Der Schweißer von Minsk

Mit Wahlmanipulationen hat Präsident Lukaschenko die Macht seiner Anhänger im Parlament gesichert und sich selbst eine dritte Amtszeit ermöglicht.

Wer Politik lediglich als Entertainment betrachtet, müsste mit Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko zufrieden sein. Der langjährige Präsident der ehemaligen sozialistischen Vorzeigerepublik Belarus hat ein Repertoire an originellen Aussprüchen, um das ihn mancher professionelle Komiker beneiden dürfte.

Nicht zum ersten Mal schlug er in diesem Jahr vor, seine Amtszeit zu verlängern, immerhin sei er wegen seiner Vorkenntnisse als amtierender Präsident für diesen Posten prädestiniert. Ein anderer müsste sich da ja erst einarbeiten. Diese Logik überzeugt in ihrer Einfachheit und Direktheit. Doch angesichts des Umstandes, dass die belorussische Verfassung eine dritte Amtszeit nicht vorsieht und 2006 Präsidentschaftswahlen bevorstehen, war es an der Zeit, Taten folgen zu lassen.

Wahlen »mobilisieren und schweißen die Gesellschaft zusammen«, erklärte Lukaschenko mit paternalistischem Pathos. »Sie lenken aber auch von den eigentlich bedeutsamen Problemen ab (…). Um eine solche Ablenkung zu vermeiden und Sie nicht von ihren eigentlichen Aufgaben abzuhalten, wurde beschlossen, die Wahlen und das Referendum miteinander zu verbinden.« Am 17. Oktober fand somit in Belarus nicht nur die reguläre Parlamentswahl statt, sondern ebenfalls ein Verfassungsreferendum über die Änderung des Paragrafen, der Lukaschenko eine dritte Antszeit untersagt.

Umfragen und Einschätzungen von Regimekritikern zufolge gab es vor den Wahlen eine Zustimmung von weniger als 50 Prozent für Lukaschenkos Pläne. Und selbst bei großzügiger Auslegung erscheinen die offiziell angegebenen 86,2 Prozent Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von fast 90 Prozent unwahrscheinlich und ohne gezielte Manipulation undenkbar.

Wahlbeobachter der OSZE und Journalisten sprachen von bereits im Voraus ausgefüllten Wahlzetteln. Studierende, die staatliche Stipendien erhalten, wurden dazu angehalten, ihre Stimme vor dem Wahltag abzugeben, wobei die entsprechenden Urnen tagelang unbeaufsichtigt und für jeden zugänglich waren. In Lebensmittelgeschäften sollten speziell beauftragte Babuschkas an den Kassen für die richtige Stimmung sorgen. Ihr Hauptargument lautete, dass es doch besser sei, Lukaschenko selbst bliebe Präsident. Er habe sich schließlich schon genug bereichert. Käme ein neuer Präsident an die Macht, ginge das nur auf Kosten der Bevölkerung.

Zweifel an einer ordentlichen Durchführung sind auch bei den Parlamentswahlen angebracht. Etliche Kandidaten aus den 110 Wahlkreisen wurden wegen »Unregelmäßigkeiten« aus den Listen gestrichen. Von den 107 im ersten Wahlgang gewählten Abgeordneten kommt kein einziger aus dem oppositionellen Lager. Eine Kandidatin aus einem ländlichen Wahlkreis berichtete von den Reaktionen der Bevölkerung bei ihren Werbetouren. »Wir sind bereits gewarnt worden«, hieß es in Kolchosen. Wenn sie für jemand anderen als Lukaschenkos Anhänger ihre Stimme abgäben, würde ihnen kein Pferd für die Landwirtschaft zugeteilt. Sie seien aber schon arm genug und wollten sich nicht noch zusätzlichen Ärger aufhalsen.

