Nebelbomben aus dem Kreml

Überraschende Ende des Gaskonflikts zwischen Russland und Ukraine
Die russische Bevölkerung hatte sich kurz vor Neujahr gerade erst in einen zehn Tage andauernden Feiertagsmarathon gestürzt, als der russische Monopolist Gasprom der Ukraine faktisch den Krieg erklärte. Statt dem bisherigen «Bruderpreis» von 50 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter Gas verlangte der russische Energiegigant mit Beginn des neuen Jahres die Einführung eines satten Markpreises von 230 US-Dollar. Andernfalls, so Gasprom-Chef Aleksej Miller, werde der Hahn abgestellt. Das ist glatte Erpressung, auf die die ukrainische Führung ihrerseits mit dem Abzapfen der Lieferungen an die westlicher gelegenen europäischen Gasempfängerländer reagierte.

Zwar war der Konflikt — formal gesehen ohne Verlierer — schneller beigelegt worden als manch einer nach dem obligatorischen Festtagsrausch wieder zur Besinnung kam. Doch die potenzielle Drohung einer plötzlichen Destabilisierung in Mittel- und Osteuropa auf Grund von Rohstoffstreitigkeiten offenbart einerseits nur zu deutlich die Verwundbarkeit der rohstoffarmen europäischen Ökonomien, andererseits setzt sie im postsowjetischen Raum neue Maßstäbe in Bezug auf die politische und ökonomische Machtausübung.

Die Forderungen nach einer Preissteigerung sind indes nicht neu. Nur Belarus zahlt mit 47 US-Dollar weniger. Die Ukraine signalisierte die Zahlungsbereitschaft von zwischen 70 und 80 US-Dollar, mehr sei sie nicht in der Lage zu tragen. Tatsächlich wäre selbst die finanzielle Belastung bei einer fast fünffachen Preiserhöhung durchaus realistisch, hätte jedoch verheerende Folgen für die Rentabilität der ukrainischen Produktion. Die Rolle der Ukraine als Billigerzeugerland im internationalen Gefüge ist nicht nur für den Westen lukrativ, sondern in nicht weniger großem Maße für den russischen Nachbarn, der trotz politischer Differenzen enge und weitläufige Wirtschaftsbeziehungen pflegt und nach wie vor eine ökonomische Einheit bildet. Die Ukraine kann ohne günstige russische Rohstoffe nicht produzieren, Russland braucht einen ökonomisch stabilen westlichen Partner nicht nur als Transitland für Öl und Gas, sondern ebenfalls als Vorposten auf dem Weg nach Europa.

Schnelle Schlichtung des Gaskonflikts

Hätte sich die Ukraine dem erpresserischen Angebot aus dem hinter Gasprom stehenden Kreml gefügt, hätte das Land nicht nur seine Attraktivität für die Europäische Union eingebüßt, auch russische Unternehmen mit ihren umfangreichen Investitionen hätten die Folgen umgehend zu spüren bekommen. Zudem will Russland seinen Ruf als zuverlässiger Rohstofflieferant nicht aufs Spiel setzen und musste allein schon deshalb den Konflikt schnell beenden. Hauptleidtragender wäre außerdem der prorussische Osten der Ukraine mit seinen Industriezentren gewesen, der wesentlich stärker als der Westteil von den russischen Gaslieferungen abhängt.

Allein um dem Image des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko vor den im März anstehenden Parlamentswahlen eine Niederlage zuzufügen und das im Kreml gefürchtete «orangene Gespenst» in Schacht zu halten, hätte Moskau sich wohl kaum zu einem solch risikoreichen Abenteuer hinreißen lassen. Die Folgen wären zu unabsehbar und hätten unter bestimmten Umständen womöglich sogar zu einer Stärkung Juschtschenkos beigetragen. Allerdings lieferte die russische Initiative den äußeren Anlass für die Entlassung der Regierung unter Juschtschenko durch die Rada, das ukrainische Parlament, und provozierte damit den offenen Ausbruch bis dato noch unausgetragener Konflikte im politischen Establishment der Ukraine. Aber selbst wenn dieser Effekt im Kreml durchaus gewollt sein mag, ein Kalkül auf einen solchen Ausgang hinzuarbeiten scheint wenig glaubhaft.

