In St. Petersburg dominieren rechte Schläger das Straßenbild
Zwei Monate sind seit dem Mord an dem 20-jährigen Antifaschisten und Musiker Timur Katscharawa im Stadtzentrum von St. Petersburg vergangen, fünf Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft, die Tatwaffe, ein Messer, hat die Miliz bei dem Hauptverdächtigen zu Hause ausfindig gemacht. Es wird einen Prozess geben und die Öffentlichkeit hat erstmals davon Notiz genommen, dass es neben den allseits präsenten rechten Schlägerkommandos in der Millionenstadt auch eine engagierte junge Antifaszene gibt. Doch an der resignativen Grundstimmung in deren Umfeld hat sich seither nichts geändert.
Zur Erinnerung: Am Sonntag, den 13. November 2005, griffen zehn rechte Skins Timur und dessen Freund und Musiker Maksim Zgibaj vor einem Café an. Timur starb wenige Minuten später an den Folgen von Messerstichen in der Halsgegend. Maksim erlitt weniger folgenschwere Verletzungen, musste jedoch über zwei Wochen lang im Krankenhaus behandelt werden. Die Skins waren bereits zuvor während der wöchentlichen Aktion «Food Not Bombs» vor einer belebten Metrostation gesichtet worden. Doch für deren OrganisatorInnen, allesamt antifaschistisch gesinnte Aktive aus der Petersburger Hardcoremusikszene, stellte dieser Umstand für sich genommen noch keine außergewöhnliche Bedrohung dar. Rechte Skins tauchen regelmäßig in der Innenstadt an allseits beliebten Treffpunkten auf.
Doch gab es zu dem Zeitpunkt bereits Anzeichen dafür, dass Timur gezielt ins Visier Rechtsextremer geraten war. Er machte aus seiner antifaschistischen Grundhaltung kein Geheimnis, allein seine Kleidung, Buttons und Aufnäher ließen daran keine Zweifel. Für den zum Tragen von Stoppelhaarfrisuren und Einheitskleidung dressierten russischen Mainstream stellt allein das schon eine Art Provokation dar. Timur war vor geraumer Zeit selbst an Schlägereien mit rechten Skins beteiligt, hat sich allerdings in den vergangenen Monaten davon immer stärker distanziert. Anfang Oktober griffen ihn Skins mit Tränengas an, es folgten Drohanrufe zu Hause. Diese offenen Einschüchterungsversuche gingen von einem ehemaligen Klassenkameraden aus, der seit Beendigung der Schule vom punkbegeisterten Jugendlichen zum überzeugten Nazi mutierte.
Kommen demnach persönliche Befindlichkeiten und Rache als Motiv in Betracht? So jedenfalls möchte dies der Petersburger Polizeichef Mihail Wanitschkin interpretiert wissen. Jener Klassenkamerad gehört zu zwei zur Fahndung ausgeschriebenen mutmaßlich an dem tödlichen Übergriff Beteiligten, ihm gelang es jedoch unterzutauchen, und über seinen Aufenthaltsort scheint es keinerlei Hinweise zu geben. Ein Vertreter der für die Ermittlungen zuständigen 18. Abteilung der «Koordinierungsstelle für den Kampf gegen organisierte Kriminalität», der ihrerseits Sympathien zur rechten Szene bescheinigt werden, äußerte bereits wenige Tage nach dem Mord gegenüber der Lokalzeitung Gorod folgende Meinung: «Der Mord ist auf Rowdytum zurückzuführen. Schließlich sind hier Weiße mit Weißen aneinander geraten … Die Skinheads haben hier genügend Kaukasier, wozu sollten sie sich denn mit russischen Jungs prügeln?»
Diese Aussage wird jedoch durch den Umstand Lügen gestraft, dass Schlägereien auch unter «Weißen» längst keinen Seltenheitswert besitzen. Am 4. November, dem neuen nationalistischen russischen Feiertag anlässlich der angeblichen Befreiung von den «polnischen Eindringlingen» im Jahr 1612, demonstrierten in Petersburg 200 Angehörige rechtsextremistischer Gruppierungen. Später kam es zu einer Schlägerei zwischen rechten Skins und Antifas, die für erstere mit einer Niederlage endete. Um diese wieder wett zu machen griffen die Rechten die ersten besten alternativ gekleideten Passanten an, derer sie habhaft werden konnten. Das waren zwei junge Männer aus Kronstadt, die lediglich zu einem Konzert angereist waren. Einer der beiden trug so schwere Verletzungen davon, dass er erst kürzlich das Krankenhaus verlassen konnte.
Es ist kein Zufall, dass das Sozialisationsmodell für männliche Jugendliche besonders aus einkommensschwachen Familien die Einbindung in rechte Strukturen fördert. Es gibt eine wachsende nationalistische Grundhaltung in der Gesellschaft. AusländerInnenfeindschaft wird einerseits geschürt, andererseits soll sie angeblich bekämpft werden, und zwar mit einem patriotischen Erziehungsmodell, für das die Stadt Petersburg erst im November ein Programm mit einer Laufzeit bis 2010 beschlossen hat. Zudem lassen fehlende Alternativen zur Freizeitgestaltung und trübe Aussichten auf eine akzeptable Ausbildung und einen entsprechenden Arbeitsplatz wenig Raum für dem entgegenstehende Tendenzen. Der Staatsapparat seinerseits ist unwillig, die Problematik einer zunehmend rechten Weltanschauung gerade unter jungen Menschen anzuerkennen. Hilfe seitens staatlicher Organe ist da kaum zu erwarten.
«Help yourself» gewinnt dabei nicht nur für die Antifa an Aktualität. Die Petersburger Staatsanwaltschaft empfiehlt gar in einem Merkblatt für ausländische StudentInnen, die die meisten Todesopfer durch rechte Übergriffe zu verzeichnen haben, folgendes Verhalten im Falle eines Übergriffs: «Versuchen Sie Widerstand zu leisten. Greifen Sie selbst unvermittelt an, schlagen Sie als erster auf die nächststehende Person ein …»
ute weinmann
ak 502