Der Startschuss für die Duma-Wahlen im Dezember ist gefallen. Sie sollen Putin den Weg zur Wiederwahl ebnen.
In dieser Woche fällt mit Präsident Wladimir Putins Ukas in Russland der Startschuss zu den Dumawahlen Anfang Dezember 2003. Doch die Wahlsaison hat längst vor diesem formalen Akt begonnen, denn neben den Parlamentswahlen stehen noch weitere für den Kreml bedeutende formaldemokratische Ereignisse an.
Den Auftakt machen am 21. September die Gouverneurswahlen in St. Petersburg. Nach den zahlreichen Finanzskandalen um den ehemaligen Gouverneur Wladimir Jakowlew soll in der Putinstadt durch ein Heimspiel mit dem Sieg der derzeitigen Sondervertreterin des Präsidenten in der Nordwestregion, Valentina Matvijenko, wieder Ruhe und Ordnung einkehren. Doch etliche Bewohner des Kirow-Bezirks blockierten dieser Tage schon mal provisorisch den Verkehr in der Stadt – in Erwartung ähnlich fataler Verhältnisse wie im vergangenen eiskalten Winter, den so mancher in ungeheizten Wohnungen verbringen durfte.
Am 5. Oktober soll durch Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien unter durchaus zweifelhaften Bedingungen die Ära Achmed Kadyrows als von Moskau eingesetztem Statthalter zu Ende gehen. Ob das neue Oberhaupt die gleiche Bezeichnung tragen wird, ist indes ungewiss. Der Kreml will die Sicherheit seines ehemaligen Favoriten nicht mehr garantieren und hat inzwischen weiteren der insgesamt elf Kandidaten seine Unterstützung zugesichert.
Den nächsten Schritt werden dann die landesweiten Parlamentswahlen einleiten, welche sich auf den ersten Blick noch inhaltsloser als gewöhnlich darstellen. Realistisch betrachtet, verfügte die Duma von Beginn ihrer Existenz im Dezember 1993 an über keinerlei reale Macht; doch unter Putin schrumpfte selbst das geringe politische Gewicht des Parlaments derart zusammen, dass ihm neben den oligarchisch organisierten Kapitalkräften und den Hintermännern aus Militär und Verwaltung lediglich die Funktion zukommt, die postsowjetische Scheindemokratie formal aufrechtzuerhalten.
Doch wäre es ein Irrtum, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, diese Wahlen seien für das Herrschaftsgefüge in Russland völlig überflüssig. Vielmehr kommt ihnen in diesem Jahr die Aufgabe zu, das Terrain vor dem eigentlich wichtigen Großereignis, den Präsidentschaftswahlen im März kommenden Jahres, zu bereinigen. Denn die wahre Macht liegt in Russland beim Präsidenten. Demnach richtet sich der gesamte Wahlmarathon mit all seinem blockbuilding, seinen Imagemakern und fernsehtauglichen Figuren auf den Endspurt im Winter aus, der Präsident Putin zu weiteren vier Jahren Amtszeit verhelfen soll.
Die Rechnung ist dabei kinderleicht. In Russland existiert nach wie vor kein ausgereiftes Parteiensystem, man wählt keine Partei, sondern eine Führungsfigur, um die sich eine Anhängerschaft mit einem mehr oder weniger ausgereiften inhaltlichen Profil schart. Im Idealfall befinden sich darunter auch finanzkräftige Gönner. Im Verlaufe der über Monate andauernden angespannten Wahlkampfphase werden diverse Bande geknüpft und wieder aufgelöst, einzelne Führungskader medial aufgebaut und kurz vor Ende diskreditiert, so dass eine breit angelegte Wahlkampagne, die auf einen Machtwechsel im Kreml angelegt ist, kaum Chancen hat, ihren Kandidaten einigermaßen unversehrt bis in die Zielgerade zu bringen. Sowohl der im vergangenen Jahr tödlich verunglückte Alexander Lebed wie auch der ehemalige Premier Jevgeni Primakow scheiterten auf diese Weise.
