Antifaschistische und antirassistische Arbeit in Russland vor dem Hintergrund eines gescheiterten Gesellschaftsmodells
„Einem Menschen in Not würde ich helfen, einem Tadschiken nicht.“ Der Satz stammt von einem Moskauer Polizeibeamten, aber er steht stellvertretend für die Denkweise vieler Menschen in Russland. Nach jüngsten Umfragen empfinden nicht weniger als siebzig Prozent der russischen Bevölkerung eine Abneigung gegenüber AusländerInnen. Dabei tut die Staatsbürgerschaft nichts zur Sache, allein die nationale Zugehörigkeit und das äußere Erscheinungsbild zur Einordnung einer Person nach rassistischen Kriterien sind entscheidend. Im Alltag macht sich diese Einstellung überall bemerkbar – ob bei schikanösen Ausweiskontrollen auf der Straße, die sich in erster Linie gegen dunkelhäutige und nichtslawisch aussehende PassantInnen richten, oder der Suche nach einer festen Bleibe. Viele Wohnungsanzeigen enthalten einen der Standartsätze „Keine Vermietung an Kaukasier“ oder „Vermiete an russische Familie“.
Im Jahr 1997 galt die Abschaffung der Angaben zur Nationalität im russischen Inlandspass noch als Errungenschaft, denn sie setzte einen formalen Schlusspunkt unter das Kapitel einer Jahrzehnte andauernden Diskriminierung. Auch wenn in der Sowjetunion die Stigmatisierung einzelner Nationalitäten scheinbar im Widerspruch zur verordneten Völkerfreundschaft stand, erfolgten unter Stalins Herrschaft u.a. die Deportationen der Tschetschenen, Inguschen, Krimtataren und Deutschen anhand der Nationalitätszugehörigkeit. Aber selbst wenn man die einschlägig bekannten Verfolgungen, die mit dem Tod vieler Betroffener endeten, beiseite lässt, bleibt immer noch die Feststellung, dass die Angabe der Nationalität beileibe keine neutrale Information darstellte. Vielmehr diente sie im Regelfall als Kriterium, um zu verstehen, mit wem man es zu tun hat und zur Bestätigung verbreiteter nationaler Stereotypen bei der Wahrnehmung einer fremden Person . Und obwohl diese Angabe formal gesehen nicht mehr zwingend auftaucht, hat sich die nationale Zugehörigkeit als unverrückbare Konstante in der nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem sozialen Niedergang eines Großteils der Bevölkerung desorientierten Gesellschaft bewahrt.
Eine zunehmend aggressive Komponente brachte der erste, insbesondere aber der zweite Tschetschenienkrieg ein. Bei Terroranschlägen auf Wohnhäuser in Moskau und im Süden Russlands verloren im Spätsommer 1999 über 300 Menschen ihr Leben. Der darauf folgende Krieg in der Kaukasusrepublik, der seinerzeit Wladimir Putin zur ersten Amtszeit als russischer Präsident verholfen hatte, führte zu einem bislang unbekannten Ausmaß an Fremdenhass. Nach der offiziellen Befriedigung der separatistischen Republik, als sich TschetschenInnen als alleiniges Feindbild nicht mehr eigneten, erhielt die These von einer möglichen faschistischen Gefahr Auftrieb. Am 4. November 2005 durften 3000 Rechtsradikale erstmals anlässlich des neugeschaffenen „Tags der Volkseinheit“ legal durch Moskaus Innenstadt marschieren. Im gleichen Jahr polierte die russische Regierung die Erinnerungen an den „Großen Vaterländischen Krieg“ auf, oder genauer gesagt, an den Sieg über den Faschismus vor 60 Jahren. Der Opfer wird dabei nicht gedacht, nur der Helden. Der Staat, und mit ihm die vom Kreml geschaffene Jugendorganisation „Naschi“ (Unsere) verkörperten von nun an den wahren und vertrauten Antifaschismus, der längst die Form eines aggressiv nationalistische Züge tragenden und gegen die Feinde Russlands gerichteten Patriotismus angenommen hatte.
