Neben einem von Rechtsbündnissen organisierten »Russischen Marsch« gab es in Moskaus Stadtzentrum am Tag zur Feier der »Volkseinheit« auch das Konzert einer Naziband.
Rechtspopulismus und Nationalismus gehören zum Grundrepertoire vieler russischer Politiker und Politbürokraten. Am 4. November kommt es zu zahlreichen öffentlichen Beschwörungen einer »russischen Identität«, was immer auch darunter verstanden wird. Seit im Jahr 2005 der traditionelle Tag zur Feier der Oktoberrevolution um einige Tage vorverlegt und zum Tag der »Volkseinheit« deklariert wurde, haben Rechtsextremisten aller Couleur – von klerikalen Gruppen bis zur Neonaziszene – die Zeichen der Zeit erkannt und das Datum in eigener Sache instrumentalisiert.
Von wechselnden Rechtsbündnissen organisiert fand seitdem jedes Jahr der so genannte Russische Marsch statt, der oft mehrere tausend Teilnehmer anzieht. In diesem Jahr marschierten etwa 2 000 Personen, davon ein Drittel noch im schulpflichtigen Alter, durch den Moskauer Randbezirk Ljublino. Dazu aufgerufen hatten eine Koalition aus der »Bewegung gegen illegale Immigration« (DPNI), der Neonaziorganisation »Slawischer Bund« –abgekürzt SS –, dem »Russischen Allnationalen Bund« und weiteren Organisationen aus dem rechten Spektrum. Auf der an den Marsch anschließenden Kundgebung wurden plumpe ausländerfeindliche Ressentiments geäußert. Russen müssten das Recht auf eine eigene Regierung haben, war da zu hören, oder Ausländern solle die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verwehrt werden zugunsten rückkehrwilliger »ethnischer Russen«. Die Wahl des Veranstaltungsortes fiel nicht zufällig auf das triste Plattenbauviertel im Randbezirk. Dort befindet sich ein riesiges Handelszentrum mit einem hohen Anteil an ausländischen Händlern, insbesondere aus China.
Versuche der DPNI, die lokale Bürgerinitiative, die seit der Schließung des größten Moskauer Marktes im Sommer gegen den offensichtlich vermehrten Zuzug ausländischer Händler nach Ljublino protestiert, als Bündnispartner zu gewinnen, schlugen jedoch fehl. Man wolle sich nicht von Rechten vereinnahmen lassen, lautete die Begründung.
Der eigentliche Skandal, auch wenn er in der Öffentlichkeit nicht als solcher wahrgenommen wurde, spielte sich indes im Stadtzentrum unweit des Kremls ab. Der ultrarechten Organisation »Russkij Obraz« (Russische Gestalt) gelang es, nicht nur eine Genehmigung für eine Kundgebung zu erwirken, sondern auch für ein Konzert der bekannten Neonaziband Kolovrat. Vor über 1 000 Anhängern gaben die Musiker in Moskau ihr erstes öffentlich angekündigtes Konzert seit zehn Jahren. Zu ihrem Repertoire gehört die Huldigung an den Mythos eines gemeinsamen Kampfes der »Reichswehr und Slawen gegen die Freimaurerpest«. In anderen russischen Städten marschierten ebenfalls Rechtsextreme auf. In Wladiwostok allerdings verboten die Behörden jegliche Naziaufmärsche.
Am 4. November machten auch die der Regierung nahe stehenden Jugendorganisationen auf sich aufmerksam. 20 000 Teilnehmer waren dem Aufruf der bislang finanziell großzügig ausgestatteten Putin-Jugend »Naschi« (Unsere) gefolgt und demonstrierten hinter einem Banner mit der Aufschrift »Russischer Marsch«. Man wolle den Tag der »Volkseinheit« nicht den Rechten überlassen, lautete die Devise. Mit einer ähnlichen Begründung rief ein antifaschistisches Bündnis unter dem Motto »Russen gegen Faschismus« zu einer Kundgebung auf, an der knapp 300 überwiegend jüngere Antifaschisten teilnahmen. Neben klassischen Appellen an den Sieg über den deutschen Faschismus waren dort ironisch gemeinte Anspielungen auf nationale Zuschreibungen zu hören, aber auch unzweideutige Äußerungen wie »Ich bin stolz darauf, Russe zu sein«. Seit geraumer Zeit finden sich in der russischen Antifa-Szene nicht wenige Leute mit einem nationalistischen Selbstverständnis.
Im Juni waren nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts VCIOM zwei Prozent der Bevölkerung der Ansicht, dass Nationalismus und Faschismus eine Bedrohung für Russland darstellten. Als bedrohlich wahrgenommen wird vor allem die Wirtschaftskrise, insbesondere die offensichtliche Schwäche von Industrie und Landwirtschaft, dicht gefolgt von Alkoholabhängigkeit, der Angst vor sozialem Abstieg und der Furcht vor einer generellen Verrohung der Gesellschaft. Das militärische Drohpotenzial des Westens nahm im Bewusstsein der Russen deutlich ab und sank von elf auf sieben Prozent.
Die Umfrageergebnisse mögen aber auch damit zusammenhängen, dass die ausländerfeindliche Grundstimmung in der russischen Gesellschaft längst zur Norm geworden und nur selten ernsthaft infragegestellt wird. Seit Beginn der Wirtschaftskrise häufen sich in den russischen Medien die Schreckensmeldungen über Horden krimineller illegaler Migranten. Die russische Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass ein Viertel aller Vergehen von Ausländern begangen wird, der Chef des Migrationsdienstes, Konstantin Romodanowskij, spricht von drei bis vier Prozent. Auch machte er darauf aufmerksam, dass die Polizeistatistiken bei genauerer Betrachtung einer ganz anderen Bewertung unterliegen müssten, da bis zu einem Viertel der genannten Rechtsverstöße in einem Zusammenhang mit den rigiden Meldegesetzen für Ausländer stehen.
Pünktlich zum nationalistischen Feiertag gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass die Mitte Januar verübten Morde an dem Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa (Jungle World 05/09) aufgeklärt seien. Bereits am Vorabend des Feiertags war die Festnahme zweier Verdächtiger erfolgt. Nach Ansicht der Ermittler wollten die vermeintlichen Täter, der 29 Jahre alte Nikita Tichonow und die fünf Jahre jüngere Ewgenija Chasis, den auf Menschenrechte spezialisierten Anwalt für sein Auftreten im Prozess gegen die Mörder des Antifaschisten Alexander Rjuchin zur Rechenschaft ziehen. Tichonow, der Mitglied in der rechtsradikalen »Vereinigten Brigade 88« sein soll, wurde in dem Prozess als möglicher Mitschuldiger an dem Mord genannt. Ob mit dieser Verhaftung tatsächlich die Aufklärung des Doppelmordes bevorsteht, ist nicht gesagt. Denn obwohl die Polizeibehörden die Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten in den vergangenen Monaten mit mehr Intensität betreiben, bleibt angesichts der schleppenden und häufig unzureichenden Ermittlungen in vergleichbaren Mordfällen Skepsis bestehen.
Ute Weinmann