Selbst Oligarchen brauchen Hilfe

Die russische Wirtschaft ist in der Rezession. Der Rubel fällt, die Preise steigen, und die Regierung bereitet sich auf Massenunruhen vor.

Rückblickend erscheint es schlichtweg als gutes Timing. Die acht Jahre von Wladimir Putins zwei Amtszeiten als russischer Präsident fielen exakt in den Zeitraum zwischen zwei Wirtschaftskrisen – zwischen den Crash des Jahres 1998 und das sich seit Mitte 2008 allmählich anbahnende Desaster. Dessen Überwindung wird vermutlich geraume Zeit in Anspruch nehmen. Nur unverbesserliche Optimisten prophezeien, die Rezession werde bereits in drei bis vier Monaten enden.

Solche Einschätzungen sind jedoch wohl der in den Jahren steigender Öleinnahmen gereiften Überzeugung geschuldet, Russland sei wegen sei­ner unermesslichen Reichtümer in Zukunft per se gegen jedes Unheil gefeit. Oder aber der aus so­wjetischen Zeiten stammenden Ansicht, entscheidend sei nicht die reale Wirtschaftslage, sondern ihre Interpretation.

Putin jedenfalls ist in die jüngste russische Geschichte bereits als Wohlstandsbringer eingegangen. Entscheidend dazu beigetragen hat ein Mythos, dem zufolge der Rubel aus eigener Kraft ins Rollen gekommen ist und die Staatskassen auch ohne Öldollars gefüllt worden wären. Dieser Mythos verschaffte der Regierung während Putins Präsidentschaft eine deutlich höhere Legitimität. Davon zehrt die politische Führung Russlands noch immer.

Dmitrij Medwedjews vorläufige Bilanz der Wirtschaftskrise schmeichelt dem Vorgänger im Präsidentenamt über alle Maßen. Die »Probleme liegen nicht in unserer Wirtschaft, sondern auf einer anderen Ebene«, stellte der Präsident in seiner Rede zum Jahresende fest. Schenkt man seiner Aussage Glauben, muss die russische Regierung und mit ihr die Bevölkerung eine Krise bewältigen, die ihr unverantwortliche global players eingebrockt haben. Premierminister Putin selbst resümierte, er sei mit der Entwicklung der heimischen Wirtschaft im vergangenen Jahr über­aus zufrieden und hoffe, dass negative Prognosen hinsichtlich zunehmender Arbeitslosigkeit und eines sinkenden Lebensstandards sich nicht erfüllen werden.

Deutlichere Worte sprach sein Finanzminister. »Es wird das schlechteste Jahr für die Weltwirtschaft in der Nachkriegszeit«, sagte Aleksej Kudrin Ende Dezember. Und für Russland werde es das schlechteste seit neun Jahren. Das Haushaltsdefizit könnte seiner Schätzung nach im Jahr 2009 umgerechnet 60 Milliarden Euro betragen. Von Budgeteinsparungen ist bislang keine Rede, sollte es dabei bleiben, dürften die staatlichen Ka­pitalreserven bald verbraucht sein.

Schwindende Währungsreserven erfordern zudem eine Abwertung des Rubels. Das verteuert die Importwaren und zieht überdies einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Effekt nach sich. Denn mit dem Wort »Krise« assoziieren die meisten Menschen in Russland den Absturz des Rubelkurses vom August 1998. Außerdem legt die Bevölkerung trotz des seit Jahren stabilen Rubels ihre Ersparnisse bevorzugt in Dollar an. Die russische Zentralbank will daher vorerst den Rubel sukzessive entwerten.

Offenbar um keine Panik zu schüren, verspricht Kudrin, Renten und Löhne im staatlichen Sektor weiter in vollem Umfang auszuzahlen. Doch sind nach Angaben der Statistikbehörde Rosstat von Anfang Dezember innerhalb nur eines Monats die Lohnrückstände in der gesamten Wirtschaft mit Ausnahme von Kleinunternehmen um fast 200 Pro­zent angestiegen und liegen derzeit bei etwa 185 Millionen Euro. Betroffen sind insbesondere die verarbeitende Industrie, Verkehr, Bau und Landwirtschaft. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet die Behörde einen Rückgang der Produktion um fast neun Prozent.