Eine Debatte über einen anders gearteten Antifaschismus, der sich mit den immer dreister agierenden Neonazistrukturen befasst, findet dabei in der Öffentlichkeit praktisch nicht statt. So schwammig wie der Faschismusbegriff, der längst zu einem inhaltlich beliebig füllbaren Schimpfwort mutiert ist, bleibt auch die Vision einer effektiven Strategie gegen die Gewalteskalation auf Russlands Straßen. Neonazis verüben jährlich Hunderte rassistischer Übergriffe, Dutzende nichtslawisch aussehende Menschen, meist aus Mittelasien, dem Kaukaus, afrikanischen Ländern oder Südostasien stammend, kommen dabei ums Leben. Mit steigender Tendenz. Es gibt in Russland zwar Organisationen wie das Zentrum SOVA in Moskau, welches sich zur Aufgabe gemacht hat, das Ausmaß rechtsextremistischer Gewalt durch die Ermittlung zuverlässiger Angaben zu ermitteln, zu den Opfern oder Angehörigen besteht jedoch nur in den seltensten Fällen Kontakt. Anlaufstellen für eine qualifizierte Beratung existieren praktisch nicht. Die „Bürgerhilfe“ in Moskau, die vorrangig Flüchtlinge aus dem Kaukasus und den ehemaligen Sowjetrepubliken berät, kann aus Kapazitätsgründen diese Lücke nicht wirklich füllen. In anderen Städten sieht die Situation nicht besser aus.
Opferberatung und Hilfe wird so zur Privatsache. Teils kümmern sich auch Vereinigungen der jeweiligen Diaspora um die Betroffenen. Bei der jungen Antifaszene gehört Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt zum festen Bestandteil, allerdings nur, wenn sie aus den eigenen Reihen kommen. Sie leisten nach – leider häufigen Gewaltübergriffen – Unterstützung, und sei es nur durch einen finanziellen Zuschuss etwa für teure medizinische Behandlungskosten oder die Bezahlung eines Anwalts. Dafür ist das Verständnis für die Notwendigkeit eines im öffentlichen Raum sichtbaren und nachvollziehbaren praktischen und politischen Engagements nur begrenzt vorhanden. Je nach Gruppenzugehörigkeit konzentrieren sich die meist sehr jungen AntifaschistInnen auf Aktivitäten innerhalb einer klar definierten Szene, ohne ihren subkulturellen Rahmen zu verlassen. Es wäre aber ein Fehler deren Bedeutung zu unterschätzen, denn letztlich setzen sie in ihrem Umfeld nationalistischen Tendenzen eine antirassistische Alternative entgegen. Die Formulierung langfristiger Ziele, geschweige denn deren Realisierung, fällt aber auch deshalb schwer, weil die Bedrohung rechtsradikaler Gewalt so präsent ist, dass auf absehbare Zeit dem Schutz vor Übergriffen absolute Priorität eingeräumt werden wird.
Anarchistisch orientierte AntifaschistInnen gehen hingegen durchaus an die Öffentlichkeit. So am 19. Januar 2009, als die „Junge Garde, die Jugendorganisation der Kremlpartei „Einiges Russland“, auf einem der Moskauer Bahnhöfe die Passagiere des Zuges Taschkent-Moskau mit Plakaten und Flugblättern empfing. Die „Junggardisten“ prangerten illegale Arbeitsmigration an, setzte diese mit Diebstahl gleich und forderte die Neuankömmlinge dazu auf, Steuern zu bezahlen. AnarchistInnen behinderten die Aktion mit Eierwürfen und einem Transparent mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“ und wurden dafür von der Sondereinheit OMON festgenommen und auf der Wache teils misshandelt. Die Aktion mag als zweifelhafter Erfolg erscheinen. Doch vor dem Hintergrund einer Mauer des Schweigens hinsichtlich des alltäglichen Rassismus und der verbreiteten Solidarität mit den Positionen der „Junggardisten“, dürfte die Bewertung aber positiver ausfallen.