Zwar wurden die von oberster Stelle vorgegebenen Ziele im Wesentlichen erreicht, aber von einem Triumph für Lukaschenko zu sprechen, wäre dennoch verfehlt. Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse kam es in der vergangenen Woche zu mehreren Protestdemonstrationen. Angehörige der Sondereinheit Omon schlugen auf die Protestierenden ein, zahlreiche Demonstranten, aber auch russische und westliche Journalisten wurden verletzt oder festgenommen. Anatolij Lebedko, der Vorsitzende der Vereinigten Bürgerpartei, musste ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Offenbar ist sich Lukaschenko seiner Beliebtheit nicht sicher genug, um auf Proteste gelassen reagieren zu können. Dabei ist die Anzahl der Oppositionellen gering. Ein Teil von ihnen befindet sich zudem seit Jahren im westeuropäischen Exil, einige sind in Belarus spurlos verschwunden. Das politische Establishment ist ganz auf den Präsidenten ausgerichtet, andere politische Aktivitäten haben oftmals harte Repressionsmaßnahmen zur Folge.

Betroffen ist davon die komplette Opposition, von der Belorussischen Nationalfront und der nationalistischen Jugendbewegung Zubr (Wisent) bis zu gemäßigten Liberalen und kleinen undogmatischen linken Gruppen. Die Kritik am herrschenden Regime beschränkt sich bei etlichen Oppositionellen jedoch auf das mangelnde Demokratieverständnis der politischen Führung. Eine Alternative haben die wenigsten zu bieten. Derzeit hat die Entwicklung einer Opposition, die sich nicht an westlichen wirtschaftsliberalen Modellen orientiert, nur wenig Chancen. Ein für Anfang November geplantes landesweites Sozialforum soll jedoch Ansätze in diese Richtung fördern.

Die nur zehn Millionen Einwohner zählende Republik Belarus gilt in Europa als Hochburg des Widerstands gegen marktliberale Reformen. Aber wer in Belarus eine Musterrepublik mit sozialistischem Einschlag sehen möchte, verfällt dem Schein einer vermeintlich stabilen sozialen Ordnung. Für von Staats wegen kostenlose Dienstleistungen wie z.B. die medizinische Grundversorgung muss im Regelfall bar bezahlt werden. Im Bildungswesen ist die Situation ähnlich. Wer einen kostenlosen Studienplatz ergattern konnte, kann sich glücklich schätzen. Schon vor Jahren setzte eine schleichende Kapitalisierung des öffentlichen Sektors ein, ungeachtet anders lautender staatlicher Vorgaben.

Bei steigenden Preisen liegen die Löhne konstant niedrig. Nach offiziellen Angaben beträgt das durchschnittliche Einkommen nur wenig mehr als 100 Euro pro Monat. Die Hauptstadt Minsk mit ihren überdurchschnittlich hohen Preisen gerade im Lebensmittelbereich liegt mit 140 Euro an der Spitze.

In der vergangenen Woche verkündeten die USA die Ausweitung bereits bestehender Sanktionen gegen Belarus wegen offensichtlicher Wahlmanipulationen. Nur humanitäre Hilfsgüter sollen bis auf weiteres geliefert werden. In Minsk wird das gelassen hingenommen. »Die Sanktionen der USA schrecken uns nicht«, kommentierte der stellvertretende belorussische Wirtschaftsminister Andrej Tur. »Lediglich drei Prozent unseres Exports gehen in die USA.«

Wichtiger ist der europäische Markt. Vor allem Textilien und Kaliumdünger sollen in Zukunft in größeren Mengen in die EU geliefert werden. Sollte sich die EU der Initiative Bushs anschließen, könnte dies empfindliche Einbußen im Export zur Folge haben. Hauptwirtschaftspartner ist jedoch Russland, dessen Anteil am Warenverkehr sich im Export auf fast 50 Prozent, im Import sogar auf annähernd 70 Prozent beläuft.

Der Kreml kritisierte die Sanktionen und sicherte Belarus jegliche Unterstützung zu. Doch die geplante Vereinigung beider Staaten wurde in die Zukunft verschoben, selbst die für 2005 geplante Wiedereinführung einer gemeinsamen Währung musste vorerst dem Plan zur Schaffung einer Freihandelszone weichen, der auch die Ukraine und Kasachstan beitreten sollen. Belarus steht derzeit nicht ganz oben auf der Tagesordnung des Kreml.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2004/44/13968.html

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