Bei den russischen Duma-Wahlen konkurriert die heutige Staatspartei mit der von vorgestern. Eine linke Perspektive gibt es nicht.
Das Schöne an Parlamentswahlen ist, dass man Kenntnis über etliche exotische Parteien und Bündnisse erhält, deren Existenz einem im stressigen Alltagsleben immer entgangen ist. Bereits die Namensgebung lässt Spielraum für Phantasien. So tauchen in der Liste der am 7. Dezember in Russland zur Wahl stehenden Parteien so aussagekräftige Namen auf wie »Konzeptuelle Partei der Einigung« oder aber »Partei der wahren Patrioten Russlands«. Da man jedoch getrost annehmen darf, dass kaum jemandem im Land bekannt sein dürfte, wer sich hinter den »wahren Patrioten« versteckt, ist es um deren Zukunft denkbar schlecht bestellt.
Im Vergleich zum letzten Wahlkampf kurz vor Ende der Jelzin-Ära im Herbst 1999, als eine Verleumdungskampagne die nächste jagte, geben sich die politischen Akteure in diesem Jahr gelassener. In den Medien werden die Wahlen als ein Thema unter vielen behandelt. Die Schlagzeilen der Tageszeitungen widmen sich in erster Linie den jüngsten Ereignissen in Georgien oder der Welt des Fußballs, das Fernsehen zeigt wie gewohnt Routineabläufe im administrativ-politischen Tagesgeschäft des Staatsoberhauptes. »Alles im Griff«, lautet die Botschaft.
Die Zurückhaltung der Medien lässt sich indes leicht erklären. Im vergangenen Jahr unterlag das Wahlgesetz zahlreichen Änderungen, unter anderem verbietet es die Parteinahme bei der politischen Berichterstattung. Journalisten laufen somit immer Gefahr, sich der Willkür russischer Rechtsprechung auszusetzen. In der Praxis hat dies zur Folge, dass programmatische Inhalte der Parteien, sofern vorhanden, öffentlich nicht zur Diskussion stehen.
Allerdings gilt die gesetzliche Einschränkung offenbar nicht für alle zur Wahl antretenden Parteien. Insbesondere die beiden größten staatlichen Fernsehsender, der Erste Kanal und Rossija, setzen sich über jegliche Regeln hinweg und inszenieren die Allgegenwart der Spitzenkandidaten der Kremlpartei »Einiges Russland«, allen voran Innenminister Boris Gryzlow und Katastrophenminister Sergej Schoigu.
Aber nicht allein die Fülle an medialer Präsenz der »Einheitsrussen« dürfte deren Sieg mit bis zu 40 Prozent der Wählerstimmen garantieren, wie es einige Beobachter prognostizieren. Bereits vor den Wahlen wird viel von Wahlbetrug gesprochen. Die oppositionelle Nowaja Gazeta bezieht sich in ihren Ausführungen von vergangener Woche auf Quellen innerhalb der Kremladministration. Durch Manipulation der elektronischen Stimmenzähler sollen angeblich die real erzielten Wahlergebnisse der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), der Union der rechten Kräfte (SPS) und der Jabloko-Partei um jeweils bis zu 50 Prozent geschröpft und dem »Einigen Russland« zugeschanzt werden. Von einem großzügig geschätzten Wählerpotenzial der KPRF von über 30 Prozent würden am Schluss etwa 15 Prozent übrigbleiben.
Erwartet werden demnach erhebliche Wahlfälschungen vor allem in den Gebieten, in denen die KPRF sich traditionell auf eine hohe Popularität in der Bevölkerung stützen kann, und in den klassischen, von Korruption, Quasimonarchien und teilweise von Krieg gebeutelten Regionen wie Tatarstan, Baschkirien und Tschetschenien. Die Kontrolle und Anfechtung der Wahlergebnisse dürfte überdies nicht ganz leicht sein, berücksichtigt man die Zusammensetzung der örtlichen Wahlkommissionen, wo in den meisten Fällen direkt oder indirekt Vertreter der Kremlpartei dominieren.