Umgerechnet eine Milliarde Euro will die Regierung ab Januar für den Kampf gegen die steigen­de Arbeitslosigkeit in den Regionen zur Verfügung stellen. Eine wachsende Zahl von Lohnabhängigen fristet bereits ein Dasein mit Kurzarbeit oder macht unbezahlten Urlaub. Problematisch ist die Situation insbesondere in den Städten und Re­gionen mit einer monoindustriellen Struktur, da dort praktisch keine Aussicht auf ein alternatives Einkommen besteht, und sei es nur vorübergehend.

In Krisenzeiten machen sich die Folgen der unter Putins Präsidentschaft vernachlässigten Mo­dernisierung besonders bemerkbar. Etwa zwei Drittel der Betriebe werfen keine Rendite ab, doch strukturelle Probleme der russischen Wirtschaft werden in der Öffentlichkeit bezeichnenderweise kaum thematisiert. Stattdessen ist von der Rettung der Wirtschaft durch den Staat die Rede. Un­rentable Fabriken, wie das Flugzeugmotorenwerk in der Stadt Rybinsk, wurden bereits verstaat­licht. Selbst stark angeschlagene Oligarchen wie Oleg Deripaska griffen gezwungenermaßen auf staatliche Unterstützung zurück. Die russische Außenhandelsbank hatte ihm zur Begleichung von Schulden bei westlichen Banken einen hohen Betrag zur Verfügung gestellt und sich als Pfand Aktienpakete von Nornikel und der Aluminiumholding Rusal gesichert. Insgesamt 295 russische Unternehmen von strategischer Bedeutung sind Anwärter auf staatliche Hilfe.

Zu den staatlichen Rettungsmaßnahmen für die einheimische Industrie zählt auch die Erhöhung der Einfuhrzölle für ausländische Autos. Eine wirk­liche Hilfe für die arg gebeutelte Automobil­branche dürfte dies nicht sein. Die Hersteller russischer Brands wie Lada oder Kamaz haben weniger wegen der ausländischen Konkurrenz mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen als wegen der offensichtlich minderwertigen Qualität ihrer Produkte. Aber auch in Russland angesiedelte ausländische Hersteller wie Ford oder Re­nault ha­ben ihre Produktion erheblich reduziert. In Wladiwostok führte die Bekanntgabe der Zoll­er­höhung im Dezember zu heftigen Protesten, die von Angehörigen der aus der Hauptstadt eigens eingeflogenen Sondereinheit Zubr niedergeprügelt wurden. Die Einkommen von bis zu 80 Pro­zent der Bevölkerung in den fernöstlichen Gebieten sind an die Einfuhr japanischer Autos gebunden.

Aufgeschreckt wegen der realer werdenden Bedrohung durch Massenunruhen, arbeitet der Kreml derweil an einer Antikrisenkonzeption, die über rein ökonomische Maßnahmen weit hinausreicht. Sie umfasst neben einer intensiv betrie­benen Diskreditierung oppositioneller Strömungen, von Garri Kasparows Solidarnost über die Kommunistische Partei KPRF bis hin zu linken Gruppen ohne parteipolitische Ambitionen, auch die Ausrufung des Ausnahmezustandes auf regionaler Ebene.

Diskutiert wird auch, übergangsweise Zurückhaltung gegenüber zahlungsunfähigen Schuldnern zu üben und bis Mai die Tarife für kommunale Dienstleistungen einzufrieren. Zudem regen die Initiatoren der Konzeption an, auf lokaler Ebe­ne zielgerichtet leitendes Personal in den staatlichen Hausverwaltungen, den Telefonämtern und bei den Energieanbietern zu entlassen. Der Bevölkerung soll die Handlungsbereitschaft des Staats demonstriert werden, und auf keinen Fall soll sie auf die Idee kommen, die Verantwortlichen für Versorgungsprobleme im Kreml zu suchen.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2009/02/32416.html

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