Ein Mann, ein Wort

Die Pressevielfalt in Weißrussland wird vom Diktator Alexander Lukaschenko weiter eingeschränkt.

Wer einen Blick in das Reich des Diktators und passionierten Eishockeyspielers Alexander Lukaschenko riskiert, wird gelegentlich den Eindruck nicht los, es mit einem 10 Millionen-Seelen-Kolchos zu tun zu haben. Alle arbeiten für die eine Sache, und welche das ist, bestimmt der Präsident. Und den gibt es nur einmal. Nach einem unlängst unterzeichneten Beschluss des Ministerrates dürfen z.B. Leiter von Betrieben und Organisationen in Weißrussland lediglich als Direktoren, Generaldirektoren, Natschalniks, Vorsitzende oder Geschäftsführer bezeichnet werden, nicht mehr hingegen als Präsidenten.

Diese sich noch recht harmlos und bizarr ausnehmende Attacke eines eitlen und überaus autoritären Herrschers, der versucht, die ausbleibende internationale Anerkennung mit derartigen Spielereien zu kompensieren, verliert jedoch deutlich an Unterhaltungswert, betrachtet man die unlängst erfolgten Schikanen gegen die ohnehin recht öde Medienlandschaft in dem zwischen Polen und Russland gelegenen Land, in das ohne Notwendigkeit kaum jemand seinen Fuß setzen will. Nicht umsonst schätzen Beobachter, dass es um die Pressefreiheit in Weißrussland dramatisch schlecht bestellt ist.

Am 20. Mai wurde der Chefredakteur der wöchentlich erscheinenden politischen Satirezeitschrift Nawinki, Pawel Konowaltschik, wegen »vorsätzlicher Verbreitung falscher Angaben, die geeignet sind, die Ehre und Würde des Präsidenten der Republik Belarus zu beschmutzen«, von einem Gericht zu umgerechnet 700 Euro Strafe verurteilt. Bereits am folgenden Tag sprach das Informationsministerium eine erste schriftliche Verwarnung wegen eines angeblichen Verstoßes der Nawinki gegen denselben Artikel 5 des Pressegesetzes aus. Am Tag darauf erfolgte die zweite Verwarnung wegen eines Artikels über das religöse Bewusstsein der Bevölkerung in der Rubrik »Opium fürs Volk« und wegen eines nicht genehmen Titels über einem Text, der das Verhältnis von Regierung und Opposition zum Thema Krieg im Irak beleuchtete. Der Titel, der aus dem Musical »Chicago« zitierte, greife die »moralische Integrität der Bürger« an. Die Begründungen der Presserügen bestehen aus Allgemeinplätzen und lassen offen, was genau den Unmut der Beamten aus dem Ministerium hervorgerufen haben könnte.

Noch am 22. Mai unterzeichnete der Informationsminister Michail Podgajnyj einen Erlass über einVerbot der Nawinki für die folgenden drei Monate. Nach Ablauf der Frist kann laut Gesetz ein Verfahren zur Einstellung der Zeitung eingeleitet werden. Die Redaktion wurde jedoch zunächst nicht über den Vorgang informiert und hat inzwischen Einspruch eingelegt.

Mit ähnlichen Problemen war Ende Mai die älteste oppositionelle Zeitung des Landes, die Belorusskaja delowaja gazeta (BDG), samt ihrer wöchentlichen Beilage konfrontiert. Dem zeitweiligen Verbot, welches die BDG mit dem Abdruck ihrer Texte in dem Blatt der weißrussischen unabhängigen Gewerkschaft Salidarnasz zu umgehen suchte, waren gleich drei Verwarnungen vorausgegangen. Anlass für die erste Rüge war eine Blitzumfrage der Zeitung, ob Alexander Lukaschenko frei über den staatlichen Flugzeugpark verfügen dürfe. Außerdem seien Einzelheiten aus einem laufenden Prozess in Sachen Korruption ohne richterliche Genehmigung veröffentlicht worden. In derselben Angelegenheit wurde zudem an die größte Tageszeitung Narodnaja Wolja eine Verwarnung ausgesprochen. Auch die Zeitung Wetschernij Stolin steht womöglich bereits kurz vor dem Aus.