Die Beendigung des Gaskrieges wirft ebenso viele Fragen auf wie dessen Anfang. Eine Stunde nach der Einigung über den Transitpreis für russisches, turkmenisches, kasachisches und usbekisches Gas verkündete Aleksej Miller, Russland werde sein Gas an die Ukraine für die geplanten 230 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter über die Schweitzer Firma RosUkrEnergo liefern, welche bislang für die Abwicklung der Gaslieferungen aus Turkmenistan zuständig war. Auch nur halbwegs einleuchtende Erklärungen darüber, weshalb RosUkrEnergo im Stande sein soll, in Russland Gas zum Preis von 230 US-Dollar einzukaufen, um dieses an die Ukraine für lediglich 95 US-Dollar zu verkaufen ohne dabei in Konkurs zu gehen, blieben aus. Das Unternehmen profitiert allerdings von der Neuverteilung im Gasexport aus Mittelasien zu Ungunsten von Gasprom. Zudem soll die neue Vereinbarung mit der Ukraine den Gastransit von Russland an die EU-Länder auf eine gesichertere Basis stellen, erste Forderungen nach einem Preisanstieg auf 250 US-Dollar für den europäischen Markt wurden bereits laut. Im übrigen hält Gasprom über die Gasprombank 50% der Aktien an dem Unternehmen mit unbekanntem Co-Partner.

Wer steckt hinter der Raiffeisen Invest AG?

Die nominelle Besitzerin Raiffeisen Invest AG ließ über Reuters verkünden, hinter ihr stehe eine Gruppe internationaler InvestorInnen, die bislang vorzieht, unbenannt zu bleiben. Die russische Tageszeitung Kommersant kommentierte dies lakonisch mit den Worten, dies erinnere an die Erklärung des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor einem Jahr über die Gruppe «Spezialisten im Energiesektor», die hinter dem Unternehmen stehen sollen, welches auf einer Auktion das Tochterunternehmen Yuganskneftegaz des russischen Erdölkonzerns Yukos erstanden hat.
Die Gründe für den Gaskonflikt dürften in erster Linie im Kreml selbst zu suchen sein. Die wichtigste Aufgabe in den kommenden zwei Jahren besteht darin, die Nachfolge des russischen Präsidenten in die Wege zu leiten. Blickt man in die jüngere Vergangenheit, so erforderten Machtwechsel im Kreml immer eine umfangreiche Vorbereitung einschließlich ausgiebiger Ablenkungsmanöver. Putins erster Wahlsieg und teils auch der zweite waren durch den Tschetschenienkrieg abgesichert. Nun hat der tschetschenische Terrorismus seine Funktion als notwendiges Feindbild erfüllt und es braucht einen neuen Feind.

Das vielbeschworene slawische «Brudervolk» im Westen könnte ungewollt in diese Rolle schlüpfen. Der durch offizielle Stellen, Medien und eine absurde AusländerInnengesetzgebung geschürte Hass auf «illegale» MigrantInnen aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken hat diese längst zu einer Art Freiwild mutieren lassen. Davon zeugt die steigende Anzahl an tödlichen Übergriffen auf Menschen mit «nichtrussischem» Äußeren. Das letzte Opfer, ein 13-jähriger Junge aus Usbekistan, wurde in Moskau am russischen Weihnachtsfest von Unbekannten mit 34 Messerstichen ermordet. Während die Bevölkerung über die Feinde Russlands debattieren darf und darüber die neuerlichen horrenden Preissteigerungen der Wohnnebenkosten zu Jahresbeginn verschläft, kann man im Kreml geruhsam hinter geschlossenen Türen über die Zukunft des Landes sinnieren.

ute weinmann

ak 502

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