Der neue EJC-Präsident Mosche Kantor hat seit Jahren engen Kontakt zum Kreml
Mit dem russischen Industriellen und Milliardär Mosche Kantor hat der Europäisch Jüdische Kongress (EJC) seit dem 27. Juni einen neuen Präsidenten. Sein voller Name lautet eigentlich Wjatscheslaw Wladimirowitsch Kantor. Trotz seines beträchtlichen Vermögens und zahlreicher Ämter – Kantor ist unter anderem Vorsitzender des Russisch Jüdischen Kongresses und des Nationalen Institutes für kooperative Reformen – hält sich sein Bekanntheitsgrad in der russischen Öffentlichkeit in engen Grenzen. Kantor ist weniger eine mediale Figur als ein Mann, der die Fäden lieber im Hintergrund zieht.
Sein Werdegang als Geschäftsmann unterscheidet sich indes wenig von dem anderer russischer Wirtschaftsmagnaten. Er wurde 1953 in Moskau geboren und absolvierte sein Studium am Moskauer Luftfahrtinstitut. Im Anschluss nahm er dort eine Stelle als Laborleiter ein, geriet allerdings 1986 in den Verdacht, geheime Informationen ins Ausland verkauft zu haben. Das Ende seiner wissenschaftlichen Karriere stellt gleichzeitig den Beginn eines atemberaubenden Aufstiegs dar, wie er nur in den Jahren der wilden Privatisierung ehemaligen Staatseigentums infolge des Zusammenbruchs der ehemaligen Sowjetunion denkbar war. Der Ver- kauf von Rechentechnik an Industrieunternehmen brachte Kantor zahlreiche Bekanntschaften ein, die den Grundstein seines späteren Erfolges legten.
Mit Unterstützung des damaligen Gouverneurs von Nowgorod, Michail Prusak, wickelte Kantor die Privatisierung des dortigen Mineraldüngerunternehmens „Azot“ (Stickstoff) ab und baute diesen unter dem neuen Namen „AKRON“ zu einem der mächtigsten im Agrarbereich angesiedelten Konzerne Russlands aus. Enge Kontakte zum Staatsapparat in der Jelzin-Ära ermöglichten ihm den Aufstieg in die oberste Geschäftsriege Russlands. Seine Unternehmertätigkeit brachte ihm zahlreiche Auszeichnungen ein. Als Berater der russischen Staatsanwaltschaft trat er zudem in den Anfängen der Jukos-Affäre in Erscheinung. Durch Exportgeschäfte ge-
lang es Kantor, den Großteil seines Vermögens ins Ausland zu schaffen. Seine Geschäftsaktivitäten verlegte er weitestgehend nach Asien, doch nach wie vor gehören ihm in Russland zahlreiche Fabriken und Ländereien. Seinen Lebensmittelpunkt verlagerte er 1992 zuerst nach Israel, dessen Staatsbürgerschaft er neben der russischen besitzt, später dann in die Schweiz.
Kantor geht auch der Ruf eines Kunstliebhabers und Mäzens voraus. Im Jahr 2001 gründete er das „Kunstmuseum für Avantgarde“. Für sein Engagement in Bezug auf europäisch-jüdische Studien an der Universität in Tel Aviv wurde ihm der Ehrendoktortitel zugesprochen. Auch das öffentliche Andenken an die Schoa ist ihm ein großes Anliegen. Kantor gehört zu den Gründungsmitgliedern der internationalen Stiftung „World Holocaust Forum“.
In Zeiten, in denen Russlands Politik in Europa längst nicht mehr überwiegend wohlwollend verfolgt wird, bleiben indes auch Bedenken gegen den russischen Wirtschaftsmagnaten nicht aus. Kantor könnte seine neue einflussreiche Stellung dazu nutzen, Israels Bemühungen gegen das iranische Atomprogramm zu untergraben, so die Befürchtungen.
In Russland möchte man diese Kritik allerdings nicht teilen. Der Leiter der Presseabteilung des Verbandes russischer jüdischer Gemeinden, Timur Kirejew, betont die Verbesserung der Lage für Juden in Russland in den vergangenen Jahren: „Präsident Wladimir Putins Amtszeit ist für die jüdischen Gemeinden in Russland mit einem Aufschwung gleichzusetzen. Unter seinem Vorgänger Jelzin war die Umsetzung vieler Projekte einfach undenkbar. Putin aber unterstützt die Gemeinden.“ Lobende Worte hat Kirejew auch für Mosche Kantors Engagement in Russland übrig, der sich um die finanzielle Förderung jüdischer Gemeinden verdient gemacht habe.
Und schließlich, so Kirejew, sei dessen Wahl ein weiterer positiver Schritt zur Anerkennung der Rolle Russlands in Europa.
Ute Weinmann