Pjotr Marzew, der Generalsekretär des Verlagshauses Marat, das als Eigentümer der BDG fungiert, die als eine der wenigen Zeitungen inWeißrussland einen bescheidenen, aber dennoch realen Gewinn abwirft und wöchentlich etwa eine Auflage von 15 000 Exemplaren vorweisen konnte, bewertete die Ereignisse als politische Entscheidung. Zwar hatte es in den vergangenen Jahren regelmäßig Probleme mit der Zensur gegeben, doch existenzbedrohlich wurde es erst, als Journalisten der BDG begannen, Recherchen über die Geschäftsinteressen im staatlichen Machtapparat anzustellen und dabei auf Fälle von Korruption stießen.

Längst beschränken sich die staatlichen Rügen nicht mehr auf die Inlandsmedien. Auch die russischen Medien entgehen dem wachsamen Auge des weißrussischen Staates nicht. Am 29. Mai wurde bekannt, dass das Außenministerium eine Korrespondentin der russischen Tagezeitung Izwestija aufgrund eines Artikels über Probleme der russisch-weißrussischen Integration verwarnt hat. Beliebt ist auch die Methode, die Frequenzen der russischen Kanäle durch eigene Sender zu besetzen.

Seine Sicht der Dinge schildert der Informationsminister Michail Podgajnyj in einem Interview mit der BDG: »Noch im Frühjahr fanden bei mir mehrere Treffen mit Chefredakteuren statt, in deren Verlauf ich gesagt habe: ›Verehrte Kollegen, Sie bewegen sich auf Messers Schneide. Mit dem von Ihnen veröffentlichten Material stoßen Sie ihre Zeitung und Ihr Kollektiv vor den Kopf‹. Aber meine Vorwarnungen haben zu nichts geführt und ich war somit gezwungen, das Pressegesetz anzuwenden. Offen gestanden war ich verwundert darüber, dass insbesondere die BDG von einer ernsthaften analytischen Zeitung auf das Niveau eines Boulevardblattes abgerutscht ist. Das konnte einfach nicht mehr geduldet werden. Und was die Nawinki betrifft, so muss ich leider feststellen, dass einige ihrer Publikationen Assoziationen mit der überall im Land bekannten psychiatrischen Einrichtung hervorrufen.«

Gemeint ist die gleichnamige Verwahranstalt unweit der Hauptstadt Minsk. Abschließend empfiehlt der Informationsminister: »Sollen sie doch auf dem Klo krähen und da eine Wandzeitung aufhängen.«

So genannte informelle Treffen im Ministerium fanden im Fall Nawinki, die ursprünglich vor etwas mehr als fünf Jahren als Oppositionszeitung ins Leben gerufen worden war und vor allem das später eingestellte Blatt Nawiny (Nachrichten) der belarussischen Volksfront parodierte, im Schnitt einmal pro Jahr statt. Zu einem Prozess kam es bislang jedoch nie. Nun muss die Redaktion um ihre Existenz fürchten. Aber die Nawinki versteht sich als Kollektiv mit großem Unterstützerkreis und will so schnell nicht aufgeben und sich schon gar nicht auf Wandzeitungen beschränken.

Gegenüber der Jungle World äußerte Nawinki-Chefredakteur Pawel Konowaltschik die Einschätzung, dass die aktuellen Repressionen etwas mit der konsequenten Durchsetzung einer einheitlichen Staatsideologie zu tun haben, wie dies kürzlich beschlossen wurde. So hatte auf höchster staatlicher Ebene unter Einbeziehung der Akademie der Wissenschaften ein Treffen stattgefunden, auf dem der Beschluss gefasst worden war, in allen Betrieben und Firmen mit über 100 Mitarbeitern einen für ideologische Fragen verantwortlichen Mitarbeiter zu benennen. Noch sind keine Einzelheiten über den Inhalt und die geplante Ausführung bekannt, aber man kann an fünf Fingern abzählen, dass unabhängige Medien die Pläne des Präsidenten nur stören würden. Obgleich die 1 440 mit einer Lizenz ausgestatteten Printmedien zu einem Großteil aus Reklame- und Freizeitblättern bestehen.

Ute Weinmann

Jungle World

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