Nach den letzten Umfragen zum Wahlverhalten der russischen Bevölkerung werden es lediglich fünf Parteien schaffen, die Fünfprozenthürde zu überwinden. An erster Stelle mit etwa 21 Prozent steht dabei Jedinaja Rossija (Einiges Russland), die ihrerseits aus der Partei Primakows und des Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow sowie der Putinpartei »Jedinstvo« (Einheit) hervorgegangen war. Mit 20 Prozent folgt die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) unter Vorsitz von Gennadi Sjuganow, und in weiteren Abständen die LDPR des rechtsextremen Politclowns Wladimir Schirinowski mit neun Prozent, die »Union der rechten Kräfte« (SPS) mit solch bekannten Politgrößen an der Spitze wie Boris Nemzow oder Anatoli Tschubais und nicht zuletzt Grigori Jawlinskis liberale Jabloko, die bei den letzten Wahlen einen vehementen Absturz hinnehmen musste, mit jeweils fünf Prozent.
Ein Großteil der Wähler dürfte über die zahlreichen anderen zur Wahl antretenden Parteien schlecht oder gar nicht informiert sein. Dies liegt nicht zuletzt am Fehlen der in Russland so genannten »administrativen Ressourcen«, also an jeglicher Form von finanzieller und medialer Unterstützung, ohne die selbst eine breit angelegte Werbestrategie zum Scheitern verurteilt ist. Die KPRF beschwerte sich unlängst über eine tendenziöse und voreingenommene Berichterstattung auf den großen Fernsehkanälen. Im Juli hätten die beiden ersten Kanäle zur Hauptsendezeit die kommunistische Partei regelrecht ignoriert, während die Jedinaja Rossija zu einem festen Bestandteil der politischen Nachrichten gehöre.
Gelegentlich werden aber auch härtere Bandagen angelegt. Im Sommer tauchten in Moskau große Werbeplakate auf, worauf ein Apfel für Jabloko mit einem Hammer-und-Sichel-Anhänger und der Aufschrift »Wir sind zusammen« ein Zusammengehen der KPRF mit den Liberalen um Jawlinskij suggerierte. Die Jabloko-Fraktion verdächtigte in diesem Zusammenhang die rechten Liberalen der SPS, diese wiederum wollte sich zu den Vorkommnissen nicht äußern und bezichtigte Jabloko stattdessen des Populismus.
Um all diesen Widrigkeiten Einhalt zu gebieten, fand in der letzten Augustwoche in Moskau eine Politshow unter dem Label »Gesellschaftspolitisches Forum – Wahlen 2003« statt. Einer der Höhepunkte war die Unterzeichnung eines Vertrages über eine »korrekte Führung des Wahlkampfes« durch 33 Parteien und Verbände. An der Praxis der Wahlkampfführung dürfte dies indes wenig ändern.
Interessanter war zudem der Auftritt des Vorsitzenden der Partei der russischen Regionen, Sergej Glasjew. Der Dumaabgeordnete und Ökonom, der bislang vor allem im dünn besiedelten Sibirien politische Erfolge verzeichnen konnte, geht seit dem Frühjahr mit der Idee hausieren, einen oppositionellen Wählerblock sozial orientierter Kräfte zu schaffen. Hauptverhandlungspartner war die KPRF, aber sie gab ihm letztlich den Laufpass. Zur offiziellen Begründung seitens der so genannten Kommunisten diente der Vorwurf, Glasjew sei an einer vom Kreml gesteuerten Wahlbetrugsaktion beteiligt. Aber denkbar ist ebenso, dass die KPRF nach wie vor ihre eigenen Kräfte überschätzt und Sjuganow zudem nicht an einer starken Figur in seiner unmittelbaren Nähe interessiert ist, die ihn früher oder später bei der Wahl zum Vorsitzenden ablösen könnte.
Auf dem Forum verkündete Glasjew schließlich eine große Koalition »volkspatriotischer Kräfte«, die ein ähnliches Wählerpotenzial anspricht wie die KPRF. Ein wildes Sammelsurium von 15 Parteien und Verbänden hat sich der Koalition angeschlossen, darunter der Sonderbeauftragte des Kreml für das Kaliningrader Gebiet, Dmitri Rogosin, der neurechte »Eurasier« und »Geopolitiker« Alexander Dugin und der linkssozialistische Gewerkschafter Oleg Schein mit seiner neu gegründeten Partei der Arbeit. Schein nannte den Zusammenschluss eine »antioligarchisch und sozial ausgerichtete Union«. Sie ist nicht zu verwechseln mit einer linken Opposition.
Ute Weinmann
Jungle World