Wer innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche nach Spuren einer Debatte über Rechtsextremismus in den eigenen Reihen sucht, wird einige Mühe aufwenden müssen. Bei der Suche nach einschlägigen Akteuren mit rechtsextremistischem Hintergrund wird man hingegen schnell fündig. Man muss sich dafür nicht einmal aus dem Moskauer Stadtzentrum heraus begeben. Dort nämlich befindet sich die Kirche Heiliger Nikolaus auf der Bersenevka. Deren Vorsteher Kyrill – mit bürgerlichem Namen Alexander Sacharow – gehört zu den wohl bekanntesten kirchlichen Verfechtern rechtsradikalen Gedankengutes. Sacharow ist 1983 in die Mönchsbrüderschaft des Moskauer Heiliger-Daniel-Kloster eingetreten und wurde zwei Jahre später zum Mönch ordiniert. Der Brüderschaft blieb er auch nach seiner Ernennung zum Kirchenvorsteher im Jahr 1992 treu.
In diese Zeit fällt der Beginn seines zweifelhaften öffentlichen Engagements. Kyrill Sacharow war damals einer der glühendsten Verfechter einer Heiligsprechung des letzten russischen Zaren Nikolaus II. Im Folgenden entwickelte er sich zu einer bedeutenden Verbindungsfigur der orthodoxen Kirche zur rechtsradikalen Szene. So trieb er die Gründung von Organisationen im Kirchenumfeld voran, die durch ihre Nähe zur rechten Szene auffallen. Dazu gehört der Bund orthodoxer Bürger, der seit dem Jahr 1997 existiert. Der Bund ist Mitinitiator des alljährlich am 4. November stattfindenden „Russischen Marsches“. Eigentlich wäre es korrekter in der Mehrzahl zu sprechen, denn längst existiert kein einheitliches Organisationskomitee mehr. Orthodoxe Anhänger eines russischen Imperiums und Ethnonationalisten gehen beim Marsch längst getrennte Wege.
Doch gibt es durchaus personelle Überschneidungen. Der ehemalige Dumaabgeordnete Nikolaj Kurjanowitsch vertritt beide Flügel. 2006 trat er der Neonaziorganisation Slawischer Bund bei und gehört neben Kyrill Sacharow der Führung des Bundes des russischen Volkes an. Sacharow vollzog im November 2006 eine Weihung des Arbeitszimmers von Kurjanowitsch in der Duma. Ein halbes Jahr zuvor erteilte er in der Walpurgisnacht Rechtsradikalen seinen Segen, bevor jene mit Flaschen und Steinen bewaffnet zu Übergriffen auf die BesucherInnen eines bekannten Schwulenclubs ansetzten. Zu dem Protest gegen die „Perversen“ hatte die am orthodoxen Glauben orientierte rechte Russisch Nationale Union (RONS) aufgerufen. Auf deren Internetseite waren alle bekannten Veranstaltungsorte für schwul-lesbische Partys zwischen dem 30. April und dem 9. Mai aufgeführt. „Aufklärungsarbeit mit denen zu betreiben, die unsere Traditionen, Moral und Sittlichkeit zerstören“, hieß es da, sei die „Pflicht eines jeden Russen, und umso mehr eines jeden orthodox Gläubigen“.
Für Dezember 2009 kündigte das Moskauer Patriarchat den Einsatz orthodoxer Straßenpatrouillen zur Gewährung von mehr Sicherheit auf Russlands Straßen an. Die Kirche sei dafür prädestiniert, war zu hören, schließlich unterhalten viele Gemeinde sogenannte militär-patriotische Clubs, in denen junge Menschen Kampfmethoden erlernen und einen Dienst an der Waffe vorbereitet werden. Dass die russische Neonaziszene ihr Wissen auch aus diesen Einrichtungen bezieht, scheint in der Kirchenführung niemanden zu kümmern. Sowohl das Innenministerium, als auch die Kremlnahe Jugendorganisation „Naschi“ (Unsere) griffen die Idee begeistert auf. Neben dem Bund orthodoxer Bürger will sich auch die RONS an der Umsetzung des Projekts beteiligen. Bislang blieb es allerdings bei Absichtserklärungen.
Nach Ansicht des Rechtsextremismusexperten und Direktor des Moskauer Informations- und Analysezentrums SOVA, Alexander Werchowskij, stellen rechtsextremistische Tendenzen in der russisch-orthodoxen Kirche nur eine Randerscheinung dar. „Es gibt Rechtsextreme, aber sie sind marginalisiert“, sagte Werchowskij im Gespräch mit dem Zeichen. Ein Ausschluss drohe ihnen dennoch nicht, man lässt sie einfach gewähren. Stattdessen geht die Kirche mit zunehmender Intensität gegen abtrünnige Glaubensgemeinschaften vor. Religiöse Motive dürften dabei eine ebenso untergeordnete Rolle spielen wie bei den rechtsextremistischen Kirchenangehörigen. Vielmehr funktioniert die russisch-orthodoxe Kirche heute in erster Linie als Ort der Abgrenzung gegenüber Fremden. Genau diese Haltung aber fördert eine Stimmung der Intoleranz und somit leistet sie auch der Verbreitung von Rechtsextremismus Vorschub.
ute weinmann