In Russland leben zehn Millionen illegalisierte Migranten. Neue Gesetze sollen ihnen die Registrierung erleichtern, aber auch die Einwanderung regulieren.
Es vergeht in Russland kaum ein Tag, ohne dass Horrorszenarien über die »chinesische Invasion« in Sibirien oder Geschichten über »kriminelle Gastarbeiter« aus den ehemaligen Sowjetrepubliken verbreitet werden. Die Zahl rassistischer Angriffe steigt, dennoch hat sich das Land in den vergangenen Jahren vom klassischen Auswandererland zum Anziehungspunkt für Migranten gewandelt. Etwa 80 Prozent von ihnen stammen aus der Ukraine, aus Kasachstan, Usbekistan, Moldawien, Aserbaidschan oder Tadschikistan. Sie arbeiten auf Baustellen, als Hausmeister, auf Märkten, überall dort, wo billige Arbeitskräfte gesucht werden.
Für die Bürger der meisten GUS-Staaten ist die Einreise nach Russland unkompliziert. Nur Turkmenen und Georgier benötigen ein Visum, für Ukrainer gilt seit der »orangenen Revolution« eine gesonderte Regelung, derzufolge für einen Aufenthalt bis drei Monate nicht einmal eine Registrierung benötigt wird. Genau hier liegt das Problem für die Migranten, denn der für eine legale polizeiliche Anmeldung erforderliche Aufwand ist enorm, und die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen sind schwer zu erfüllen. Stattdessen ziehen es viele vor, bei einer der zahlreichen Straßenkontrollen eine vzjatka, eine Schmiergeldsumme zu bezahlen. Alternativ kann eine fiktive Registrierung auch bei einer Firma oder direkt bei der Meldestelle erstanden werden. Das Geschäft in dieser Branche blüht, ist allerdings selbst für die daran verdienenden Behördenangestellten mit einem gewissen Risiko verbunden.
Ende Januar sprach Konstantin Romodanowskij, der Chef des Föderalen Migrationsdienstes, bei der Präsentation des Jahresberichts seiner Behörde für 2006 von etwa zehn Millionen Illegalen im Land, bei offiziell etwa 144 Millionen Einwohnern. Lediglich 1,15 Millionen verfügten über eine ordentliche Registrierung samt Arbeitserlaubnis. Ihre Zahl steigt, was sicherlich nicht zuletzt auf die im November erhöhten Strafen für Unternehmer zurückzuführen ist, die pro illegal Beschäftigtem umgerechnet über 23 000 Euro betragen können. Romodanowskij sieht einen Ausweg lediglich in der Vereinfachung der Anmeldeprozedur, er lobte den Fortschritt, den die seit dem 15. Januar geltenden neuen Meldegesetze für Ausländer gebracht haben.
Tatsächlich erleichtern die neuen Regeln die Registrierung, zumindest in der Theorie. Um sich anzumelden, genügt eine Benachrichtigung der Behörden per Post, und die Meldestelle hat nicht mehr das Recht, die Registrierung zu verweigern.
In der Praxis hingegen herrscht völliges Chaos. Es fehlen entsprechende Ausführungsbestimmungen, Meldestellen und Postämter wurden über die neuen Regelungen in Unkenntnis gelassen. Einige Kritiker fordern nun eine zeitweilige Aussetzung der neuen Regelungen, andere die Wiedereinführung der alten. Die Bestimmungen für die Beantragung eines langfristigen Aufenthaltstitels für Bürger von Staaten, für die keine Visumspflicht gilt, wurden durch ein zweites Gesetz wesentlich vereinfacht. Allerdings gelten nun Quoten für die Ausstellung von Arbeitsgenehmigungen.
Die Migranten sind in vielen Branchen unentbehrlich geworden, und die Justiz passt sich langsam der Tatsache an, dass Russland ein Einwanderungsland ist. Andererseits aber schüren nicht allein die Medien Ressentiments. Präsident Wladimir Putin sprach sich im vergangenen Herbst dafür aus, die Interessen der einheimischen Bevölkerung zu stärken und Ordnung auf den russischen Märkten zu schaffen. Daraufhin wurde ein Gesetz beschlossen, dass den Anteil der auf den Märkten arbeitenden Ausländer auf höchstens 40 Prozent beschränkt. Diese Regelung gilt seit Januar, ab 1. April dürfen gar keine Ausländer mehr auf den Märkten arbeiten. Das Ergebnis ist absehbar: unbesetzte Marktstände und höhere Preise.
Ute Weinmann