Doch stellt sich die Frage, ob die Partei Wladimir Putins tatsächlich auf massenhafte Wahlfälschung angewiesen ist, stellt doch die KPRF mit Gennadij Sjuganow an der Spitze die einzige wirkliche Konkurrenz dar. Weder die liberale Jabloko noch die SPS können mit einer Massenbasis oder einem vergleichbaren administrativen Rückhalt im Machtapparat aufwarten. Ganz zu schweigen von der Vielzahl kleiner Splitterparteien, die im Wesentlichen nur dazu taugen, prominenten Politikern, die über ein Direktmandat den Einzug in die Duma schaffen werden, einen eigenständigen Wahlkampf zu ermöglichen, wie dies beispielsweise bei dem Vorsitzenden des russischen Oberhauses, Sergej Mironow, der Fall ist. Die KPRF hingegen verfügt mit ihren etwa 500 000 Mitgliedern und einem mehr oder weniger treuen Wählerstamm tatsächlich über eine große Basis.
Allerdings verschafft ihr dies auch Nachteile. Wo aus dem Boden gestampfte Parteien und Bündnisse ihr Profil je nach Bedarf verändern können, wirkt die KPRF eher wie ein träger Koloss. Seit Jahren hat sie sich mit der Propagierung einer »Russischen Idee« und billiger Demagogie auf eine ultrapatriotische Linie mit sozialen Zwischentönen festgelegt, die nur in Teilen Russlands Zuspruch findet – vor allem in den Regionen, in denen ein vergleichsweise hoher Anteil an nicht russischer Bevölkerung lebt, der als Zielscheibe für eine offen rassistische Politik herhalten muss. Nicht umsonst nimmt der ehemalige Gouverneur aus dem südrussischen Krasnodar, Nikolaj Kondratenko, der für seine aggressiven antisemitischen Äußerungen bekannt ist, den Listenplatz Nummer zwei ein.
Mancherorts hinterlässt das »Einige Russland« inzwischen einen besseren Eindruck als alle anderen Parteien, weil es durch seine Verknüpfung mit dem Machtapparat per se dafür qualifiziert scheint, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Die Partei hat sich einerseits über die Jahre hinweg konsolidiert, andererseits trifft sie mit ihrem Hintergrund und ihrer Rhetorik die Bedürfnisse eines bedeutenden Teils der Bevölkerung, auch der kommunistisch orientierten, die das Starke, Bewährte und Vertraute wählt – mit einem Wort: den »Chef«.
Und wer trotzdem auf soziale Gerechtigkeit als Programmpunkt nicht verzichten will, kann seine Stimme für den Block »Heimat« oder auch den »Glazjew-Block« reservieren. Noch im Sommer galt Sergej Glazjew als eine halbwegs integre Figur mit linkem Profil. Zusammen mit dem Sonderbeauftragten des Kreml für das Kaliningrader Gebiet, Dmitri Rogosin, gründete er im September eine große Koalition »volkspatriotischer Kräfte«, die auf die Stimmen ehemaliger Wähler der KPRF hofft.
Die Fusion linker und »nationalpatriotischer« Kräfte gehört dabei ebenso zum Programm wie eine sozial orientierte Marktwirtschaft mit überwiegend staatlicher Lenkung. Dass einige bekannte Persönlichkeiten wie z.B. der neurechte »Eurasier« Alexander Dugin den Block wieder verlassen haben, ändert dabei nichts an dessen ideologischer Ausrichtung. Böse Zungen behaupten überdies, in der »Heimat« würden keine Entscheidungen getroffen ohne vorherige Konsultationen der zuständigen Experten aus dem Kremlapparat, woher auch die nötige Finanzierung stamme. So nimmt es kaum Wunder, dass die in vielen Städten von der Putinjugend und anderen kremlnahen Vereinen organisierten Demonstrationen sich lediglich gegen die Kandidaten der KPRF richten.
Die Versuche der russischen Linken, sich außerhalb eines auf die Dumawahlen orientierten Blocks zu organisieren, welche im Sommer dieses Jahres Gestalt anzunehmen begannen, sind nach dem letzten Forum Mitte November indes gescheitert. Der Linkssozialist Boris Kagarlitzky sagte der Jungle World im Hinblick auf die Perspektive einer linken Politik unter den herrschenden Bedingungen: »Die gibt es nicht.« Jetzt wolle man erst einmal die Wahlen abwarten und schauen, wie tief die KPRF falle. Dann könne man weitersehen.
Ute Weinmann