Wie ein neuer Hoffnungsträger

Bei den Dumawahlen am Wochenende kam es zu unzähligen Wahlmanipulationen – allen voran bei der elektronischen Stimmabgabe. Wie blickt die Opposition in die Zukunft?

Hinter Michail Lobanow liegen viele Monate harter Arbeit. Bei den Dumawahlen am vergangenen Wochenende liess sich der parteilose junge Mathematikdozent von der kommunistischen Partei KPRF für ein Direktmandat im Westen Moskaus aufstellen. Für einen wie ihn, der als linker Aktivist direkt aus der Basis kommt, bedeutete der Wahlkampf tatsächlich einen Vollzeitjob. Anders als bei Jewgeni Popow von der Kremlpartei Einiges Russland, dem ein grosszügig bemessenes Wahlbudget zur Verfügung stand und der auf die uneingeschränkte Unterstützung der Verwaltung und kommunaler Strukturen bauen konnte. Nicht zu vergessen Popows hoher Bekanntheitsgrad als Fernsehjournalist, während Lobanow vor noch nicht allzu langer Zeit nur in linken Kreisen und sozialen Bewegungen in Moskau eine bekannte Grösse darstellte.


Michail Lobanow nach den Wahlen. Foto uw

Dennoch hat Lobanow das schier Unmögliche geschafft: Er ging in seinem Wahlkreis mit 39 zu 29 Prozent der Stimmen als haushoher Sieger gegen Popow, den unbestrittenen Favoriten der Staatsmacht, hervor. Allerdings entspricht dies lediglich den Auszählungsergebnissen der Wahlzettel auf Papier. Denn parallel dazu waren die Wahlberechtigten in der russischen Hauptstadt und sechs weiteren Modellregionen angehalten worden, ihre Stimmen online abzugeben. Die Resultate aus der Onlinestimmabgabe wiederum verschafften dem Favoriten Popow einen Vorsprung von drei Prozent.

Gefälschte Wahlprotokolle

Auch in sieben weiteren Moskauer Wahlkreisen rutschten oppositionelle KandidatInnen nach der Veröffentlichung der digitalen Wahlergebnisse von ihrer Führungsposition – allerdings mit weitaus weniger Vorsprung – auf Platz zwei. So konnte Einiges Russland dann doch landesweit 198 von 225 Direktmandaten für sich verbuchen – und wird in der neuen Duma erneut über eine Zweidrittelmehrheit verfügen. Als zweitstärkste Fraktion geht die KPRF mit knapp 19 Prozent aus den diesjährigen Wahlen hervor, gefolgt von der ultranationalistischen Partei LDPR.

Im Verlauf der dreitägigen Wahlen und der anschliessenden Auszählung kam ein beträchtliches Arsenal an Wahlmanipulationstechniken zum Zuge, darunter unzählige teils gröbere, teils weniger offensichtliche Verstösse gegen die geltenden Vorschriften. Wie etwa die Wahlprotokolle, die im Nachhinein umgeschrieben wurden. Oder die Wahlzettel für die Stimmabgabe von zu Hause aus, die von mobilen Teams haufenweise und unkontrolliert verteilt wurden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Onlinestimmabgabe das Kernstück der Wahlmanipulationen darstellte, da sie unter alleiniger Aufsicht der staatlichen Wahlkommission stand. Der Inlandsgeheimdienst FSB hatte pünktlich zur Schliessung der Wahllokale den digitalen Schlüssel, über den die WahlbeobachterInnen Zugang zum System erhielten, gesperrt – und damit faktisch eine unabhängige Überprüfung der elektronischen Stimmabgabe verhindert.

Keine Parteiambitionen

«Die wichtigste Lehre aus dem zurückliegenden Wahlkampf ist für mich, dass Menschen gemeinsam wirklich eine Menge erreichen können», sagt Michail Lobanow im Gespräch mit der WOZ. «Es existiert ein riesiger Handlungsbedarf.» Lobanow hebt sich von etablierten PolitikerInnen und selbst vielen Oppositionellen deutlich ab, denn er steht nicht für ein paternalistisches Politikverständnis, wie es in Russland häufig anzutreffen ist. Seit über zehn Jahren ist der 37-Jährige in diversen politischen Zusammenhängen aktiv. Während der letzten Monate sind in seinem Wahlkreis neue Netzwerke von bestehenden Bürgerinitiativen entstanden, deren Expertise und Entschlossenheit ein Dumamandat ergänzen, aber nicht ersetzen können.

Jetzt muss es ohne einen Abgeordnetenstatus weitergehen. «Wir werden versuchen, unser Wahlteam zu erhalten», sagt Lobanow entschieden. Wie sich die gesammelten Erfahrungen allerdings in eine langfristige Kooperation mit den diversen politischen Initiativen ummünzen lassen, ist noch offen. Ebenso die Zusammenarbeit mit der KPRF, denn Lobanow hat keine Ambitionen, im Parteiapparat mit den festgefahrenen Hierarchien mitzumischen. Dem seit bald 27 Jahren amtierenden Parteichef Gennadi Sjuganow dürfte das nur recht sein. Schliesslich profitiert die KPRF nicht nur davon, dass sie seit ihrer klaren Positionierung gegen die – 2018 im Parlament durchgesetzte – Rentenreform einem wachsenden Teil der Protestwählerschaft als akzeptable Alternative erscheint, sondern auch davon, dass sie bei diesen Dumawahlen eine Vielzahl parteiloser Linker aufstellte, denen kein altstalinistisches Image anhängt.

Das traditionell antikommunistische liberale Lager muss sich derweil erst von seiner Ansicht lösen, Kommunismus mit der Sowjetunion gleichzusetzen. So verkörpert Lobanow eine neue Generation von in demokratischen Traditionen verankerten Linken. Am Abend nach den Wahlen trat er geradezu als neuer Hoffnungsträger bei einer Protestkundgebung gegen die manipulierten elektronischen Wahlergebnisse im Moskauer Stadtzentrum auf.

ute weinmann

WOZ

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