In Belarus wird immer mehr unabhängigen Zeitungen ihre ökonomische Grundlage entzogen.
Immer mehr Liebhaber des geschriebenen Wortes auf echtem Papier müssen in Belarus schweren Herzens auf Internetseiten ausweichen, zumindest wenn sie auf die Veröffentlichung von Informationen der politischen Opposition Wert legen.
Zwar sind nach den Angaben des belarussischen Informationsministeriums vom 1. März 2006 in der Republik 1 232 Printperiodika registriert, darüber hinaus existieren acht Nachrichtenagenturen, 51 Fernseh- und 154 Radioprogramme. Das Ministerium stuft zwei Drittel dieser Medien als nicht staatlich ein. Hinter der vermeintlichen Vielfalt verstecken sich jedoch hauptsächlich Zeitschriften für den Freizeitgebrauch. An Kreuzworträtseln und Anekdoten mangelt es nicht. Wer sich hingegen von der politischen und wirtschaftlichen Verfasstheit des Landes ein Bild machen und sich nicht allein auf die Informationen der von der Regierung zur Lektüre empfohlenen größten Tageszeitung im Land, der Sovetskaja Belorussija, verlassen möchte, hat nur eine recht bescheidene Auswahl an Zeitungen und Zeitschriften zur Verfügung. Und selbst deren Anzahl schwindet.
Nach der Verfassung ist Medienzensur in Belarus verboten. Im Artikel 33 steht geschrieben: »Die Monopolisierung der Massenmedien durch den Staat ist ebenso wie Zensur unzulässig.« Um nicht die eigenen Gesetze zu brechen, bedienen sich staatliche Organe einer erfinderischen, aber nicht uneffektiven Methode, mit der sie die Kritik am derzeitigen Regime einschränken: Missliebigen Medien wird schlicht und ergreifend ihre ökonomische Grundlage entzogen.
Zuerst kündigen die belarussischen Druckereien ihre Verträge mit der betreffenden Zeitung, die anschließend im nahen Ausland gedruckt wird, meist in der unweit der Grenze gelegenen russischen Stadt Smolensk, bei Grenzkontrollen wird hin und wieder eine Ausgabe beschlagnahmt, und schließlich kündigt der staatliche Vertrieb seine Verträge für Abonnements und den Verkauf an Kiosken.
Auf diese Art und Weise sah sich beispielsweise die im Jahr 2003 vom Blatt der Vereinigung freier Gewerkschaften in eine allgemeinpolitische Zeitung umgewandelte Solidarnost im Herbst vergangenen Jahres gezwungen, ihr Erscheinen einzustellen und nur noch reinen Internetjournalismus zu betreiben. Die Solidarnost war in Ungnade gefallen, als sie der mit einem dreimonatigen Erscheinungsverbot belegten Belorusskaja Delovaja Gazeta Platz für Veröffentlichungen bot. Vor einem Monat stellte auch diese Zeitung ihr Erscheinen ein. Die Entscheidung kommentierte der Herausgeber, Pjotr Martsev, mit nicht mehr tragbaren Kosten angesichts des schwierigen Vertriebs, der sich zuletzt auf das Engagement von Einzelpersonen, vor allem von aktiven Rentnern, stützte. Im vergangenen November ging aus dem gleichen Grund die oppositions- und regimekritische Satirezeitung Navinki endgültig ein, da formalrechtlich eine Zeitung nach einjährigem Nichterscheinen ihre Registration einbüßt.
An nicht staatlichen, gedruckten Zeitungen sind inzwischen nur noch die Belgazeta, die liberale Wirtschaftszeitung Belorusy i Rynok und die Narodnaja Volja zu haben. Nach der neuerlichen Beschlagnahmung einer Ausgabe im April bereitet die Redaktion der Narodnaja Volja nun ebenfalls den Übergang ins Netz vor. Selbiges plant die Wochenzeitung Nascha Niwa, deren Redaktionsräume die belarussische Miliz vor zwei Wochen versiegeln ließ, nachdem ihr Chefredakteur zu einer zehntägigen Haftstrafe verurteilt worden war.
Die Regierung bereitet sich nun auf eine neue Etappe im Kampf gegen die verbliebenen politischen Medien vor. Das Justizministerium veröffentlichte bereits eine Empfehlung zur Einschränkung der Berichterstattung über Gerichtsprozesse. Als nächster Schritt steht die Beschränkung des Internets nach chinesischem Vorbild bevor.
Ute Weinmann