Adel verpflichtet

Einflussreich, aber unfähig ist der russische Inlandsgeheimdienst FSB nach Ansicht der Autoren Andrej Soldatow und Irina Borogan. In Russland erscheint ihr Buch nicht.

Die Russen sollen nicht erfahren, was »Der neue Adel« in ihrem Land treibt. Das so betitelte Buch der beiden russischen Journalisten Andrej Soldatow und Irina Borogan ist kürzlich in Großbritannien und den USA erschienen, wird aber in Russland nicht vertrieben. Es ist der Nachfolgeorganisation des sowjetischen Komitees für Staatssicherheit (KGB) gewidmet, dem russischen Föderalen Sicherheitsdienst (FSB). Zwei profilierte Journalisten haben ihre Artikel und Recherchen über die Arbeit des Inlandsgeheimdiensts im vergangenen Jahrzehnt zusammengefasst.

Über den Titel musste das Autorenduo nicht lange nachdenken. Nikolaj Patruschew, der vormalige Direktor des FSB, lieferte persönlich die Idee dazu. Dem Geheimdienst ist sogar ein Feiertag gewidmet, der »Tag des Tschekisten«. So werden die russischen Staatsschützer in Anlehnung an die Tscheka genannt, den von den Bolschewiki geschaffenen »bewaffneten Arm der Diktatur des Proletariats«. Patruschew pries im Jahr 2000 aus diesem Anlass seinen Berufsstand. Nicht des Geldes wegen arbeiteten die besten Angehörigen des FSB, vielmehr bildeten sie den »neuen Adel«.

Mythenbildung ist immer nützlich für einen Geheimdienst. Zwar entzieht eine solche Institution sich möglichst der öffentlichen Debatte, um ihren Ruf aber sind Geheimdienstler besorgt. Selten entspricht das Bild der unermüdlich für die Sicherheit der Nation arbeitenden Helden der Realität. Der FSB bildet da keine Ausnahme.

Soldatow und Borogan erzählen keine Erfolgs-Story, sondern eine Geschichte des Scheiterns mit fatalen Folgen für die russische Gesellschaft. Eine Zäsur setzte zur Jahrtausendwende ein, mit dem Machtantritt des ehemaligen KGB-Offiziers Wladimir Putin. Erstmals in der russisch-sowje­tischen Geschichte wurde ein ausgebildeter Geheimdienstkader zum Staatschef. Putin regierte acht Jahre lang als Präsident, seither ist er Premierminister.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden Teile des KGB komplett aufgelöst, die Befugnisse der verbliebenen Geheimdienstler wurden verringert oder anderen Insitutionen zugesprochen. Erst unter Putin begann die komplette Reorganisierung der Sicherheitsdienste, die den FSB ins Zentrum des Machtgefüges rückte und ihm vormals abgetrennte Einheiten wie beispielsweise den Grenzschutz wieder unterstellte. Der FSB dient als Kaderreserve für wichtige Staatsämter und Posten in den großen Staatskonzernen. Gleichzeitig wurde der Geheimdienst mit umfangreichen neuen Vollmachten ausgestattet und de facto außerhalb jeglicher parlamentarischen und gesellschaftlichen Kontrolle gestellt. Während der KGB der Partei unterstand, ist derzeit unklar, wem der FSB untersteht bzw. ob überhaupt jemand die Kontrolle ausübt.

Eine ursprüngliche These der beiden Buchautoren ließ sich allerdings nicht halten: Eine komplette Machtübernahme durch ehemalige sowjetische Geheimdienstler fand nicht statt. Die staatlichen und ökonomischen Strukturen Russlands bestimmen jene Oligarchen und Personen im Machtapparat, die Wladimir Putins politische Karriere gefördert haben. Vom FSB erhielten sie lediglich die nötige Hilfe. Dafür beteiligt sich die Geheimdienstführung rege am Bereicherungsprozess, was wiederum zur Konkurrenz um Pfründe geführt und eine Aufspaltung in Claninteressen verursacht hat.

Ende August veröffentlichte die Zeitung Novaya Gazeta ein Dossier mit biografischen Angaben zu einzelnen FSB-Mitarbeitern und ihren nahen Angehörigen. Denn auch Familienmitglieder können von den geheimdienstlichen Beziehungen profitieren, insbesondere dann, wenn sie selbst eine Karriere beim FSB eingeschlagen haben, wie Dmitrij und Andrej, die Söhne von Nikolaj Patruschew. Dmitrij wechselte in das Amt des Vizepräsidenten der VTB-Bank und ist für die Zusammenarbeit mit den großen Staatskonzernen verantwortlich. Andrej ist seit 2006 Berater des Vorstandsvorsitzenden von Rosneft, einem staatlichen Ölkonzern.

Doch nicht nur verwandtschaftliche Beziehungen zur Führungsebene eröffnen lukrative Verdienstmöglichkeiten. FSB-Mitarbeiter zu sein, reicht aus, um als Schutzherr für legale oder illegale Geschäfte aufzutreten. Die Novaya Gazeta stuft die Effektivität allerdings als extrem gering ein. Sie berichtet von einem etwa zwei Jahre zurückliegenden Fall, als der Sohn eines reichen Geschäftsmanns entführt wurde und dieser beim FSB um Hilfe ersuchte. Der Gesprächspartner mit dem Rang eines Generals forderte 100 000 Dollar, doch tauchte der entführte Sohn erst auf, nachdem der Vater einen Privatdetektiv mit der Suche beauftragt hatte. Im Übrigen sind die russischen Gerichte inzwischen überlastet mit Strafverfahren, in denen FSB-Mitarbeiter der Erpressung beschuldigt werden.

Den Übergang zum Privatkapitalismus hat der Geheimdienst also bewältigt. In politischer Hinsicht aber ähnelt seine Perspektive der des KGB. Statt eine ernsthafte Analyse der Ursachen für die zahlreichen Probleme im Land zu betreiben, hat die Suche nach inneren und äußeren Feinden Vorrang. Die Einschränkung der Pressefreiheit ist da nur eine logische Konsequenz.

Das führt auch zu zahlreichen Fehleinschätzungen. Die Jagd auf Spione, die durch die Weitergabe offen zugänglichen Materials Russland »verraten« haben sollen, wirkt oft absurd, und der Einfluss russischer Nichtregierungsorganisationen oder oppositioneller politischer Vereinigungen ist weit geringer, als der Geheimdienst behauptet. Allerdings hat der FSB mit Probemen zu tun, die der KGB noch nicht kannte. Im Nordkaukasus zerfallen staatliche Strukturen, es entstanden separatistische Bewegungen, die zum Teil von islamistischen Terrorgruppen geführt werden. Bislang hat sich der »neue Adel« des FSB als unfähig erwiesen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2010/42/41920.html

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