdbeerkönig Pawel Grudinin, der selbst kein Parteibuch besitzt. Seine Person rief seit seiner überraschenden Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2018 immer wieder Kritiker auf den Plan, die dem Direktor der bei Moskau gelegenen Lenin-Sowchose das Leben schwer machten und ihn mit Klagen überhäuften. Sein Mandat in der Abgeordnetenversammlung der Stadt Widnoje wurde ihm entzogen, als Nachrücker war er bereits vor zwei Jahren für einen frei gewordenen Sitz in der Duma vorgesehen. Mit einem sicheren Listenplatz wird er nun aber zweifellos ins russische Parlament einziehen.
Von den insgesamt 450 Sitzen wird die Hälfte über Listen vergeben, die restlichen 225 per Direktmandat. Für Außenstehende mag die Kandidatur des roten Erdbeerfarmers eine Überraschung gewesen sein, für Insider aber nicht. »Schließlich kooperiert unsere Partei mit ihm seit über zehn Jahren«, sagt Nikolaj Wolkow im Gespräch mit »nd«.
Wolkow, Mathematikdozent an der Lomonossow-Universität, gehört dem Zentralkomitee der KPRF an und ist Sekretär des für die kommenden Wahlen zuständigen städtischen Parteikomitees. Der Politiker tritt im Gagarin-Bezirk an, in dem sich die russische Akademie der Wissenschaften befindet. Der Wahlkreis gilt traditionell als protestorientiert und kritisch gegenüber dem Kreml. Wolkows Thema ist das Bildungswesen, das sich in den vergangenen 30 Jahren zusehends verschlechtert habe. Mit Alexander Rumjantsew, einem für Einiges Russland antretenden bekannten Arzt, trifft der Mathematiker allerdings auf einen starken Gegner. Einiges Russland verschaffe sich durch seine Verbindung mit der russischen Führung und den lokalen Verwaltungen überall einen relevanten Vorsprung, kritisiert Wolkow. In der Praxis heißt das beispielsweise, dass Plakate von Konkurrenten abgerissen und durch eigene ersetzt werden. »Bei der Bevölkerung trifft das inzwischen auf Ablehnung«, ist Wolkow überzeugt. Er wünscht sich offene Debatten, aber die Erfahrung zeige, dass sich Einiges Russland darauf gar nicht erst einlasse. Trotzdem rechnet er sich gute Chancen aus.
Heftige interne Diskussionen gab es auf dem Wahlparteitag im Juni um den umtriebigen Abgeordneten des Saratower Gebietsparlaments Nikolaj Bondarenko. Sein Bekanntheitsgrad reicht dank seines Youtube-Kanals »Tagebuch eines Abgeordneten« mit anderthalb Millionen Abonnenten weit über Saratow hinaus. Doch Bondarenko erhielt weder einen Listenplatz, noch darf er, wie lange gemunkelt wurde, gegen den Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin von Einiges Russland antreten. Es fehlte die Überzeugung, dass er gewinnt.
Im Wahlprogramm mit der Devise »Zehn Schritte zur Volksmacht« betont die KPRF soziale Themen wie die Anhebung des Mindestlohns, das Absenken des Rentenalters oder kostenlose Gesundheitsversorgung. Neu ist die hohe Anzahl kandidierender Nichtmitglieder, die in einigen Wahlkreisen für frischen Wind sorgen könnten.
Einen Mini-Skandal am Rande des Parteitages inszenierte der Donbass-Kämpfer, Schriftsteller und Co-Vorsitzende der Partei »Gerechtes Russland — Patrioten — Für die Wahrheit«, Sachar Prilepin. Ihm wurde der Zutritt verwehrt. Sjuganows Stellvertreter Jurij Afonin bezeichnete Prilepins Partei als Spoiler, als Formation, die nur angetreten sei, um der KPRF Stimmen wegzunehmen.
Die KPRF ist derzeit mit 35 Mandaten in der Duma vertreten. Politologen stufen sie als »Systemopposition« ein — das sind im Parlament vertretene Parteien, die nur leicht von der Kremllinie abweichen.
ute weinmann