Seit dem Jahr 2008 nehmen zumindest die Strafverfolgungsbehörden ihre Sache ernster und intensivierten die Ermittlungen gegen rechtsradikale Straftäter. Allerdings scheut sich das russische Innenministerium davor, das Ausmaß an Organisiertheit illegal operierender Neonaziverbände zu benennen, denn das hieße, eigene Versäumnisse einzugestehen. Offensichtlich um Ausgleich bemüht setzt die Miliz verstärkt der antifaschistischen Szene zu. In Izhevsk, der Hauptstadt der kurz vor dem Ural gelegenen Republik Udmurtien, dienten dafür vorbestrafte Rechtsextremisten als Köder. Sie stellten Strafanzeige wegen vermeintlich gestohlenen Gegenständen und einem Messerangriff. Trotz Alibi setzten die Milizionäre die betroffenen Antifaschisten unter Druck, einem drohten sie gar mit der Schusswaffe. Der Ermittler im Fall Andrej Petrov begründete das Vorgehen der Miliz folgendermaßen: „Die Nazis in der Stadt verhalten sich inzwischen relativ ruhig, während die Anzahl der Antifaschesten zugenommen hat. Die müssen nun eingeschüchtert werden, damit das Kräfteverhältnis gleich bleibt.“
Für die russischen Medien ist die Bedrohung von AntifaschistInnen kein Thema. Stattdessen drucken sie zahlreiche Meldungen über illegale ArbeitsmigrantInnen und mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise verstärkte sich die Berichterstattung über vermeintlich oder tatsächlich von arbeitslosen MigrantInnen verübte Raubüberfälle. Das Signal ist klar – AusländerInnen stellen eine Gefahr dar. Womöglich sogar eine größere als die sozialen und ökonomischen Folgen der Krise, die in ihren Ausmaßen verharmlost werden. Die Stigmatisierung und Diskriminierung von ArbeitsmigrantInnen insbesondere aus den südlichen ehemaligen Sowjetrepubliken, nahm allerdings schon früher ihren Anfang. Seit Januar 2007 gelten Einschränkungen bei der Arbeitsaufnahme. Wer nicht über die russische Staatsbürgerschaft verfügt, darf per Gesetz keinen Handel mit Alkohol und Medikamenten betreiben. Auf Märkten dürfen AusländerInnen nur noch Tätigkeiten nachgehen, die nicht unmittelbar mit Geldverkehr zu tun haben. Debatten um einen restriktiveren Umgang mit illegalisierten MigrantInnen gehören fest zur Tagesordnung, der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht. Dabei braucht es um Menschen aus der Illegalität zu verhelfen in erster Linie handhabbare Bestimmungen und Mechanismen, die es ermöglichen, Behördengänge unbürokratisch und innerhalb kürzester Zeit zu erledigen. Denn je komplizierter der Vorgang und je aufwändiger die Prozedur, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die per Gesetz vorgegebenen Regeln eingehalten werden. Aber womöglich ist dies gar nicht das Ziel.
In der Praxis trägt der Migrationsdienst – abgekürzt FMS – einerseits einen entscheidenden Anteil an der Illegalisierung von Millionen von MigrantInnen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Korruption und Schikanen bei der Ausstellung der per Gesetz vorgeschriebenen Dokumente wie Arbeitsgenehmigungen oder einer polizeilichen Anmeldung sind Gang und Gäbe. Damit verschaffen die Behörden windigen Geschäftemachern eine hervorragende Grundlage für eine gesicherte Nachfrage nach einem Service, der gegen entsprechende Bezahlung die Erledigung aller nötigen Formalitäten einschließt. Und der korrupte Teil des FMS profitiert selbst davon. Andererseits vertritt die Leitung der Migrationsbehörde durchaus moderate Positionen. Werden Aufrufe zur Zuzugsbegrenzung und Einschränkung der jährlich festgelegten Quoten für eine legale Arbeitsaufnahme für AusländerInnen in Russland laut, argumentiert der FMS mit der Notwendigkeit für eine Beibehaltung des derzeitigen Kontingents oder gar dessen Aufstockung und bildet damit einen Gegenpol zu den Hardlinern in der Regierung und im Parlament In Russland leben bis zu 15 Millionen ArbeitsmigrantInnen und nur etwa vier Millionen haben eine Chance, per Quote ihren Aufenthalt zu legalisieren.
Staatliche Maßnahmen gegen den alltäglichen Rassismus wirken halbherzig und hilflos. LehrerInnen sind dazu angehalten, Toleranztrainings anzubieten, ohne allerdings speziell geschult oder mit entsprechenden Materialien ausgestattet zu werden. NGO’s bieten gerne Seminare an, in der über die Achtung anderer Kulturen debattiert wird. Auf die Ursachen von Rassismus wird aber ebenso eingegangen wie die typischen Argumentationsmuster der Verfechter einer von Fremden gesäuberten Gesellschaft widerlegt werden. Zu den unerwünschten Elementen gehören aber nicht nur AusländerInnen, sondern beispielsweise auch Roma. Oft verfügen sie nicht einmal über einen Zugang zu sauberem Trinkwasser und es gibt Schulen, in denen sich die Ausgrenzung von Romakindern nicht nur in getrenntem Unterricht manifestiert, sondern auch durch eine territoriale Segregation.
Auf praktisch allen Ebenen fehlt der Wille, aber auch das Know-How für antifaschistische und antirassistische Arbeit. Das Feld dafür ist zwar weit gefasst, aber die wenigen Organisationen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, erfahren in Russland nur selten Unterstützung. So wundert es nicht, dass es manchen leichter fällt, sich der Koalition gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden am 13. Februar anzuschließen, als dem „Russischen Marsch“ ein Ende zu setzen.
Ute Weinmann
ZAG Nr. 54